Der Comic als Medium jüdischer Erinnerung

Knockout Hitler

Was Superman mit dem Führer gemacht hätte: Eine Ausstellung in Frankfurt zeigt den Comic als Medium jüdischer Erinnerung.

Erinnern bedeutet Kontinuitäten und Diskontinuitäten zwischen dem Vergangenen, der Gegenwart und dem Zukünftigen offenzulegen und den Bruch zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft zu überwinden. Es heißt aber auch, das Vergessene wieder ins Bewusstsein zu rücken und so gegenwärtig zu machen. Daher verwundert es kaum, dass Erinnerungsdiskurse in der jüdischen Kultur eine wesentliche Rolle spielen und untrennbar mit der Schrift, also der Überlieferung durch Texte, sowie mit der Typografie und dem Bild verbunden sind.
Obwohl der Comic als ein Medium, das Bild, Schrift und Text in sich vereint, nicht von jüdischen Zeichnern erfunden wurde, war er seit seiner Entstehung ein kreatives Mittel, das zur Ausprägung eines kollektiven jüdischen Gedächtnisses beitrug und bis heute sinnstiftend für eine jüdische Identität ist. In der liebevoll gestalteten Ausstellung »Superman und Golem – Der Comic als Medium jüdischer Erinnerung«, die bereits in Paris und Amsterdam auf überwältigende Resonanz stieß, wird diese Geschichte im Jüdischen Museum Frankfurt durch eine chronologische Werkschau der wichtigsten Künstler nachgezeichnet. Inwieweit sich immer eine spezifisch jüdische Erinnerung in den vorgestellten Comics findet, bleibt zwar oft unklar, dennoch gelingt es der Ausstellung darzustellen, dass es gerade jüdische Zeichner waren, die maßgeblich die Entwicklung des Comics vorangetrieben haben und bis heute bestimmen.
Mit der Etablierung der Comic-Books, die vor allem durch die von Joe Schuster und Jerry Siegel erschaffene Superman-Figur populär wurden, ergab sich erstmals die Möglichkeit, mit dem Comic auch Geschichten erzählen zu können. Zuvor kannte man Comics nur in Form von kurzen Strips, die in Zeitungen abgedruckt wurden und immer einen reißerischen Höhepunkt am Ende bieten mussten, um eine Leserschaft an die Zeitung zu binden. Dies schränkte natürlich die erzählerischen Möglichkeiten des Comics enorm ein und unterschätzte sein hohes künstlerisches Potenzial. Erst die 1938 in der ersten Ausgabe der Action Comics erschienene Superman-Reihe befreite ihn aus diesem Dilemma.
Superman alias Clark Kent führt ein Doppelleben: In seiner menschlichen Existenz arbeitet er als Reporter für den Daily Planet, der größten Zeitung seiner Heimatstadt Metropolis. Doch als Superman nutzt er seine übermenschlichen Fähigkeiten im Kampf gegen das Verbrechen. In dieser gespaltenen Figur kanalisieren sich die Erfahrungen der jüdischen Immigrantenkinder Schuster und Siegel, die, wie viele andere jüdische Comiczeichner, ihre Herkunft, also ihre von Ausgrenzung und Verfolgung geprägte Geschichte, meist aus Angst verleugneten. So anglisierten zum Beispiel der Batman-Schöpfer Bob Kane und der Marvel-Zeichner Jack Kirby, eigentlich Robert Kahn und Jacob Kurtzberg, ihre Namen. Andere verbargen ihre Identität hinter Pseudonymen.
Superman ist eine Figur, die neben ihren zahlreichen popkulturellen Referenzen auch Elemente jüdischer Mystik und christlicher Heilslehre in sich trägt. Wie Moses wird der dreijährige Kal-El, Supermans dritte Identität, von seinem Vater, dem auf dem Planeten Krypton lebenden Wissenschaftler Jor-El, auf der Erde ausgesetzt, um ihn vor dem drohenden Untergang Kryptons zu bewahren. Am Rande von Smallville findet ihn dann das Ehepaar Kent, das ihn wie einen eigenen Sohn großzieht. Die Parallelen zwischen dem Untergang Kryptons und der heraufziehenden Katastrophe in Europa während des Zweiten Weltkrieges liegen auf der Hand. »Ich würde dir gerne einen nicht-arischen Faustschlag auf deinen Kiefer verpassen!« sagt Superman zu Hitler und verweist damit auf seinen jüdischen Ursprung. Wie der zum Schutz der Prager Juden vom Kabbalisten Rabbi Löw geschaffene Golem kämpft auch Superman mit übernatürlichen Kräften gegen die Nazis.
Will Eisner erinnert auf eine andere Weise. Seine Geschichten erzählen meist autobiografisch das Aufwachsen und Leben in den New Yorker Tenements, wo eine Vielzahl jüdischer Immigranten Unterkunft fand. »Das meiste, von dem ich erzähle, beruht auf eigenen Erfahrungen oder auf Erlebnissen von Menschen, die ich kannte. Wenn man in der Großstadt lebte, dann war die Straße, in der man aufwuchs, die ›Heimat‹, und man verwies auf sie als ›Nachbarschaft‹. Der Wohnsitz definierte einen genauso wie die nationale Abstammung und machte einen zu einem lebenslangen Mitglied einer Bruderschaft, die von Erinnerungen zusammengehalten wird.« Sein 1978 erschienener Comic »A Contract with God, and Other Tenement Stories« revolutionierte das Genre, denn mit ihm führte er auch den Begriff der Graphic Novel ein und etablierte sie als »sequenzielle Kunst«, abseits von den meist für Kinder zur Unterhaltung bestimmten DC- und Marvel-Comics. Handlungsort der vier miteinander verwobenen Kurzgeschichten ist ein Tenement in einer Straße der Bronx, der 55 Dropsie Avenue, wo Eisner in den zwanziger und dreißiger Jahren aufwuchs.
Der fromme Jude Frimme Hersh verliert seine geliebte Tochter Rachele. Rückblickend wird erzählt, wie er als kleiner Junge aus einem von antisemitischen Pogromen bedrohten Dorf in Russland fliehen kann, weil er von der Dorfgemeinschaft dank seiner guten Taten auserwählt wird. In der Nacht seiner Überfahrt in die USA schließt er mit Gott einen Vertrag ab, den er auf einen Stein ritzt. Nach dem Tod seiner Tochter wirft er jedoch den Stein aus dem Fenster und endet als einsamer Grundstücksbesitzer. Der Zwiespalt jüdischer Immigranten der dreißiger Jahre zwischen der Assimilation an das urbane Leben New Yorks und der Bewahrung von jüdischer Tradition und Glaube ist das zentrale Thema in »A Contract with God, and Other Tenement Stories«. Bezeichnenderweise wird der Stein von einem anderen Jungen gefunden, womit die Geschichte fortgeschrieben und zu einem Zeugnis des Überlebens wird.
1955 erscheint der erste Comic, der die Shoah thematisiert: »Master Race« von Bernard Krigstein nach einem Szenario von Al Feldman. Die achtseitige Kurzgeschichte berichtet von der Enttarnung eines in New York untergetauchten KZ-Kommandanten. Anders als Art Spiegelmans streng historiografische Graphic Novel »Maus« beruht die Erzählung von »Master Race« nicht auf einer historischen Begebenheit, sondern ist rein fiktiv. Trotzdem hatte »Master Race« großen Einfluss auf die Darstellung der Shoah im Comic. Der Protagonist Reissmann wird von einem Fremden verfolgt und stürzt sich vor eine U-Bahn, was Krigstein in einer zweireihigen Panelfolge ohne Text darstellt. In der Geschichte verwischen sich die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit, denn es bleibt offen, ob der Fremde ein ehemaliger KZ-Häftling ist, der sich rächen will, oder ob es sich um eine Projektion der Schuld Reissmanns handelt. Für Spiegelman ist »Master Race« ein Meisterwerk, das Krigstein von allen anderen jüdischen Comiczeichnern abhebt. »Es ist, als ob die anderen Comiczeichner ausdrucksstark Jiddisch abgezeichnet hätten, während Krigstein wortgewandt Hebräisch malte.« Bernice Eisensteins autobiografisches Buch »Ich war das Kind von Holocaust-Überlebenden«, Miriam Katins »Allein unter Allen« und »Yossel« von Joe Kubert stehen in der Tradition von »Maus«.
Richtet man den Blick auf europäische Comic-Künstler, merkt man, dass ihre Graphic Novels weniger mit autobiografischen Erzählweisen verknüpft sind als mit einer kollektiven Geschichte des Judentums. Der jüdisch-französische Comic-Zeichner Joann Sfar, Kind einer aschkenasischen Mutter und eines sephardischen Vaters, ist ein Star in der französischen Szene. Seine in zahlreiche Sprachen übersetzten Comics gewähren tiefe Einblicke in das Wesen und die Geschichte des Judentums. »Die Katze des Rabbiners« erzählt von einer jüdischen Katze, die ihre Bar-Mizwa feiern möchte. Dabei stellt sie ihren Rabbiner auf die Probe, indem sie die Glaubensgrundsätze hinterfragt. Sfar zeichnet in dieser Comic-Reihe ein Bild der sephardischen Juden Nordafrikas und rückt damit auch vergessene Fragmente der jüdischen Geschichte ins Bewusstsein. Der 1938 in Frankreich geborene Jean »Moebius« Giraud bringt Sfars grafische Erinnerungsarbeit auf den Punkt: »Er ist einer dieser begnadeten Menschen, deren Aufgabe es ist, Geschichten zu erzählen, die den Geschichten ihrer Vorfahren einen Sinn geben.«

Superman und Golem. Der Comic als Medium jüdischer Erinnerung. Jüdisches Museum, Frankfurt. Bis 22. März