Die internationale Einmischung

Ägypten am Ende des Tunnels

An diplomatischen Initiativen zur Beendigung des Kriegs im Gaza-Streifen mangelt es nicht, doch ohne eine handlungsfähige US-Regierung ist ein Waffenstillstand unwahrscheinlich.

Die Liste der hochrangigen Vermittler ist lang: Ägyptens Präsident Hosni Mubarak, der türkische Ministerpräsident Recep Erdogan, der französische Präsident Nicolas Sarkozy, EU-Ratspräsident Karel Schwarzenberg, EU-Außenbeauftragter Javier Solana, EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner, der Chefunterhändler des Nahost-Quartetts, Tony Blair, Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier, UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und einige mehr. Doch trotz ihrer Bemühungen gehen die Kämpfe zwischen der ­israelischen Armee und der islamistischen Hamas im Gaza-Streifen unvermindert weiter.

Dabei hatte es in der vergangenen Woche kurzzeitig so ausgesehen, als gebe es Fortschritte. Die von Mubarak und Sarkozy initiierten Bemühungen um einen Waffenstillstand, untermauert durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrats, schienen vor einem Durchbruch zu stehen. Gemäß den Vorschlägen der Präsidenten Ägyptens und Frankreichs sollte innerhalb von zwei bis drei Tagen eine Waffenruhe in Kraft treten, gefolgt von Hilfslieferungen in den Gaza-Streifen und indirekten, durch Ägypten moderierte Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas, um eine längerfristige Vereinbarung zu erreichen. Zunächst hatte die israelische Regierung erklärt, sie stehe den Vorschlägen grundsätzlich positiv gegen­über, und auch die Hamas hatte eine »Prüfung« der Pläne angekündigt.
Doch dann lehnte die Hamas ab, und auch Israel verschob zunächst eine weitere Reise des Unterhändlers Amos Gilad nach Kairo. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Zunächst einmal ließ der Plan zu viele Fragen offen. Das israelische Ziel, den Waffenschmuggel nach Gaza zu unterbinden und so weitere Raketenangriffe der Hamas auf Israel zu erschweren, wäre im Verlauf weiterer komplizierter Verhandlungen überhaupt erst angegangen worden – mit ungewissem Ausgang. Es hätte also zunächst nur die Aufrecht­erhaltung des Status quo bedeutet, der Israel erst zu dem Entschluss gebracht hatte, die aktuelle Militäroffensive zu starten. Rund 10 000 Raketen sind seit 2001 aus dem Gaza-Streifen auf israelischen Boden abgefeuert worden. Diesen permanenten Beschuss mehr als kurzfristig zu beenden, war das Hauptmotiv für den Militärschlag gewesen.

Die derzeit meist diskutierte Variante einer Lösung des Waffenschmuggelproblems besteht aus internationalen Truppen, die die Grenze zwischen Ägypten und dem Gaza-Streifen überwachen und so den von Israel akzeptierten Fluss von zivilen Gütern kontrollieren und den Import von Rüstungsgütern, vor allem durch die unterirdischen Tunnel, unterbinden sollen. Genau das aber steht dem Interesse der Hamas entgegen, die es lieber umgekehrt hat. Ohne Import von Nahrungsmitteln, Medikamenten und Treibstoff kann Israel der daraus resultierenden Not in der Bevölkerung beschuldigt werden, während der Nachschub von Sprengstoff und anderen Waffen für den Terrorkrieg der Hamas existenziell ist.
Auch für Ägypten ist diese Variante problematisch. Nachdem Mubarak von Beobachtern für die Vermittlerrolle seines Landes gelobt wurde, wirft die Konkretisierung der Pläne für eine Kontrolle der Grenze zwischen Gaza und Ägypten unangenehme Fragen auf. Schließlich hatte Ägypten bereits über drei Jahre Zeit, die Grenze nach Gaza besser zu überwachen. Doch herausgekommen ist dabei genau die von Hamas gewünschte Lösung. Während die Grenze für legale Importe praktisch dicht ist, kommen die palästinensischen Islamisten über die Schmuggeltunnel problemlos an große Mengen Waffen. Am Import ziviler Güter durch die Tunnel verdient Hamas auch noch kräftig mit.
Dass Ägypten nicht effektiver gegen den Schmug­gel vorgeht, dürfte zum einen an korrupten Strukturen bei den ägyptischen Sicherheitskräften liegen. Zum anderen aber fehlte angesichts der Stärke der Hamas-nahen Muslimbruder­schaft im eigenen Land wohl auch der politische Wille, sich mit der Hamas anzulegen. Deswegen wird jetzt über internationale Truppen diskutiert, die den Job übernehmen. Das jedoch würde Ägyptens Souveränität in Frage stellen. Folgerichtig bestreiten die ägyptischen Vermittler, dass es den Waffenschmuggel von Ägypten nach Gaza überhaupt gibt. Langfristig fürchtet man in Kairo allerdings vor allem, dass Ägypten zunehmend die Verantwortung für den Gaza-Streifen zufallen könnte, nachdem bereits durch den Putsch der Hamas in Gaza vor anderthalb Jahren der administrative Zusammenhalt zwischen dem Gaza-Streifen und dem Westjordanland nicht mehr exis­tiert.

Auch aus israelischer Sicht wäre ein internationales Grenzregime nicht unproblematisch. Zum einen wäre nicht gesichert, dass der Schmuggel tatsächlich effektiv unterbunden würde. Die Erfahrungen nach dem Libanon-Krieg 2006 deuten jedenfalls darauf hin, dass westliche UN-Soldaten im Zweifelsfall lieber wegsehen, als sich mit islamistischen Milizen anzulegen. Zudem wären dann die militärischen Optionen Israels noch weiter eingeschränkt.
Allerdings scheint es auch innerhalb der Hamas inzwischen Differenzen zu geben. Während die politische Führung im syrischen Exil weiterhin Durchhalteparolen ausgibt, scheint die örtliche Führung in Gaza angesichts des Vorrückens der israelischen Armee zunehmend unter Druck und einer baldigen Waffenruhe weit weniger abgeneigt. Doch hinter Khaled Meshaal, dem Chef des Hamas-Politbüros in Damaskus, stehen die wichtigsten Verbündeten und Finanziers der Hamas, Syrien und der Iran. Vor allem der Iran betrachtet den Krieg der Hamas als Stellvertreterkrieg, bei dem er seine Feinde Israel und die USA gefahrlos treffen kann. Folglich hat das Regime in Teheran der Hamas möglicherweise sogar zu verstehen gegeben, dass sie im Falle eines Einlenkens die militärische und finanzielle Unterstützung verlieren könnte, wie die Jerusalem Post einen namentlich ungenannten ägyptischen Regierungsvertreter zitiert. Gerade die Verbindungen der Hamas zum Iran sind wohl auch der Grund, weshalb die meisten arabischen Regierungen sich außergewöhnlich zurückgehalten haben bei der Verurteilung der israelischen Offensive. Mubarak hatte die Hamas sogar direkt für den Militärschlag verantwortlich gemacht.

Hinzu kommt zu der Gemengelage im Nahen Osten, dass der künftige US-Präsident Barack Obama einen weicheren Kurs gegenüber der Hamas und dem Iran angedeutet hat. Die britische Tageszeitung The Guardian etwa berief sich auf ungenannte Berater Obamas, wonach die neue US-Administration auf niedriger Ebene mit Hamas verhandeln wolle. Verbunden wäre damit mindestens eine indirekte Aufwertung der Terrororganisation – eine Aussicht, die Hamas noch eine Weile durchhalten lassen könnte.
Die israelische Regierung hält sich indes völlig offen, wie lange sie den Krieg fortzusetzen gedenkt. Nicht nur die schlechten Erfahrungen aus dem Libanon-Krieg von 2006 haben die Regierung in Jerusalem vorsichtiger werden lassen, was die Benennung der militärischen Ziele angeht. Verbunden ist damit auch eine größere Flexibilität – man kann die Militäroffensive stoppen, wann immer man es für vorteilhaft hält, ohne das etwaige Verfehlen von militärischen Zielen einräumen zu müssen.
Ein möglicherweise entscheidendes Datum ist der kommende Dienstag: Die Amtseinführung von Barack Obama als Nachfolger von George W. Bush. Damit wird nicht nur das Machtvakuum in Washington ein Ende haben – auch die Nahost-Politik gewinnt ihren wichtigsten Akteur zurück. Das könnte für Israel bedeuten, der Diplomatie wieder den Vortritt lassen zu müssen. Eine längerfristige Fortsetzung der Operation »Gegossenes Blei« nach Obamas Amtsantritt wird Israel sich kaum leisten können – der diplomatische Schaden gegenüber dem wichtigsten Verbündeten wäre zu groß. So erwarten viele Beobachter eine reale Chance auf eine längerfristige Waffenruhe frühestens in der kommenden Woche.