Der Film »Reich des Bösen – Fünf Leben im Iran«

Rollenspiele mit Allahs Segen

In Mohammad Farokhmaneshs Dokumentarfilm »Reich des Bösen – Fünf Leben im Iran« äußern sich die Einwohner so kritisch über ihr Land, wie es die iranische Zensur erlaubt.

Hamburger, Fußball, Party, Break­dance, Ayatollah Khomeini – glaubt man Mohammad Farokh­maneshs Dokumentarfilm »Reich des Bösen – Fünf Leben im Iran«, sitzen die Einwohner von George Bushs Schurkenstaat Nummer eins zwischen allen Stühlen. Die Protagonisten, denen man hier durch den Alltag folgt, hat sich der in Hamburg lebende Iraner in der Hauptstadt Teheran gesucht – dort leben 14 Millionen Men­schen. Auf dicke Hose machen die nicht – wenigstens nicht die in Farokhmaneshs Film, dem wahrscheinlich ersten, der das Leben des Iraners um die Ecke für das westliche Kino nachzeichnet.
Der Regisseur will Aufklärungsarbeit leisten. Die großspurigen Reden des Präsidenten Mah­moud Ahmadinejad rund um die halben Atombomben des Iran interessieren ihn dabei ebenso wenig wie die Berichterstattung westlicher Me­dien. Gleich aber zu Beginn schränkt er ein: Auch das Drehteam hat sich an die Regeln der iranischen Zensur und Politik zu halten gehabt. Sonst hätte es keine Bilder gegeben. Auch, wie es dem Zuschauer mitgeteilt wird, »um eventuelle Probleme für alle Beteiligten dieses Films zu vermeiden«.
Offensichtlich hat das aber niemand den fünf Porträtierten mitgeteilt. Zumindest beim Bericht über Protagonistin Nummer eins, die Fech­terin Setayesh, hat man den Eindruck, der Iran kann die Sportlerinnenszene mal kreuzweise. Von den olympischen Spielen und anderen internationalen Wettkämpfen träumen sie, aber »die Umstände in diesem Land« ließen die Teilnahme nicht zu, wie Setayesh sagt.
Es sei gar nicht auszudenken, wo die iranischen Fechterinnen stehen könnten, hätten sie nur »ein richtiges Budget und professionelle Trainer«. Stattdessen müssen sie sich selbst zum Training komplett einmummeln. Der Fechtsport sei mehr oder weniger die einzige Sportart, bei der man sowieso schon komplett verhüllt sei. Wieso man dann noch Kopftuch und Mantel anziehen müsse, sei ihnen, den Sportlerinnen, wahrhaft schleierhaft. »Ich wünschte, die Regierung würde sich mehr für Sport einsetzen. Insbesondere für den Frauensport«, sagt Setayesh.
»Wir haben im Leben so viele Rollen gespielt. Wenn Sie genau hinsehen, merken Sie, dass wir alle nur spielen. Gott gibt jedem eine Rolle. Jetzt bin ich alt und hab’ es bald geschafft«, so kommentiert ihre Großmutter den Alltag.
Setayeshs Mann ist Profisportler, Wasserballer. Weder kann sie ihn live bei den Wettkämpfen erleben noch umgekehrt. Beide stehen sich die Beine vor den Sportpalästen, in denen der jeweils andere aktiv ist, in den Bauch.
»Der Iran bringt mir keine Vorteile«, stichelt eine ihrer Mitkämpferinnen. Nichts gehe ohne Beziehungen. Ausschließlich junge Frauen aus der Oberschicht profitierten vom System. O-Ton: »Die Regierung tut nichts und ver­schwen­det nur unsere Einnahmen aus dem Ölgeschäft.« Der Islam werde erst dann die bessere Religion sein, wenn er auch den Frauen etwas bringe.
Und dabei kann er sich schon mal warm anziehen, denn: »Die iranische Frau macht auch dann noch zwei Stunden Kraftraining, wenn sie außer Atem ist«, wie die Fechterinnen über sich selbst sagen. Im Hintergrund hört man einen Zwischenruf: »Tod den USA«. Die Sportlerinnen müssen lachen. Die USA sind ihr Sehnsuchtsort.
Der Spottruf ist gleichzeitig die Überleitung zu einem der männlichen Protagonisten. Mr. Mei­dani, Leiter einer privaten Sprachschule, sieht seine Berufung darin, als Geistlicher den Gläubigen die Lehren des Islam näher zu bringen. »Die Iraner«, sagt er, »wünschen sich nichts anderes als Frieden und Ruhe.«
Wir sitzen mit dem eleganten Pauker im Auto und fahren die Teheraner Magistrale runter. Da, wo andere Länder ihre Unterwäschereklame hängen haben, kleben hier Riesenplakate an den Häuserwänden, die das Ende der amerikanischen Supermacht fordern: »Nieder mit den USA«.
Abgesehen davon, wie die reale Politik aussieht, stehen die USA für alles, was im Iran gerade nicht läuft. Zum Beispiel für einen Mangel an Mitgefühl. Nehme der Einfluss aus dem Westen überhand, sagt Herr Meidani, fehle es den Menschen an Warmherzigkeit, »sie lieben ih­re Hunde und Katzen mehr als ihre Mitmenschen«.
So predigt er es denen, die dies nur allzu gern hören: den älteren Leuten. Die jungen Leute würden nur zum Tanzen rennen, konstatiert er weltgewandt, und sich nicht für ihre Eltern interessieren. »Die werden ins Altersheim abgeschoben, bestenfalls.« Wo sie dann nicht mal mehr besucht würden.
Meidani steht für den systemkonformen, stark religiös denkenden Iraner. Auch in seinem Sprachunterricht spielt die Religion eine wichtige Rolle: »Sie kann unseren Geist aufbauen.« Außerdem sei nur mit ihr dem Höllenfeuer zu ent­kommen. So singt er es seinen Schülern vor.
Spätestens wenn man ihn auch noch im religiösen Radioprogramm hört, geht einem der staatstragende Herr Meidani ganz schön auf die Nerven.
Farokhmaneshs Film beschäftigt sich noch mit drei weiteren Biografien: mit der von Mahtab, einer jungen Sängerin, die mit ihren Plänen für eine Solokarriere kein Bein auf die Erde bringt, weil Frauen allein gar nicht auftreten dürfen; mit der des radikal-islamischen Abbas, einem Angehörigen der Miliz, der Interessantes aus der Zeit des Krieges mit dem Irak zu berichten weiß – aus dieser Zeit stammt auch der Hass auf alles Amerikanische. Die letzte im Bunde ist Golsa, das Mädchen aus wohlbehütetem Elternhaus, das Themen wie Religion, Politik und Frauenrechte zunächst einmal nur dann spürt, wenn die Verwandten ihr das Kopftuchtragen beibringen.
Ob es im Iran eigentlich Telefon gebe, ob die Eltern jeden Tag zum Beten in die Moschee gingen – dies seien die Fragen gewesen, die man ihm gestellt habe, als er vor 15 Jahren nach Deutschland gekommen sei, sagt Regisseur Farokhmanesh, dessen Familie im Iran lebt.
Insgesamt habe er mit über 500 Leuten gesprochen, bis er sich für die fünf entschieden habe, die im Film zu sehen sind. »Ich wollte vier Protagonisten aus den für mich wichtigsten Bereichen Religion, Kunst und Sport mit dabei haben und zusätzlich ein Kind, das einen unschuldigen Blick auf die Gesellschaft hat und noch nicht von ihr geprägt wurde.«
Ihm sei es wichtig gewesen zu zeigen, dass der Iran nicht nur aus seiner Regierung bestehe, »sondern aus 70 Millionen Menschen, mit ganz normalen Sorgen und Nöten«.
Der Film habe mit Sicherheit eine Botschaft, aber »das ist nichts, was ich explizit vermitteln wollte. Ich habe lediglich versucht, ein klares realistisches Bild zu zeigen, und wollte mich vor allem nicht politisch, sondern auf einer mensch­lichen Ebene mit dem Thema auseinandersetzen.«
Der Iran habe wie jedes Land seine Höhen und Tiefen, »sowohl innen- als auch außenpolitisch«. Durch die neuen Medien würde den Menschen im Iran allerdings »immer mehr über sich selbst und die Welt bewusst«.
Das habe Auswirkungen auf die Regierung und die Machthaber, die zum großen Teil verstan­den hätten, dass sich der Iran in der Weltpolitik nicht isolieren dürfe. Mit ihnen sei in einen »konstruktiven Dialog« zu treten. »Es wäre wünschenswert«, sagt Farokhmanesh, »wenn der Film den Horizont des westlichen Publikums erweitert.«
So würde das sicher auch Herr Meidani unter­schreiben. Bei den im Film porträtierten Frauen ist man da nicht so sicher.

»Reich des Bösen – Fünf Leben im Iran«. D 2007. Regie: Mohammad Farokhmanesh. Start: 15. Januar