Proteste in Griechenland gehen weiter

Generation 700, jetzt auch in Uniform

Die griechische Polizei arbeitet derzeit daran, ihr Image in der Öffentlichkeit zu verbessern. Dabei kamen ihr zwei bewaffneten Anschläge auf Beamte in den vergangenen Wochen sehr gelegen.

Von den drei Demonstrationen, die am Freitag voriger Woche in Athen stattfanden, verliefen zwei relativ friedlich. Bei der großen Studentendemonstration gegen die Bildungsreform der Regierung und zur Erinnerung an den 1991 durch parastaatliche Gruppen in Patras getöteten Lehrer Kostas Temponeras kam es jedoch zu Ausschreitungen. Die Polizei setzte Tränengas ein und nahm 30 Personen fest – darunter auch Rechtsanwälte. Dass der Staat gegen »gewaltbereite Demonstranten« härter durchgreifen werde, hatte Premierminister Kostas Karamanlis bereits Anfang des Jahres angekündigt. In der vergangenen Woche stellte er auch sein Kabinett in diese Richtung um. Am Mittwoch wurde der ehemalige Staatsanwalt Christos Markogiannakis, der ein Vertreter einer harten Linie gegen die Demons­tranten ist, zum neuen stellvertretenden Innenminister ernannt.

Der Staat reagiert auf dieser Weise auf die Entwicklungen der vergangenen Wochen, insbesondere auf die Schüsse gegen die Polizei, die am 5. Januar im Athener Stadtteil Exarchia den 21jährigen Polizisten Diamantis Mantzounis verletzten (Jungle World, 2/09). Der Beamte war Mitglied der SEK-Einheit, die rund um die Uhr das Kulturministerium in Exarchia bewacht.
Insgesamt wurden 31 Schüsse gezählt, zwei Waffen sollen zum Einsatz gekommen sein. 27 Schüsse seien mit einer Kalaschnikow, die restlichen vier mit einer 9mm-Pistole verschossen worden, meldete die Polizei. Die Pistole soll gemäß der ballistischen Untersuchung – die diesmal sofort erfolgte und keine zwei Wochen dauerte, wie bei der Erschießung des jungen Alexandros Grigoropoulos – bereits vor anderthalb Jahren einem Polizisten entzogen und bei einem Anschlag der Stadtguerillagruppe Revolutionärer Kampf eingesetzt worden sein. Die Kalaschnikow habe man angeblich auch beim Attentat gegen ein Polizeifahrzeug kurz vor Weihnachten im Athener Stadtviertel Zografu benutzt. Dabei wurde vom Universitätscampus aus auf ein vorbeifahrendes Polizeifahrzeug geschossen, niemand wurde dabei verletzt.
Nach den zwei Attentaten weisen Medien und der Polizei auf die Gruppe Revolutionärer Kampf hin, eine heiße Spur gibt es allerdings nicht. Trotzdem geht die Angst vor einem Comeback des Terrorismus in Griechenland um, insbesondere nach dem Aufstand von Dezember befürchten die Medien eine »Radikalisierung« vieler Jugendlicher, die einen »erhöhten Zulauf zu extremistischen Organisationen« zur Folge haben könne.
Konkrete Hinweise auf mögliche Täter gibt es nicht. Kein glaubwürdiges Bekennerschreiben ist bisher aufgetaucht, alle Möglichkeiten bleiben offen. Was sagen die Gruppen, die sich am Protest vom Dezember beteiligt haben, dazu? Eine offizielle Erklärung zu den beiden Anschlägen gibt es nicht, in linken Foren scheint allerdings Konsens darüber zu herrschen, dass diese Schüsse der Protestbewegung nur schaden können. Die Polizei scheint hingegen davon profitieren zu können. Angesichts des enormen Imageverlusts nach der Erschießung von Alexandros Grigoropoulos konnten die beiden Anschläge benutzt werden, um in der Bevölkerung Mitleid für die Beamten zu wecken.
Die Initiativen der Protestbewegung des vergangenen Monats werden durch die bewaffneten Aktionen delegitimiert, und da es keine konkreten Hinweise auf die Täter gibt, machen in den Medien wilde Geschichten die Runde. Die Rede war beispielsweise von »Verstrickungen der anarchistischen Szene mit albanischen Kriminellen« oder von Überbleibseln der Stadtguerillatruppe 17. November. Das beliebte Erklärungsmuster in den meisten Medien, das alles auf einen derzeit zugespitzten Konflikt zwischen zwei rivalisierenden Gruppen – Polizei und Anarchisten – reduziert, bietet eine sehr simples Muster der Erklärung für die Situation, der Hintergrund eines verbreiteten sozialen Aufstands wird dabei immer häufiger verschwiegen.
Die beiden Anschläge dienten der Polizei zunächst dazu, sich als »Opfer linker Gewalt« zu profilieren, und als Vorwand für den Staat, erneut in die Offensive zu gehen. Am zentralen Platz von Exarchia herrschte nach der Schießerei am 5. Januar eine regelrechte Pogromstimmung. Der Platz wurde umzingelt und mit Tränengas beschossen, unzählige Leute wurden aus den Kneipen herausgezogen und zur Polizei abgeführt, Anwohner wurden beschimpft und bedroht, unzählige Hausdurchsuchungen durchgeführt. Dabei kam allerdings nicht viel heraus. Die Antiterroreinheit musste sich mit kleinen Klappmessern oder Schwertern aus Antiquitätenläden begnügen. »Die verbreiteten Razzien haben lediglich zur Sicherstellung von Dekorationsartikeln geführt, die sich juristisch nicht verwerten lassen«, erklärte die Rechtsanwältin der Angeklagten, Marina Daliani, spöttisch.

Auch die bürgerlichen Medien scheinen sich derzeit um ein besseres Image der griechischen Polizei zu bemühen. Dabei wird in zahlreichen Beiträgen immer häufiger auf eine eigenartige Form der Klassenanalyse gesetzt, um wieder ein wenig Sympathie für die Beamten in der Öffentlichkeit zu erwecken. »Terroristen mit Kalaschnikows schießen auf unschuldige Beamte der 700-Euro-Generation«, lautet die einstimmige Analyse. Der erste, der versuchte, in diese Richtung zu argumentieren, war ausgerechnet Epaminondas Korkoneas, der Polizist, der im Dezember auf den jungen Grigoropoulos geschossen hatte. Er versuchte, sein Image als Täter zu relativieren, mit dem Argument, Grigoropoulos sei ein reiches Kind aus einer noblen Familie, im Gegensatz zu ihm, der ein Leben am Existenzminimum führe. Diese Betrachtungsweise übernahm übrigens auch Rizospastis, das Parteiblatt der griechischen KP, das ständig zwischen proletarischen Polizisten und spießigen Krawallmachern unterscheiden will.
Der Begriff der »staatlichen Provokation« ist unter allen politischen Gruppen jenseits der KP sehr unbeliebt, trotzdem kommt er nach den zwei Schießereien auf die Polizei in linken Analysen immer häufiger vor. Wer könnte – außer der Polizei, der eine Verbesserung ihres Profils sehr gelegen kam – von einer Eskalation des sozialen Konflikts profitieren? Konkrete Verschwörungstheorien wurden bislang nicht formuliert, allerdings gibt es einige Ungereimtheiten, die für solche genutzt werden könnten. Erstens: Die Verantwortung für das Attentat vom Dezember in Zografu wurde telefonisch von einer neuen Gruppe namens »Volksaktion« übernommen, ein Bekennerschreiben fehlt jedoch. Zweitens: Es ist auffällig, dass ausgerechnet vor einem Monat zum ersten Mal von der Universität aus geschossen wurde, zu einem Zeitpunkt, an dem die Debatte über die Abschaffung des Universitätsasyls heißer denn je war. Drittens: Bisher hat noch nie eine griechische Stadtguerillagruppe eine Kalaschnikow für ihre Anschläge benutzt. Schließlich ist der Protestbewegung durchaus bewusst, dass solche Anschläge den weiteren Verlauf des Protests stark beeinträchtigen können.

Einzelne Gruppen haben sich von den zwei bewaffneten Aktionen ausdrücklich distanziert. Die Antiautoritäre Bewegung Athen (AK) erklärt in einem Kommuniqué: »Nicht jede bewaffnete Aktion ist automatisch politisch. Die Schüsse trafen weder den Polizisten noch das System, sondern die Aufstandsbewegung von Dezember.« Trotzdem bleiben die meisten Gruppen der anarchistischen Szene mit Erklärungen jeglicher Art zurückhaltend, um kein Wasser auf die Mühlen der staatlichen Repression zu gießen.
Nachdem am Freitag Anwälte und Journalisten in Gewahrsam genommen worden waren, besetzten am Samstag Journalisten den Sitz des Journalistenverbands Athen. Zum ersten Mal seit Anfang der neunziger Jahre beteiligten sich die Beschäftigten der Medienbranche offiziell an den sozialen Kämpfen in Griechenland, wo häufig auf Demos skandiert wird: »Penner, Spitzel, Journalisten«. Die protestierenden Medienleute haben klar gemacht, dass sie die Stimmungsmache der vergangenen Wochen in den Medien satt haben. Sie thematisierten die Entwicklungen der vergangenen Tage und solidarisierten sich »mit allen Aufständischen«, insbesondere mit Konstantina Kuneva, der Syndikalistin, die sich seit einem Monat in kritischem Zustand befindet, nachdem Unbekannten ihr Säure ins Gesicht geworfen hatten (Jungle World, 2/09). Solidarität galt auch dem Reporter Kostas Tsironis, der entlassen wurde, weil er vier Tage nach der Erschießung von Grigoropoulos andere Polizisten beim Schießen fotografiert hatte.