Populäre Putschisten in Guinea

Der Oberst, der aus dem Wald kam

In Guinea hat das Militär die Macht übernommen. Doch die Putschisten sind populär, insbesondere unter Gewerkschaftern.

Das gibt es nicht alle Tage: Die Armee übernimmt die Macht, setzt die Verfassung außer Kraft, entmachtet die konstitutionellen Organe – und fast alle sind damit zufrieden. Insbesondere die Gewerkschaftsverbände, die noch vor kaum zwei Jahren mit einem Generalstreik, dessen Niederschlagung durch Polizei und Armee rund 120 Todesopfer kostete, die damalige Regierung fast gestürzt hätten.
»Wir Gewerkschafter freuen uns darüber, dass er es getan hat«, sagte Rabiatou Serah Diallo, die Vorsitzende des Gewerkschaftsdachverbands CNTG (Nationaler Verband der guineischen Werktätigen), der Tageszeitung Le Monde am Freitag. »Er« ist der 44jährige Oberst Moussa Dadis Camara, der Anführer der Putschisten, die am 23. Dezember die Macht übernahmen, ohne einen Schuss abzufeuern.

In den Tagen nach dem Staatsstreich haben Gewerkschaftsvertreter ebenso an den Konsultationen im Camp Alpha Yaya, dem Sitz der militärischen Befehlshaber, teilgenommen wie Repräsentanten der politischen Oligarchie und ausländische Diplomaten. Den Putsch ausgelöst hatte der Tod des 74jährigen Staatsoberhaupts Lansana Conté, der seit 1984 ununterbrochen regiert hatte. Zuletzt war er im Dezember 2002 in Wahlen, die von internationalen Beobachtern als manipuliert eingestuft wurden, im Amt bestätigt worden. Als neuer Präsident amtiert nun vorläufig Oberst Camara.
Rabiatou Diallo ist als mutige Frau bekannt. Die einzige weibliche Gewerkschaftsvorsitzende des afrikanischen Kontinents wurde während des Generalstreiks im Januar und Februar 2007 zeitweise vom Militär inhaftiert und mutmaßlich misshandelt. Doch nun unterstützt sie die Putschisten: »Als ich vom Tod Lansana Contés hörte, habe ich den Bürgerkrieg kommen sehen. Aufgrund des Ethnozentrismus, der innerhalb der Armee vorherrscht. Es zeichnete sich ab, dass es darum gehen würde, welcher General die Macht zugunsten seiner jeweiligen ethnischen Gruppe übernimmt.«
Statt eines Generals hat ein relativ junger Offizier der mittleren Ebene, der bislang innerhalb der Armeehierarchie eher ein Außenseiter war, geputscht. Dadis Camara führt nach allgemeiner Auffassung ein bescheidenes Leben. Er kommt aus der Waldprovinz Guinée Forestière im äußersten Süden des Landes. »Guinée Forestière«, das klang bislang für viele Angehörige der Armee­hierarchie und der Oligarchie wie ein Synonym für »Bauerntrottel«.
Ein Hinterwäldler ist Dadis Camara aber sicherlich nicht. Obwohl er aus armen Verhältnissen stammt und kaum über finanzielle Mittel verfügte, studierte er in der Hauptstadt Conakry Wirtschaftslehre und Jura. Später absolvierte er Lehrgänge im Ausland, u.a. besuchte er eine Sprachschule in Leipzig und in den Jahren 1996 bis 2000 eine Offiziersakademie in Dresden. Nach seiner Rückkehr erhielt er einen Posten in der Abteilung für Treibstoffversorgung der Armee.

Eine solche Position ist potenziell lukrativ. In Guinea hängt die politische und ökonomische Macht fast nie mit der Stellung im Produktionsprozess zusammen. Die Wirtschaft des Landes basiert nicht auf der Herstellung oder Weiterverarbeitung von Industriewaren, sondern auf dem Abbau und dem Export von Rohstoffen. In einer solchen Rentiersökonomie verdienen Politiker und Offiziere an der Verteilung von Abbaukonzessionen sowie am Handel. Wer es zu Wohlstand und Reichtum bringen will, muss eine gute Stellung in einem der korrupten Netzwerke einnehmen, um etwa an den staatlichen Ein- und Ausfuhrzöllen verdienen zu können. Dieses System hemmt die Entwicklung, denn eine Oli­garchie, die nicht an der Produktion, sondern an Import und Export verdient, hat kein Interesse am Aufbau einer Industrie, die ihre Einnahmen mindern würde.
Camara hat nicht zuletzt deshalb einen guten Ruf, weil er darauf verzichtete, sich zu bereichern, obwohl er die Gelegenheit dazu hatte. Die Abteilung für Treibstoffversorgung der Armee lenkte einen Gutteil des Benzins und Diesels auf den Schwarzmarkt um. Für erhöhtes Entgelt konnten viele Einwohner Conakrys am Camp Alpha Yaya ihren Tank auffüllen, während Benzin an den normalen Tankstellen knapp war. Doch Camara legte 2003 sein Amt nieder und kehrte zur Weiterbildung vorübergehend ins Ausland zurück. Deswegen wurde er von vielen anderen Offizieren für verrückt erklärt.
Soweit bekannt, hat Camara nicht oder nur in geringem Ausmaß teil an den inoffiziellen klientelistischen Netzwerken der Macht. Die meisten Guineer hoffen offenbar, dass er zu jenen jungen und »progressiven« Offizieren gehört, die, wie in den achtziger Jahren Thomas Sankara im west­afrikanischen Burkina Faso, versuchen, entwicklungspolitische Maßnahmen gegen den Widerstand der Oligarchie durchzusetzen.

Nach dem erwarteten Ableben von Präsident Conté befürchteten überdies viele Guineer politische Spannungen, deren »ethnische« Aufladung drohte. Eine gefährliche Entwicklung, die andere afrikanische Länder ebenfalls durchliefen. Denn vielerorts reagieren die klientelistischen Netze, die Macht, Ämter und den Zugang zu Versorgungsleistungen für sich und ihre Verbündeten zu reservieren versuchen, auf Krisensituationen mit Hetze gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen. In Guinea richtete sich eine solche Agitation nach dem Generalstreik vor allem gegen das »Händlervolk« der Peul. Tatsächlich sind viele Peul Händler, viele andere leben jedoch in den Elendsvierteln an der Peripherie Conakrys. Da Camara keiner der größeren Bevölkerungsgruppen angehört, kann er sich einer solchen Entwicklung wahrscheinlich entziehen.
Die neue Militärregierung hatte zunächst angekündigt, bis Ende 2010 pluralistische und internationalen Normen genügende Wahlen abzuhalten. Dies ist nach Auffassung von Rabiatou Diallo zu spät, sie ist der Ansicht, Wahlen ließen sich schneller organisieren. In der vergangenen Woche versprachen die Putschisten, noch im Laufe dieses Jahres wählen zu lassen.
Möglicherweise wird Camara erneut der Versuchung widerstehen, sich Pfründe anzueignen, und sein Versprechen halten. Doch je länger die Militärs an der Macht bleiben, desto stärker werden sich zumindest einige von ihnen dort einrichten. Die Popularität der Putschisten beruht jedoch auf der Erwartung, dass sie einen politischen Neubeginn ermöglichen werden. Camara kann nicht darauf rechnen, dass die Guineer ein Militärregime, das die klientelistischen Netzwerke übernimmt, auf Dauer tolerieren werden.