Das zweite Konjunkturpaket der Bundesregierung

Bubblegum vom Staat

Nach der Zeit des Zögerns wartet die Bundesregierung mit einem zweiten »Konjunkturpaket« auf. Zudem hilft sie den maroden, deutschen Großbanken. Kann das gutgehen?

Nun ist es endlich da. Wochenlang hatte sich die Bundesregierung gegen ein zweites, umfangreiches »Konjunkturpaket« gesperrt und stattdessen eine Politik der »ruhigen Hand« verkündet. Wer sich erinnern kann: Noch im vergangenen Jahr verkündete der Finanzminister Peer Steinbrück (SPD), die Finanzkrise sei vor allem ein Problem der USA und würde Deutschland kaum betreffen. Offenbar konnte er damit nur Ussama bin Laden überzeugen, der Steinbrück vergangene Woche in seiner Videobotschaft über den nahenden Zusammenbruch des »großen Satans« zitierte. Bei den meisten Ökonomen stieß der Finanzminister damit hingegen auf Unverständnis und Spott – der Nobelpreisträger Paul Krugmann mutmaßte im Dezember sogar, die Regierung in Berlin verfüge nicht über die intellektuellen Kapazitäten, um das ganze Ausmaß der Krise zu verstehen.

Damals hatte die Bundesregierung gerade ein europäisches Konjunkturprogramm zurückgewiesen und den britischen Premierminister Gordon Brown belehrt, warum dessen Pläne, die Mehrwertsteuer zu senken, keinen Sinn ergäben: Die Effekte auf die Nachfrage würden verpuffen, während die Schulden für Jahrzehnte blieben. Nun muss sich Steinbrück ähnliche Vorwürfe gefallen lassen. Dabei hatten fast alle namhaften Politiker, Wirtschaftsinstitute, Zeitungskommentatoren, Gewerkschaften und Verbände in den vergangenen Wochen die zögerliche Haltung der Bundesregierung sowie das im Dezember beschlossene, erste »Konjunkturpaketchen« (Frankfurter Rundschau) heftig kritisiert und ein rasches Handeln gefordert. Mit Erfolg.
Sichtlich ergriffen stellte die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der vorigen Woche das größte Investitionsprogramm der Nachkriegsgeschichte vor und versprach sogar einen »Modernisierungsschub« für das kommende Jahrzehnt. »Wir wollen diese Krise nicht nur einfach überstehen, Deutschland soll aus dieser Krise stärker und zukunftsfester herauskommen, als es hineingeht«, sagte sie.
Tatsächlich erinnert die 50 Milliarden Euro umfassende Mischung aus Steuersenkungen, Subventionen und Investitionsprogrammen eher an vergangene Zeiten: Geld gibt es vor allem für den Auto-, Gebäude- und Straßenbau. Mit keinem Wort wird die so genannte Kultur- und Kreativwirtschaft erwähnt, die mittlerweile mehr Beschäftigte aufweist als die Automobilindustrie, die Chemie- oder die Kreditwirtschaft. Ebenso wenig taucht der Klimaschutz auf, bei dem Merkel noch vor kurzem eine Vorreiterrolle in Europa einnehmen wollte – im neuen Programm kann man ihn höchstens in einer ­homöopathischen Dosis entdecken.

Statt »in die Köpfe« wird künftig eifrig in Beton investiert: Etwa 8,6 Milliarden Euro werden bereitgestellt, um Schulen zu sanieren, während es jedoch kein Geld gibt, um die derzeit fehlenden 30 000 Lehrer einzustellen. Dabei galten im »Land der Ideen«, so der Titel einer Imagekampagne der Bundesregierung, Bildung und Forschung bislang als »zukunftsweisende Sektoren«. An deren Stelle soll nun wohl wieder die traditionelle Auto- und Baubranche treten, deren Vertreter sich pünktlich zum Wahlkampfauftakt im Sommer immerhin über einen kleinen Aufschwung freuen können.
Ähnlich zweifelhaft ist die Wirkung der Steuersenkung. Umgerechnet auf die Bevölkerung könne sich jeder Bürger dadurch im Monat gerade mal »eine Curry-Wurst mit Mayonnaise, ohne Pommes« leisten, lästerte der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle. Für viele reicht es vermutlich nicht einmal dazu. Wer unterhalb der Steuergrenze verdient, Rentner oder erwerbslos ist, bekommt ohnehin kaum etwas von der Steuersenkung mit. Auch die Einmalzahlung von 100 Euro für jedes Kind wird die Binnennachfrage kaum dauerhaft beleben. Kleine Verbesserungen gibt es dafür in Bereichen, die mit dem »Konjunkturpaket« nichts zu tun haben – eine von ihnen ist zum Beispiel der neue Mindestlohn für Zeitarbeiter.
Deutlich spürbar sind die Ausgaben jedoch an anderer Stelle. Die geplante Neuverschuldung vervierfacht sich auf etwa 40 Milliarden Euro. Jähr­lich muss die Bundesregierung nun 71 Milliarden Euro allein an Zinsen für die 1,5 Billionen Euro Staatsschulden zahlen. Vielleicht kommt es daher auf ein paar Milliarden Euro mehr oder weniger gar nicht mehr an. Denn fast gleichzeitig mit dem Konjunkturpaket beschloss die Koalition, die marode Commerzbank mit 18 Milliarden Euro zu unterstützen – obwohl das Unternehmen mittlerweile nicht einmal ein Viertel dieser Summe wert ist. Die Commerzbank hatte sich bei der Übernahme der Dresdner Bank verschätzt und ist wegen fauler Kreditpapiere schwer belastet.
Die Entscheidung rief heftige Irritationen hervor: Die Teilverstaatlichung der Commerzbank sei eine »planlose Verschleuderung von Staatsvermögen«, wetterte die Linkspartei, da die Bundesregierung trotz ihrer riesigen Finanzhilfe weitgehend auf eine Einflussnahme in dem Unternehmen verzichte. »Es kostet mich einige Überwindung, diesen Satz zu schreiben, aber: Die Linkspartei hat recht«, kommentierte ­Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende des Axel-Springer-Konzerns, den Vorgang zerknirscht in der Welt und warnte vor dem Präzedenzfall »VEB-Commerzbank«: Was, so fragte Döpfner, wenn nun defizitäre Unternehmen in der Automobil- oder in der Medienbranche auf ähnliche Gedanken kämen?
Schon bald könnten für Merkel die schlimmsten Alpträume Döpfners wahr werden. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung erwägt die Bun­desregierung sogar, die von hohen Verlusten zerrüttete Immobilienbank Hypo Real Estate mehrheitlich zu übernehmen und selbst zu kontrollieren. Grund dafür ist dem Bericht zufolge der immense Kapitalbedarf des Unternehmens, das offenbar mit den bislang bewilligten 80 Milliarden Euro an Krediten und Garantien nicht auskommt.

Und selbst dieser Einsatz könnte sich noch als banal erweisen angesichts der Unsicherheit, die derzeit das größte Kreditinstitut des Landes verbreitet. Nachdem er zum ersten Mal in der Geschichte des Unternehmens dazu gezwungen war, einen Milliardenverlust zu verkünden, erlitt der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann, in der vergangenen Woche prompt einen Schwächeanfall. Kurz zuvor hatte er noch einen spektakulären Deal mit der Postbank ausgehandelt. Im Zuge einer beschleunigten Übernahme dieses Unternehmens zahlt die Deutsche Bank einen Teil des Kaufpreises von 4,9 Milliarden Euro in eigenen Aktien. Damit ist aber auch der Staat, dem nach wie vor große Anteile an der Postbank gehören, an dem Geldhaus aus Frankfurt beteiligt.
Der Vorstandsvorsitzende der Post, Frank Appel, beteuerte zwar sogleich, dass damit keine »Teilverstaatlichung« verbunden sei. Doch falls sich die größte deutsche Bank nicht aus eigener Kraft aus der misslichen Lage befreien kann, hat Merkel ein wirklich großes Problem: Die Bilanzsumme der Deutschen Bank entspricht ungefähr dem Wert des gesamten Bundeshaushalts.
So kann die Koalition nur hoffen, dass sich die Wirtschaft möglichst schnell erholt und die Schulden nicht gänzlich außer Kontrolle geraten. Vieles spricht jedoch dafür, dass die keynesianischen Konzepte – staatliche Investitionen in der Rezession, die in Zeiten des Aufschwungs wieder mittels höherer Steuereinahmen an den Staat zurückfließen – auch in dieser epochalen Krise nicht funktionieren. Dann ist das »Konjunkturpaket« nur der erste Schritt in einen neuen Krisenzyklus: Nach der Immobilienblase und dem Finanz­crash kommt die staatliche Bubblegum-Ökonomie.