Gaza-Demonstrationen in Europa

Europa bricht das Schweigen

Ganz Europa demonstriert »für den Frieden« im Gaza-Streifen. Die Solidarität mit den palästinensischen Opfern kommt ­dabei nicht nur verbal zum Ausdruck. In mehreren europäischen Städten wurden antisemitische Anschläge verübt.

Wehende Hamas- und Palästina-Flaggen, Intifada-Aufrufe, Hakenkreuze und Davidsterne, US-amerikanische Fahnen und blutverschmierte Babypuppen: Seit Anfang des Jahres wird in ganz Europa »für den Frieden im Nahen Osten« demonstriert, dabei fehlt es an keiner der altbekannten antiisraelischen Requisiten. Die Solidarität mit den Opfern der israelischen Offensive im Gaza-Streifen und die Forderungen nach Frieden kommen dabei nicht besonders friedlich zum Ausdruck. Häufig wurde in den vergangenen Tagen der blanke Judenhass öffentlich und ungestört auf die Straßen getragen.
So waren es zunächst hauptsächlich in Europa ansässige muslimische Verbände und pro-palästinensische Organisationen, die zu Demonstrationen aufriefen. Linke Parteien und Organisationen sowie soziale Bewegungen beschränkten sich in den meisten europäischen Ländern darauf, mit Gruppen unterschiedlichster Natur gemeinsame Aufrufe zu unterzeichnen. Spätestens bei den Massendemonstrationen am vergangenen Wochenende zeigte ein Großteil der Linken quer durch Europa keine Berührungsängste mehr mit der muslimisch bis islamistisch geprägten europaweiten Solidaritätsbewegung. Von Oslo bis Athen, von Prag bis Palma de Mallorca vereinigte die Solidarität mit Palästina arabische Jugendliche aus den Banlieues, friedensbewegte Studenten, mit Kefiahs vermummte Autonome, Anhänger der Hamas, gläubige Christen und vieles mehr. Die Straßen der europäischen Hauptstädte füllten sich mit Hassparolen gegen Israel und die Juden, mit Holocaust-Vergleichen und »Allahu Akbar«-Rufen.

In London marschierten am Samstag mehrere zehntausend Menschen vom Hyde Park zur israelischen Botschaft. Demonstranten bewarfen das Gebäude mit Schuhen, nach dem neuen weltweiten Trend made in Iraq, andere lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei, ein Beamter wurde dabei bewusstlos geschlagen. Am selben Tag nahmen in Paris 100 000 Menschen an einer Demonstration teil, zu der muslimische und palästinensische Organisationen, linke Parteien und Gewerkschaften gemeinsam aufgerufen hatten. In Brüssel riefen Muslime dazu auf, den Staat Israel aufzulösen. In Mailand veranstalteten muslimische Verbände ein Massengebet gegen Israel auf dem Mailänder Domplatz, in Wien wehten neben Palästina- und Hizbollah-Fahnen auch die der AIK (Campo Antiimperialista).
Bei einer Demonstration in Amsterdam skandierte der sozialistische Abgeordnete Harry van Bommel am 3. Januar: »Intifada, Intifada, Palästina frei«, während hinter ihm »Hamas, Hamas, Juden ab ins Gas« gebrüllt wurde, wie ein Internet-Video auf schlijper.nl belegt. Der Präsident der außenpolitischen Kommission des Schweizer Nationalrats Geri Müller von den Grünen zählte sogar zu den offiziellen Rednern bei der Demonstration in Bern.
Die Solidarität mit Israel brachte dagegen keine Massen auf die Straßen. Israel-Unterstützer demonstrierten in London, Marseille, Oslo und Wien und wenigen anderen Städten. In der norwegischen Hauptstadt wurden sie am Donnerstag voriger Woche heftig mit Molotow-Cocktails, Steinen und Eiern von Gegendemonstranten attackiert. Auch in London wurde eine kleine Gruppe von Gegendemonstranten angegriffen.
Die europaweite Solidarität mit den palästinensischen Opfern des »israelischen Massakers« drückt sich seit Beginn der israelischen Offensive nicht nur verbal aus. Die Liste der Vorfälle, die in den vergangenen zwei Wochen gemeldet wurden, ist nicht gerade kurz. Der vorläufig letzte Anschlag auf eine Synagoge wurde am Sonntag im französischen Saint-Denis verübt. Hier flog ein Molotow-Cocktail gegen das Gebäude. In mehren französischen Städten wurden Synagogen oder jüdische Einrichtungen mit antisemitischen Sprüchen beschmiert; in Puy-en-Velay war an einem sozialen Zentrum neben den Slogans »Es lebe Palästina« und »Befreit Gaza« zu lesen: »Man muss die Juden töten«. Der erste Anschlag auf eine Synagoge in diesem Jahr wurde Anfang Januar in Toulouse verübt. Ein brennender Wagen rammte das Eisengitter des Gebäudes, weitere Brandsätze wurden in der Nähe des Tatorts gefunden. In Großbritannien sei es in den ersten zwei Januarwochen zu 20 bis 25 antisemitischen Vorfällen gekommen, meldete die jüdische Sicherheitsorganisation Community Security Trust (thecst.org.uk), auch in London sei ein Brand­anschlag auf eine Synagoge im Norden der Stadt verübt worden.
In der belgischen Stadt Charleroi wurden am 30. Dezember Steine gegen das Fenster einer Syna­goge geworfen, die Eingangstür wurde in Brand gesetzt. Am folgenden Tag zogen Randalierer nach einer von muslimischen Verbänden organisierten Demonstration durch das jüdische Viertel von Antwerpen, zerstörten geparkte Autos und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei, die ihnen den Zugang zu den jüdischen Wohngebieten versperrte. In Belgien war bereits in November im Rahmen der Ermittlungen gegen eine islamistische Organisation eine Liste mit den Namen von in Europa lebenden jüdischen Intellektuellen aufgetaucht, unter anderem des französischen Philosophen Bernard-Henri Lévy. Die Ermittler vermuten, es handle sich dabei um potenzielle Ziele von geplanten Anschlägen.

In Dänemark wurde sogar gezielt auf Menschen geschossen. Am 31. Dezember schoss ein Mann in Odense auf zwei Israelis, die in einem Einkaufszentrum Haarpflegeprodukte vom Toten Meer verkauften. Weil die Tat offenbar mit den Ereignissen im Gaza-Streifen im Zusammenhang steht, erklärte der Schuldirektor einer Grundschule in der Stadt, er würde es jüdischen Eltern verweigern, ihre Kinder in Schulen einschreiben zu lassen, in denen der Anteil arabischer Kinder hoch ist. Potenzielle Opfer ausschließen, statt gegen potenzielle Täter vorzugehen. Selbstverständlich aus »Sicherheitsgründen«.
Etwas kreativere Beispiele von »aktiver Solidarität« mit den palästinensischen Opfern kommen aus Italien. Die Organisation Action for Peace ruft dazu auf, bei der IDF anzurufen, sich als Informant auszugeben und so tun, als hätte man wichtige Informationen über bevorstehende Attentate. Auf die Frage nach den Namen der Terroristen soll die Antwort lauten: »Ehud Olmert, Tzipi Livni und Gabi Ashkenazi«. Ein Evergreen der Palästina-Solidarität bleibt der Boykott. Die italienische Basisgewerkschaft Cub ruft dazu auf, keine isra­elischen Produkte mehr zu kaufen. Der palästinafreundliche Käufer soll dabei auf die ersten drei Ziffern im Strichcode des zu erwerbenden Produktes achten. Die Zahl der Bestie lautet: 729. Der einzige, der in Zusammenhang mit dieser Aktion die faschistischen Rassengesetze von 1938 erwähnte, war einer, der sich mit der Geschichte des italienischen Faschismus vermutlich gut auskennt: der Bürgermeister von Rom, Gianni Alemanno.
Während insbesondere linke Medien und Organisationen weltweit darauf beharren, das vermeintliche Schweigen der so genannten internationalen Gemeinschaft über die Opfer der isra­elischen Offensive in Gaza zu brechen, reicht ein Blick auf die Schlagzeilen vieler Medien um festzustellen, dass antiisraelische Positionen längst im Mainstream angekommen sind. Dabei mag es wenig verwundern, dass prominente linke Intellektuelle wie Naomi Klein mit der ganz einfachen Formel »Boycott, Divest, Sanction« zum Boykott Israels durch die »internationale Gemeinschaft« aufruft.