Wer finanziert den Gesundheitsfond?

German Sicko

Den seit dem neuen Jahr bestehenden Gesundheitsfonds füllen vor allem die Lohnabhängigen. Unter den Ärzten ist bereits ein Verteilungskampf um die zugeteilten Honorare entbrannt.

Die Argumente und die ihnen zugrunde liegende Ideologie waren bekannt: Die Kosten im Gesundheitswesen und die Lohnnebenkosten seien zu hoch und der Standort Deutschland sei gefährdet. Deshalb beschloss die Große Koalition 2007 eine Gesundheitsreform, deren wichtigster Bestandteil der Gesundheitsfonds ist. Wegen der vermeintlich drängenden Probleme war es konsequent, dass sich das Bundesgesundheitsministerium mit der Reform die Zuständigkeit dafür gesichert hat, einen einheitlichen Beitragssatz für alle Kassen festzulegen.
Bis zum Ende des vergangenen Jahres bestimmte hingegen jede gesetzliche Krankenkasse ihren Beitragssatz selbst. Dieses Recht machte einen wesentlichen Teil der »Selbstverwaltung« aus. Trotz eines zu 95 Prozent einheitlichen Leistungskatalogs ergaben sich Beitragsunterschiede von mehreren Prozentpunkten.
Im Jahr 2008 lag der durchschnittliche Satz bei 14,97 Prozent. Im November 2008 hat das Bundes­gesundheitsministerium den Beitragssatz, der für die nächsten Jahre gelten sollte, auf 15,5 Prozent festgelegt, was zumindest dem wirtschaftspolitischen Zweck, nämlich der Senkung der Lohnnebenkosten, zuwider liefe. Der Beitrag sollte folgendermaßen aufgeteilt werden: Die Unternehmer hätten 7,3 Prozent, die Lohnabhängigen 8,2 Prozent des Bruttolohns zahlen müssen. Für das »Konjunkturpaket II« wurde allerdings der Beitragssatz von 15,5 Prozent schon wieder revidiert.
Die Summe von ungefähr 167 Milliarden Euro aus den Beiträgen landet in einem Fonds. Aus diesem erhalten die Kassen für jeden Versicherten eine monatliche Grundpauschale von 185,63 Euro. Dazu bekommen die Kassen für Versicherte mit bestimmten Krankheiten einen Zuschlag. Dieser »morbiditätsorientierte Strukturausgleich« soll die Kassen dazu bewegen, auch Kranke zu versichern und nicht nur gesunde, junge und zahlungskräftige Menschen. Diese bleiben für die Kassen dennoch die profitabelsten Versicherten, denn auch die gesetzlichen Krankenkassen stehen seit den neunziger Jahren im ökonomischen Wettbewerb miteinander und handeln deshalb wie Unternehmen und nicht mehr wie Selbstverwaltungsorgane der Versicherten. Verstärkt wird diese Tatsache seit diesem Jahr noch durch die bestehende Möglichkeit für die Kassen, in Insolvenz zu gehen.

Erst wenn die Einnahmen aus dem Fonds die Ausgaben zu weniger als 95 Prozent abdecken, muss der Gesetzgeber tätig werden und den Beitragssatz erhöhen. Das heißt, dass die gesetzliche Krankenversicherung – wenn ansonsten alles so bleibt und an den Strukturen nichts geändert wird – tendenziell zu wenig Geld haben wird. Das ist gewollt und soll die »Effizienzreserven mobilisieren«.
Krankenkassen, die mit dem zugewiesenen Geld nicht auskommen, können seit diesem Jahr von ihren Versicherten einen Zusatzbeitrag bis zu einem Prozent des beitragspflichtigen Einkommens oder bis zu acht Euro pauschal ohne Einkommensprüfung verlangen. Krankenkassen, die Geld übrig haben, können eine Prämie ausschütten und so die solidarischen Strukturen der Kassen weiter auflösen. Dieser Zusatzbeitrag kommt der von der CDU/CSU schon lange geforderten, so genannten Kopfpauschale sehr nahe, da es den Krankenkassen erlaubt ist, den Betrag pauschal zu erheben. Zum anderen sorgt dieser Zuschlag auch dafür, dass die Kosten für die Gesundheitsversorgung in höherem Maß den Einzelnen aufgebürdet werden.
Als weitere Finanzquelle sollten 2009 vier Milliarden Euro an Steuerzuschüssen in den Fonds kommen, die in Zukunft bis auf 14 Milliarden Euro jährlich erhöht werden sollten. Im Zuge des zweiten »Rettungspakets« für das deutsche Kapital ist nun von der Bundesregierung beschlossen worden, den Steuerzuschuss zur gesetzlichen Krankenversicherung in diesem Jahr auf sieben Milliarden Euro anwachsen zu lassen. Dafür soll der Beitragssatz ab Juli wieder auf 14,9 Prozent gesenkt werden, und zwar um »den Konsum und damit die Wirtschaft anzuheizen«. Das dürfte die Unternehmer freuen, denn die Steuern werden inzwischen zum größten Teil von den Lohnabhängigen erbracht.
Insgesamt werden durch den Gesundheitsfonds die Kosten tendenziell bundesweit vereinheitlicht. Das kann man nur insofern kritisieren, als dass das System der privaten Krankenversicherung nahezu unberührt bleibt. Diese in den Fonds einzubeziehen bzw. sie vollständig aufzulösen, wäre unter den bestehenden, kapitalistischen Bedingungen der größte Schritt dahin, ein solidarisches Sozialversicherungssystem aufzubauen – und nebenbei würde es dadurch für die Versicherten auch billiger werden. Dennoch gibt es dafür keine politischen Mehrheiten.

Seit Jahresbeginn hat sich im Zuge der Vereinheitlichung auch das Honorarsystem für die etwa 150 000 niedergelassenen Ärzte geändert. Sie rechnen die Kosten für ihre Leistungen künftig nicht mehr anhand eines unübersichtlichen Punktesystems ab, sondern größtenteils in Euro und Cent. Das hatten die Ärzte seit langem gefordert. Auch die regionalen Unterschiede in der Honorierung werden ausgeglichen, was wiederum nur diejenigen gefordert hatten, die bisher unterdurchschnittlich verdienten.
Im Herbst des vergangenen Jahres hatten die Ärzte eine Honorarerhöhung von 2,7 Milliarden Euro erzwungen, was einer durchschnittlichen Erhöhung des Budgets von zehn Prozent entspricht, aber regional sehr unterschiedlich verteilt werden soll, um die zum Teil immensen Unterschiede zwischen den Bundesländern auszugleichen. Für die bayerischen Ärzte, die bislang im Durchschnitt 20 Prozent mehr verdienten als ihre Kollegen in den neuen Bundesländern und zehn Prozent mehr als der bundesdeutsche Durchschnitt, bedeutet dies aber immer noch eine Erhöhung des Budgets um über sechs Prozent. Da es aber inzwischen auch eine andere Aufteilung der Gelder für Allgemeinmediziner und Fachärzte gibt, stehen letztgenannte, die früher am besten von allen verdienten, nun etwas schlechter da. Nach Angaben des bayrischen Vorsitzenden der kassenärztlichen Vereinigung in der Ärztezeitung gibt es »im laufenden Quartal für fachärztliche Leistungen und Sachkosten knapp 530 Millionen Euro – das sind im Vergleich zum Vorjahresquartal über vier Prozent mehr« – dennoch gehen seit Tagen Berichte durch die Presse, denen zufolge gerade die bayerischen Fachärzte darüber klagen, dass sie in diesem Quartal bis 50 Prozent Einbußen haben könnten. Der Blick in die Presse zeigt: Dieses vermeintliche rechnerische Rätsel konnten bislang auch diejenigen nicht lösen, die den phantasievollen Umgang der Ärzte mit den Zahlen aus der Vergangenheit kennen.

Den Verteilungskonflikt unter den Ärzten aus verschiedenen Regionen und Fachrichtungen will die Mehrheit von ihnen nun zum Leidwesen der Patienten austragen. So drohen Ärzte unter anderem damit, Leistungen nur noch gegen Vorauskasse der Patienten oder eine Bestätigung der Kostenübernahme durch die Krankenkasse zu erbringen, die bayerischen Frauenärzte kündigten an, Kassenpatientinnen nur noch gegen eine Privatrechnung zu behandeln. Das ist zum einen gar nicht zulässig. Zum anderen tun sich hier die gleichen Ärzte hervor, die für gewöhnlich vor der Profitgier des »großen Kapitals« warnen, das bald Einzug halten werde in den ambulanten Sektor – auf dass alles Ständische und Stehende verdampft.