Kapitalismus und grüne Technologien

Grün reguliert

Die Finanzkrise hat den Klimawandel verdrängt, jedenfalls als politisches ­Gesprächsthema. Doch der Markt der grünen Technologien wird zur Bestands­sicherung des Kapitalismus gebraucht werden.

Als Anfang Dezember im polnischen Poznan die UN-Klimakonferenz begann, warnte der Klimaforscher Ottmar Edenhofer davor, dass der Klimawandel wesentlich teurer als die Finanzkrise werden würde. »Die Tatsache, dass einige Leute sehr viel Geld verzockt haben, darf nicht dazu führen, dass wir beim Klimaschutz nachlassen.« Doch seine Warnung verhallte wirkungslos, die Konferenz in Poznan endete ohne relevante Ergebnisse. Dazu kam, dass die EU fast gleichzeitig auch ihre Klimaziele, die sie im März 2007 großspurig verkündet hatte, revidierte. Die aufgeregten Diskussionen um den Klimawandel wurden von der Finanzkrise abrupt unterbrochen und das Thema Ökologie wurde wieder in den Hintergrund der großen Politik gedrängt.

Die Selbstverständlichkeit, mit der das Auto im Zentrum aller Diskussionen steht, ist hierfür ein anschauliches Beispiel. Die Wirtschaftsnachrichten bestehen nur noch aus Meldungen über das nachlassende Interesse an Neuwagen, sinkende Neuzulassungen, Kurzarbeit und Pleiten. Die Auto­industrie ist nicht mehr Gegenstand ökologischer Kritik, sondern dient nur noch als Gradmesser für den Zustand der nationalen Wirtschaft. In den USA, in Frankreich und Deutschland sind den Automobilkonzernen in den vergangenen Wochen große Summen und staatliche Garantien zugesichert worden.
Auch die Konjunkturprogramme, die fast alle Industrie- und Schwellenländer mittlerweile aufgelegt haben, lassen ökologische Aspekte fast vollständig außen vor, von einem »Grünen New Deal«, wie ihn etwa die Grünen in Anlehnung an Diskussionen aus den neunziger Jahren fordern, keine Spur. In dem 50-Milliarden-Euro-Programm der Bundesrepublik ließen sich höchstens die geplante Sanierung öffentlicher Gebäude und die »Abwrackprämie« für Autos als ökologisch wertvoll interpretieren. Aber auch dazu braucht man schon viel guten Willen, schließlich benötigt die Herstellung eines Wagens sehr viel mehr Energie, als die Benutzung eines neuen Autos im Vergleich zu einem alten im ersten Jahr einspart. Die effektivere Maßnahme, die Besteuerung auf den CO2-Ausstoß umzustellen, hat die Bundesregierung auf unbestimmte Zeit verschoben.
Auch in China, wo die Regierung zunächst angekündigt hatte, Maßnahmen zum Schutz der Umwelt zu ergreifen, fielen diese den klassischen Infrastruktur- und Konjunkturmaßnahmen zum Opfer. Das Konjunkturprogramm von umgerechnet 460 Milliarden Euro, das die Regierung im November beschlossen hat, kommt größtenteils Schlüsselindustrien wie dem Maschinenbau oder der Stahl- und Autobranche zugute. Daneben hat die chinesische Regierung angekündigt, wieder vermehrt dörfliche Industriestandorte in Betrieb zu nehmen. Als veraltete Dreckschleudern waren diese mit dem Aufblühen der großen städtischen Produktionsstandorte geschlossen worden. Nun sollen die über 15 Millionen Wanderarbeiter, die aufgrund der Krise in China bisher ihre Arbeit verloren haben und die nun in ihre Dörfer zurückkehren, dort beschäftigt und auf diese Weise von Protesten abgehalten werden.

Schlechte Zeiten für eine Senkung der CO2-Emissionen. Und schlechte Zeiten für jene, die angesichts der Finanzkrise fordern, die anderen Krisen nicht zu vergessen. Mühselig wurde und wird auf internationalen Gipfeln zu anderen Krisenthemen um Summen gerungen, die im Vergleich zu denen, die für die »Rettung« der Banken und Industrien bereitgestellt werden, geradezu lächerlich klingen. Das Beispiel Ernährungskrise: Zwölf Milliarden Euro sagten die Industrieländer beim Ernährungsgipfel im Juni 2008 zu, nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Oxfam wurde bisher gerade einmal eine Milliarde Euro zur Verfügung gestellt.
Bis vor einigen Monaten bemühten sich Staaten wie Deutschland um ein fortschrittliches grünes Image und waren bereit, dafür auch die eine oder andere Million zur Verfügung zu stellen. Dagegen zeigte der EU-Gipfel Mitte Dezember in Brüssel, wie Klimapolitik in Zeiten der Krise auszusehen droht. Unter anderem beschloss die EU, dass die Mitgliedsstaaten die vorgeschriebene Emissionsreduktion zur Hälfte über so genannte Clean-Development-Mechanismen (CDM) decken können, indem sie dort Emissionen verringern, wo es am billigsten ist, also vor allem in den Entwicklungsländern. Dies hat katastrophale ökologische und soziale Auswirkungen auf diese Länder.

Hat die Finanzkrise also die Klimakrise besiegt? Auch wenn derzeit alles darauf hindeutet, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Zum einen, weil die bisherigen Reaktionen auf die Wirtschafts­krise allesamt noch als voreilig, als überstürzt, ja panisch gelten können. Und zum anderen, weil auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, den kapitalistischen Betrieb aufrechtzuerhalten, das Klima noch immer ein Potenzial darstellt.
Die Heftigkeit der Finanzkrise war für alle Regierungen gleichermaßen überraschend. Weniger überraschend ist, dass mit der Senkung der Leitzinsen und den Infrastruktur- und Konjunkturprogrammen zunächst mit herkömmlichen Maßnahmen reagiert wurde. Doch lässt sich daraus weder eine Fortführung neoliberaler Politik ablesen noch eine schlichte Rückkehr zum Fordismus keynesianischer Prägung. Vielmehr zeigt sich darin die Ratlosigkeit einer Wirtschaftspolitik, die sich im Umbruch befindet. Die Rückkehr zu einem fordistischen Produktionsmodell ist wirtschaftlich wie gesellschaftlich schlicht unmöglich und das strikt neoliberale Modell ist – zumindest für den Moment – diskreditiert. Nach 30 Jahren neoliberaler Wirtschaftswissenschaft in Theorie und Praxis fehlt jegliche überzeugende Alternative. Die starke Rolle, die der Staat auf einmal wieder in der Wirtschaft spielt, geht keineswegs auf Überzeugungen zurück, sondern folgt vielmehr einem Sachzwang des Einmischens, einer Politik, die mit naheliegenden Methoden versucht, das System zu sichern und dabei möglichst wenig politische Gestaltungsmöglichkeiten offen zu lassen, die das System als Ganzes in Frage stellen könnten.
Handelt es sich jedoch, wie es momentan den Anschein hat, nicht nur um eine Krise, sondern um eine Systemkrise, so kann diese widersprüchliche Politik nur eine vorübergehende sein. Die nächsten Jahre werden zeigen, durch welche Art der Regulierung der Kapitalismus nach dem Ende des neoliberalen Konsenses gesichert werden soll. Hierfür könnte dem Thema Klima und Ökologie als neuem Paradigma eine zentrale Rolle zukommen.

Das Klima ist in den vergangenen zwei Jahren zu einem politischen Hauptthema geworden und wird von der politischen Agenda wohl kaum wieder verdrängt werden können. Der Klimawandel als die gemeinsam zu lösende Aufgabe bietet in der Krise eine Möglichkeit, dem politischen System wieder Legitimation zu verschaffen. Die Wirtschaftszweige, die sich rund um den Klimaschutz entwickelt haben – seien es regenerative Energien, der Emissionshandel, ökologischer Konsum oder der trotz aller Kritik weiterhin blühende Markt für Agrosprit –, werden von NGO bis zur OECD als möglicher neuer Absatz- und Investitionsmarkt angeführt, der die Wirtschaft aus der Krise führen kann. Ob ein solcher grün legitimierter Kapitalismus für Umwelt oder Klima tatsächlich einen Nutzen bringt, ist mehr als fraglich. Grundlegende ökologische Verbesserungen wären kaum zu erwarten, viel wahrscheinlicher ist, dass er den ökologischen wie ökonomischen Wohlstand der globalen Mittel- und Oberschichten absichert, während die tatsächlich von ökologischen Problemen Betroffenen in der Ersten und Dritten Welt von diesen Veränderungen kaum oder gar nicht profitieren.
Ob dies tatsächlich so kommt, wird sich wohl erst in einigen Jahren zeigen. Die Voraussetzungen dafür dürften aber schon bald geschaffen werden. Der neuen US-amerikanischen Regierung kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. In Kürze wird Barack Obama sein »Konjunkturpaket« vorstellen, das bis zu einer Billion US-Dollar umfassen wird. Gespannt darf man darauf warten, inwieweit er seine Versprechen wahr macht, die USA führend auf dem Sektor der »grünen Technologien« zu machen. Wenn Obama wie angekündigt 150 Milliarden US-Dollar für die Entwicklung und Förderung energiesparender Technologie zur Verfügung stellt und die EU und die aufsteigenden Schwellenländer dadurch zwingt, sich am Wettbewerb um die grünen Technologien zu beteiligen, dann könnte es tatsächlich zu einer Verbesserung des Schutzes von Klima und Ökologie bei der Suche nach einer neuen Form kapitalistischer Regulation kommen.