Unklare Kriegsziele der Israelis

Kein Sieg in Sicht

Wie beim Libanon-Krieg 2006 stellt sich für Israel die Frage, worauf der Krieg am Ende hinauslaufen soll. In Israel wachsen die Zweifel daran, dass die Hamas tatsächlich langfristig entmachtet werden kann.

Über zwei Wochen dauert nun die israelische Offensive im Gaza-Streifen an, und noch immer ist nicht deutlich, was jenseits der allgemeinen Formel von »mehr Sicherheit für Israels Süden« das konkrete Ziel des Kriegs ist. Sollte es die Zerschlagung oder wenigstens eine entscheidende Schwächung der Hamas sein, so ist dieses Ziel noch in keiner Weise erreicht worden.
Am Samstag wurde von der Armee zum ersten Mal eine Schätzung veröffentlicht, wonach etwas mehr als 300 Hamas-Kämpfer getötet worden sind. Seriöse Quellen gehen davon aus, dass die Hamas im Gaza-Streifen etwa 10 000 Militante unter Waffen hat. Auch der Beschuss Israels mit Raketen hält unvermindert an. Selbst wenn man den Anteil nichtmilitärischer Hamas-Funktionäre unter den Toten abzieht, erscheint doch die Schätzung der UN zutreffend, dass mindestens die Hälfte der inzwischen mehr als 800 Toten auf palästinensischer Seite Zivilisten sind.

Mit dem Beginn der Bodenoffensive am 3. Januar hat sich nicht nur die Situation für die Bewohner des Gaza-Streifens weiter verschlechtert. Auch für Israel ist es noch schwieriger geworden. Inzwischen sind bereits zehn israelische Soldaten ums Leben gekommen. Die Zahl ist nur deshalb so niedrig, weil die israelische Armee deutlich rücksichtsloser vorgeht als etwa noch im zweiten Libanon-Krieg.
Am Sonntag rückten israelische Truppen erstmals in Vororte von Gaza-Stadt vor, wobei sie offen­bar auf heftigen Widerstand der Hamas stießen. Nach Ansicht der Armeeführung sind durchschlagende militärische Erfolge nur dann möglich, wenn die Offensive noch einmal stark ausgeweitet wird und man in die städtischen Zentren des Gaza-Streifens vordringt. Dies würde aber nicht nur noch mehr Opfer unter Zivilisten bedeuten, sondern wohl auch eine erhebliche Menge toter israelischer Soldaten. Das israelische Kabinett hat daher am Freitag voriger Woche beschlossen, den Einsatz zunächst in der bisherigen Intensität zu belassen.
Die militärische Eskalation, aber auch der zunehmende internationale Druck haben die Debatten innerhalb der israelischen Regierung über den richtigen Weg zu einem Ende des Kriegs weiter verstärkt. Verteidigungsminister Ehud Barak und Außenministerin Zipi Livni, die sich bei den Parlamentswahlen am 10. Februar als Spitzen­kandidaten ihrer jeweiligen Parteien – Barak für die Arbeitspartei, Livni für die Partei Kadima – gegenüberstehen werden, vertreten hier entgegengesetzte Strategien. Barak möchte den Krieg so schnell wie möglich mit einem formalen Waffenstillstandabkommen beenden. Dieses soll wirksame Vereinbarungen enthalten, um eine Wiederbewaffnung der Hamas zu unterbinden. Livni setzt darauf, der Hamas einen möglichst empfindlichen Schlag zu versetzen und sich dann ohne Abkommen aus dem Gaza-Streifen zurückzuziehen. Die Drohung, die Angriffe wieder aufzunehmen, soll die Hamas daran hindern, weiter Raketen auf Israel abzufeuern.

Hinter diesen beiden Strategien stehen auch politische Erwägungen, die der Logik des bereits in vollem Gange befindlichen Wahlkampfs entstammen. Barak will um jeden Preis vermeiden, dass der Krieg mit einer ähnlich hohen Zahl toter israelischer Soldaten endet wie derjenige im Libanon. Dies würde die relativ große Zustimmung, die er und die Arbeitspartei derzeit genießen, sofort in ihr Gegenteil verkehren. Zudem will sich Barak, dessen militärische Fähigkeiten selbst von der politischen Rechten anerkannt werden, als Diplomat profilieren. Hier hatte sich bisher Livni einen Namen machen können, der es hingegen an Glaubwürdigkeit als militärische Führungsfigur fehlt. Ebenso wie der Libanon-Krieg für Ministerpräsident Ehud Olmert und den damaligen Verteidigungsminister Amir Peretz soll der Gaza-Krieg nun für Livni den Makel beseitigen, keine militärische Erfahrung vorweisen zu können.
Die Prozente, die Baraks Arbeitspartei in den vergangenen zwei Wochen in Umfragen dazu­gewinnen konnte, stammen zum größten Teil von Livnis Partei Kadima. Das Verhältnis zwischen den beiden zentristischen Parteien und der nationalistischen Rechten hingegen hat sich kaum verändert. Benjamin Netanjahus Partei Likud kann durch den Krieg und den dadurch entfachten Nationalismus ohnehin nur profitieren. Endet der Krieg für Israel glimpflich, so kann Netanjahu darauf verweisen, dass er schon seit langer Zeit eine Militäraktion gegen die Hamas gefordert hat. Endet er in einem Desaster ähnlich dem zweiten Libanon-Krieg, so kann er sich als die bessere Alternative zu Barak und Livni präsentieren.
Währenddessen machen sich in der israelischen Öffentlichkeit, wenn auch bislang nur in ihrem linken und linksliberalen Teil, erste Zweifel an der bislang fast einstimmigen Befürwortung des Kriegs bemerkbar. Die Bodenoffensive hat nun auch die beiden wichtigsten linkszionistischen Organisationen, die Partei Meretz und die Friedensbewegung Peace Now, dazu gebracht, ein Ende des Kriegs zu fordern. Am Samstag rief Peace Now erstmals zu einer Demonstration in Tel Aviv auf. Noch ist die Kritik sehr vorsichtig und betont die grundsätzliche Rechtmäßigkeit der Militär­offensive. Auch dies hat mit den bevorstehenden Wahlen zu tun. Yariv Oppenheimer, der Vorsitzende von Peace Now, kandidiert bei den Parlamentswahlen auf der Liste der Arbeitspartei. Meretz fürchtet, durch den patriotischen Taumel im Umfeld des Kriegs politisch noch weiter marginalisiert zu werden.

Doch auch in manchen Medien finden sich allmählich kritische Töne. Haben in der Zeitung Haaretz zu Beginn des Krieges nur Linke wie Gideon Levy und Akiva Eldar ein Ende des Kriegs gefordert, so schließen sich dem inzwischen auch mehr dem Mainstream zuneigende Kolumnisten wie Aluf Benn und Yoel Marcus an. Am Freitag voriger Woche titelte das Editorial der Zeitung »Raus aus Gaza jetzt!« und forderte ein sofortiges Ende der Kämpfe. Selbst in der konservativen ­Jerusalem Post finden sich vereinzelt kritische Stellungnahmen. Immer häufiger werden Parallelen zum desaströsen Ausgang des Libanon-Kriegs im Jahr 2006 gezogen. Noch ist dies keine Wende in der öffentlichen Debatte, aber die Zeiten der Einigkeit scheinen vorbei.
Dass sich die gemäßigte Linke so schwer tut, den Schritt zum offenen Protest zu machen, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sie in einem wichtigen Punkt die Grundüberzeugungen der Regierung teilt. Demnach soll die Hamas durch die Demonstration militärischer Übermacht von weiteren Angriffen auf Israel abgeschreckt werden. Es scheint aber, dass die Hamas noch weniger als die Hizbollah, die zumindest teilweise auf die innenpolitischen Kräfteverhältnisse im Libanon Rücksicht nehmen muss, durch militärische Mittel abgeschreckt werden kann.
Durch den Rückzug aus Gaza 2005 hat Israel nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass die Hamas sich im Gaza-Streifen als dominierende Kraft etablieren konnte. Auch die jetzige Offensive entspringt der Grundüberzeugung, dass die Sicher­heit Israels nicht durch eine Unterstützung der gemäßigteren Palästinenser, sondern durch die militärische Konfrontation mit den Radikalen gewährleistet werden soll. Statt sie zu schwächen, wird Israel damit aber der Hamas womöglich zu neuer Legitimation verhelfen, wenn am Ende direkt oder vermittelt mit ihr verhandelt werden muss. Einen dauerhaften Frieden wird es mit der Hamas nicht geben können. Dafür müsste der Gruppe der Boden entzogen werden, indem man die Lebensbedingungen der Palästinenser deutlich verbessert. Hierzu könnte Israel Entscheidendes beitragen.