Ein Buch von Nik Cohn über Rap in New Orleans

Von unten raufgeblubbert

Nik Cohn gräbt sich tief bis an die Wurzeln des Rap vor und findet sie im Sumpf von New Orleans.

HipHop und Rap waren für mich immer das letzte, und die rassistischen und dummen Texte gaben mir auf bequeme Weise Recht. Das war eine andere Galaxie und hatte mit meinem Kosmos gar nichts zu tun. Warum also nur einen müden Gedanken daran verschwenden? Aber dann kam das Buch von Nik Cohn heraus, das sich mit »Leben, Tod und Rap in New Orleans« beschäftigt.
Nik Cohn, der Verfasser der grandiosen und bislang unerreichten Pop-Geschichte »A Wop Bopaloo Bop Alop Bam Boom« über die fette Zeit Mitte der Sechziger, »als man nichts anderes tat, als herumzulaufen und Zeit zu vergeuden, neue Kleidung zu kaufen und viel zu fressen und endlos zu quatschen«, Nik Cohn, einer der großen Musikjournalisten, der ähnlich wie sein damaliger Kollege Lester Bangs darauf beharrte, dass Pop eine Angelegenheit pickliger Jungs und pubertierender Mädchen ist, bei denen das Banale durch die Erfahrung des ersten Mal manchmal große Momente hervorbrachte. Warum schrieb Nik Cohn also über Rap?
Man muss nicht die geringste Ahnung von Rap haben und wird doch von ihm infiziert, hat man erst mal seine Nase in dieses Buch gesteckt. »Kam was Neues voller Sex und Wut von unten raufgeblubbert, kurz bevor die Musikindustrie es einfing und vermarktete – dann konnte ich mich nicht satt hören«, schreibt Cohn. Und mit Rap kam tatsächlich etwas Neues vom Bodensatz der Gesellschaft hoch, mitten im Zentrum der hässlichsten Armut. HipHop war die Straßen­kultur, Rap ihre Stimme, und die sagte: »Wir sind hier, Muthafuckas. Wir leben noch. Seht her, wir sind lebendiger als ihr.«
Auch wenn Nik Cohn zunächst weder von der Kultur noch von der Musik sonderlich angetan war, erkannte er schließlich, »dass Rap eine Art Revolution war, das erste wirklich neue Ding in der populären Musik seit Rock’n’Roll«.
Aber auch das ist schon wieder weit über 20 Jahre her. Damals war »Rapper’s Delight« von Grandmaster Flash and the Furious Five eine Art Erweckungserlebnis für Nik Cohn. Er spürte, dass Rap mehr war als bloß Partymusik, weil dieser seine Kraft aus seinen Ursprüngen schöpfte, oder weniger prosaisch, die beschissene Situation reflektierte, aus der man kam, und zwar selbstbewusst und ohne zu jammern: »Rats in the front room, roaches in the back / Junkie’s in the ally with a baseball bat (...) Don’t push me, cause I’m close to the edge«, für Nik Cohn der »perfekte irre Rhythmus für einen irren Planeten«.
Seither sind die Ghettogeschichten tausendfach aufgelegt worden, die Musikindustrie hat abgesahnt und das »Echte« so lange bearbeitet, bis nur noch Mainstream übrig blieb. Aber der Weg dahin war steinig, denn es war keineswegs so, dass die Plattenindustrie den Rap mit offenen Armen empfangen hätte, vielmehr versuchten die Labels, ihn so lange wie möglich zu ignorieren. Man glaubte und hoffte, dass der Rap einfach nur ein unbedeutendes Zeitphänomen sei, das schnell wieder von der Bildfläche verschwinden würde. Aber als er sich einfach nicht verabschieden wollte, verwandelte sich die Gleichgültigkeit in Hass auf die »Ghettoscheiße«, weil man sich durch sie bedroht fühlte, vor allem, wenn man mit Jazz und Rhythm’n’Blues sozialisiert worden war. Rap war in den Ohren dieser Leute, die das Sagen hatten, keine Musik.
In der Geschichte der Musikindustrie haben die Plattenfirmen jedesmal, »wenn etwas Neues und Herausforderndes das Haupt hob, Zeter und Mordio geschrien und den Tod der echten Musik ausgerufen«, schreibt Cohn. »Als Rock’n’Roll die Bedrohung war, bedeutete echte Musik Sinatra und Perry Como. Jetzt, unter Beschuss von Rap, bedeutete sie Paul Simon und Billy Idol.«
Nur Geld kann im Musikgeschäft etwas bewegen. Und als schließlich Millionen Alben von Run-D.M.C. und den Beastie Boys verkauft wurden, da wurden langsam auch die Majors hellhörig. Ihre Abneigung gegenüber Rap jedoch minderte das nicht, weshalb sie lieber mit innovativen Independents kooperierten (u.a. mit Rick Rubin). Sollten die doch die neuen Talente entdecken und sich die Hände schmutzig machen, man selbst war das Risiko los, konnte weiter die Nase rümpfen und den Untergang der Kultur beklagen. Und tatsächlich: Je mehr Geld im Spiel war, desto mehr verschwanden die politischen Inhalte, Glamour und Hype machten sich stattdessen breit. MC Hammer und Vanilla Ice hießen die »Popidole mit Hip-Hop-Schmonzes, leicht vermarktbar und wegwerfbar wie Kleenex«. In diesem Moment war das »goldene Zeitalter« vorbei, es begann der Gangsta-Rap.
Im Prinzip folgt diese Entwicklung einem bekannten Muster, dennoch ist es wichtig, sie zu beschreiben, denn am Widerstand der Musikindustrie veranschaulicht sich am besten, dass Rap wirklich etwas Neues in der Musikgeschichte war. Und Rap wurde zur dominierenden Popkultur.
Für Nik Cohn war das der Moment, »in dem meine Haltung sich von distanzierter Würdigung zu verzehrender, wenn auch angstbeladener Besessenheit verwandelte«. Und davon handelt auch der Hauptteil des Buches, denn der inzwischen 62jährige Autor will es noch einmal wissen und begibt sich tief hinab ins schwarze Rap-Milieu von New Orleans, wo Armut und Gewalt heftiger als in anderen Städten der USA toben und Schießereien alltäglich sind. Auch deshalb ist Rap in New Orleans zu einem Lebensgefühl geworden. Nik Cohn beschreibt zahlreiche Biografien von Rappern, die nur mit Glück älter als 20 wurden; die aber in dieser kurzen Lebensspanne mehr durchgemacht haben, als ein weißes Vorstadtkid jemals erleben wird. Und Cohn begibt sich mitten hinein.
Gepackt vom Ehrgeiz, den er mit Distanz und schöner Ironie kommentiert, erzählt er von seinen Versuchen, als Manager, Talent-Scout und schließlich sogar als Produzent zu reüssieren. Auch wenn sein Treiben nicht von kommerziellem Erfolg gekrönt wird, hat er den Finger am Puls der Stadt, weiß nicht nur über die Musik Bescheid, er kennt das Leben und das soziale Milieu der Rapper und ist als großartiger Autor auch in der Lage, dieses Leben für den Leser lebendig werden zu lassen, und zwar nicht durch Mythologisierung, sondern durch eine Erzählung, die im besten Sinn realistisch ist. Jedenfalls schafft es Nik Cohn, die aus purer Verzweiflung, sozialem Elend, grandioser Verrücktheit, irrem Posertum, hirngespinstiger Hoffnung, zähem Glauben und absurder Liebe sich zusammensetzende Atmosphäre einzufangen, wie es nur selten gelingt. Als das Buch in den USA erschien, war von der Stadt, die Nik Cohn »an den Eiern« hatte, nicht mehr viel übrig. Dafür hatte inzwischen der Hurrikan Katrina gesorgt. Inzwischen wurde das Buch um ein Kapitel erweitert, in dem Cohn mit großer Empathie erzählt, was aus seinen Freunden geworden ist und wie die Politik das Zerstörungswerk von Katrina ermöglicht und schließlich vollendet hat.

Nik Cohn: Triksta. Leben, Tod und Rap in New Orleans. Aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeldt. Hanser, München 2008, 264 Seiten 19,90 Euro