Die antizionistische Querfront

»Alle Juden muss tot«

Bei den Demonstrationen gegen die israelische Militäroffensive im Gaza-Streifen fand sich erneut eine antizionistische Querfront aus islamistischen und linken Gruppierungen zusammen. Neu war dabei vor allem die starke Beteiligung islamistischer Verbände aus der türkischen Community.

Die Zahl der Demonstrationen gegen Israel war fast unüberschaubar. Berlin, München, Hamburg, Duisburg, Köln – die Aufzählung könnte lange fortgeführt werden. Trotz der unterschiedlich starken Beteiligung – von einigen hundert bis zu 10 000 Teilnehmern – ähnelte sich der Anblick dieser Veranstaltungen. Das islamistische Grün der Hamas-Fahnen mischte sich mit dem sozialistischen Rot der Linkspartei, MLPD und zahlloser linker Klein- und Kleinstgruppen. Dazwischen der eine oder andere Nazi und bekannte Holocaust-Leugner neben friedensbewegten Alt-68ern. Ein spontanes Querfront-Stelldichein.
Auch wenn das, was sich da unter Mottos wie »Stoppt das Massaker in Gaza« zusammenfand, von einigen Zeitungen als solche bezeichnet wurde: »Friedensdemonstrationen« sehen anders aus. Zu viele Fahnen von Terrororganisationen wie der Hamas, Hizbollah oder den al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden flatterten im Wind, zu viele »Intifada bis zum Sieg«- und »Tod Israel«-Parolen wurden gebrüllt. In Berlin hatte sich sogar ausgerechnet der Deutsche Friedensrat gemeinsam mit der palästinensischen Gemeinde gerichtlich erstritten, Symbole der Hamas auf den Demonstrationen zeigen zu dürfen.
Genau genommen handelte es sich nicht nur nicht um Friedens-, auch nicht um Pro-Palästina-Kundgebungen, sondern um Pro-Hamas-Veranstaltungen. Das legt zumindest das Fehlen jeglicher Embleme der Fatah nahe; eine Solidarisierung mit »moderaten« Kräften, die im Gaza-Streifen als angebliche Kollaborateure Israels von der Hamas verfolgt werden, blieb aus.

Auf fast allen Demonstrationen gehörten Nazivergleiche zum Standardrepertoire. Israel betreibe eine »Endlösung« oder einen »Holocaust« wurde beispielsweise behauptet, und dass die »Opfer von gestern die Täter von heute« seien. Jene, die Auschwitz und Majdanek, Sobibor und Treblinka überlebt haben, so der Vorwurf, stünden nun auf einer Stufe mit ihren ehemaligen Peinigern, hätten also aus ihrer Vergangenheit nichts gelernt. Bei mehreren Demonstrationen wurde »Juden raus« und »Scheiß-Juden« gerufen, einer Mitarbeiterin von Babel TV, einem jüdisch-deutschen Fernsehsender aus Berlin, wurde vor laufender Kamera gedroht: »Alle Juden muss tot.« Doch einzig der Fall in Duisburg, bei dem die Polizei die Tür einer Wohnung an der Wegstrecke der Gaza-Demonstration eintrat, um eine Israel-Fahne zu entfernen, löste eine öffentliche Debatte aus.
Wie auch die Demonstrationen in Berlin und anderen Städten wurde der Duisburger Umzug von der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) organisiert, dem größten türkisch-islamistischen Verband in Deutschland. Die Milli-Görüs-Bewegung kann als türkische Spielart der Muslimbruderschaft betrachtet werden und zeichnet sich nach Angaben des Verfassungsschutzes durch eine »ideologisierte Auslegung des Islam« aus.
Zwar hat sich Milli Görüs seit Ende der neunziger Jahre offiziell vom Antisemitismus distanziert, allerdings tauchen regelmäßig Hinweise dafür auf, dass es damit nicht weit her ist. 2003 beispielsweise, als auf einer islamischen Buchmesse im Hof eines IGMG-Moschee- und Kulturhauses in Berlin-Kreuzberg nicht nur islamistische, sondern auch offen antisemitische Bücher entdeckt wurden, oder 2006, als auf dem »Tag der Brüderlichkeit und Solidarität« der IGMG im belgischen Hasselt der antisemitische Propaganda­film »Zehras blaue Augen« zu erwerben war.

Dass es gerade der türkischen Milli-Görüs-Bewegung gelungen ist, während der Wochen der israelischen Militäroffensive insgesamt mehrere zehntausend Unterstützer zu mobilisieren, liegt nicht nur an der Bedeutung der Organisation. Zwar sind Antisemitismus und Israel-Feindschaft in der Türkei – wie auch in anderen Ländern – gesellschaftliche Querschnittsphänomene, die sich sowohl im linken, wie auch im rechten und islamistischen Spektrum nachweisen lassen, insgesamt pflegt die türkische Politik jedoch traditionell ein recht gutes Verhältnis zu Israel. Milli Görüs setzt als panislamistische Bewegung jedoch auf einen religiösen Aspekt, der nicht an Nationalstaaten gebunden ist – die islamische Ummah.
Zurzeit befindet sich die Türkei im Wahlkampf, und ein besonders stark umworbenes Wähler­klientel stellen dort traditionell die religiös-konservativen Kreise dar. Islamistische Gruppierungen wie Saadet, die Mutterpartei der Milli Görüs in der Türkei, versuchen, der Regierungspartei AKP Tayyip Erdogans dieses Klientel streitig zu machen, indem sie den Ministerpräsidenten als Marionette Israels, als westlichen Agenten darstellen und seinem Programm panislamistische Vorstellungen als Alternative entgegenstellen. Erdogan versucht seit kurzem seinerseits, durch anti-israelische Äußerungen diesen Unterstellungen entgegenzutreten. »Auf einer Wahlkampfveranstaltung sagte er, Israel vollbringe ›unmenschliche Taten‹, die ›seine Selbstzerstörung‹ herbeiführen würden: ›Gott wird die bestrafen, die sich an Unschuldigen vergehen.‹ Er sprach von einem ›Fluch‹, der Israel heimsuchen werde«, berichtete die Süddeutsche Zeitung Mitte Januar.
Eine Woche nach dem Fahnen-Eklat wurde in Duisburg erneut gegen Israel demonstriert, beobachtet von einem Fernsehteam des ARD-Magazins Report Mainz. Im Fernsehbeitrag vom 19. Januar sieht man einen jungen Mann, der angesichts einiger Israel-Fahnen am Rande der Demonstration krakeelt: »Wo ist der Hitler, wo ist der Hitler. Da drüben, das finde ich nicht in Ordnung, wo ist der Hitler, wo ist er? Der hätte die ganz fertig gemacht, die Arschlöcher, glaub’ mir mal.«

Die Journalisten sprachen auch mit Yalcin Icyer. Am 21. Januar hätte Icyers Prozess wegen Volksverhetzung vor dem Amtsgericht Essen stattfinden sollen, er musste allerdings wegen der Erkrankung einer Richterin verschoben werden. Icyer wird vorgeworfen, in einem Gebet, das er auf einer Internetseite veröffentlicht haben soll, Gott um Unterstützung für die Vernichtung der »Amerikaner, Russen und Juden« zu bitten: »O Allah, beschleunige ihre Vernichtung und mache ihren Besitz zu einer Spende für die Muslime.« Bereits 2006 wurde bei einer polizeilichen Durchsuchung von Icyers Wohnung Propagandamaterial sichergestellt.
Yalcin Icyer, der auch unter dem Namen Cumali Hoca auftritt, ist Mitbegründer der Organisation »Human Dignity and Rights e.V.« (HDR), die 1996 von türkischen Migranten in Duisburg gegründet wurde und als Anmelderin der Duisburger Demon­stration auftrat. Eine Organisation, die sich für »Würde und Rechte des Menschen« einzusetzen vorgibt – das klingt zunächst einmal nach einer Ansammlung von Philanthropen. Tatsächliche handelt es sich um einen Verein, dem vom Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen vorgeworfen wird, »antiwestliche, vor allem anti­amerikanische sowie antijüdische Propaganda« zu verbreiten. In einer Broschüre des Verfassungsschutzes wird der HDR dem Milli-Görüs-Umfeld zugerechnet. Anlässlich der Recherchen von Report Mainz fordert nun Wolfgang Bosbach, der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundes­tagsfraktion, ein Verbot des HDR.
Antiamerikanische und antisemitische Ressentiments finden sich freilich nicht nur bei Vertretern des politischen Islam, und so verwundert es kaum, dass der HDR seine Inspiration im gesamten politischen Spektrum findet. 2004 beispielsweise übernahmen die Kämpfer für die Menschen­rechte wortwörtlich einen anti-israelischen Artikel aus der National-Zeitung des ehemaligen DVU-Vorsitzenden Gerhard Frey als Flugblatt. In einem anlässlich des Gaza-Kriegs auf der HDR-Webpage veröffentlichten Artikel vom 1. Januar mit dem verwegenen Titel »Will der Westen für den Holocaust etwa mit dem Blut der Palästinenser bezahlen?« ist zu lesen: »Solange die europäischen Staaten keine glaubwürdige Friedenspolitik für den Nahen Osten betreiben, die Israel dazu zwingt, sich endgültig aus den besetzten Gebieten bis zu den Grenzen vor 1967 zurückzuziehen, bedarf es keiner hellseherischen Fähigkeiten, wenn man jetzt schon voraussagt, dass es weder im Nahen Osten, noch sonst wo auf der Welt Frieden geben wird. Neben den eigentlichen Tätern werden auch die europäischen Politiker mitverantwortlich sein für den Tod unzähliger Menschen sowohl in Palästina und Israel als auch sonst wo auf der Welt.« Dass die Israelis aka Juden aka »Täter« für Kriege und damit Tote »auf der Welt« verantwortlich sind, glaubten bereits die Nazis felsenfest zu wissen.
Es gibt allerdings auch Bündnisse des HDR mit linken Gruppen aus dem klassisch antiimperialistischen Spektrum, wie dem Duisburger Initiativ e.V., der der Antiimperialistischen Koordination (AIK) aus Wien nahe steht.

Dieser Verein wurde vor allem im Kontext der Kampagne »Zehn Euro für den irakischen Widerstand« bekannt (Jungle World 51/03, 39/04). Der Initiativ e.V. ist zusammen mit anderen linken Organisationen (u.a. Regionalverbände von DKP, MLPD, VVN und Attac Duisburg) Teil des »Duisburger Netzwerks gegen Rechts«, zu dem auch der HDR gehört. Berührungsängste scheint es im gemeinsamen »Kampf gegen Rechts« nicht zu geben. Ganz im Gegenteil verteidigt das »Netzwerk gegen Rechts« in einer aktuellen Stellungnahme auf seiner Homepage den »Menschenrechtsverein HDR« gegen die in Printmedien erhobenen Vorwürfe des Antisemitismus und behauptet, dass diese »Diffamierung (…) der Islamophobie in diesem Land in die Hände spielt«.
Bereits im Februar 2008 war eine »Grußbotschaft von HDR an das Antiimperialistische Lager« auf der Homepage der AIK veröffentlicht worden, in welcher der HDR die »Unumgänglichkeit der Zusammenarbeit und Solidarität zwischen Antiimperialisten und Muslimen« betonte und dazu aufrief, man möge seine »Schultern an die Schultern der globalen Intifada gegen die globale Barbarei schließen« und im al-Qaida-Sprech markig forderte: »Schluss mit den Angriffen der Kreuzfahrer gegen den Islam!«
Das »Antiimperialistische Lager« kam, so liest man auf der Homepage der AIK unter der Überschrift »Islamische und linke AntiimperialistInnen vereinigen sich«, in der vorigen Woche in Beirut erneut mit Vertretern des islamistischen Terrorismus zusammen. Die Eröffnungsrede beim »Beiruter Internationalen Forum für Widerstand, Antiimperialismus und Völkersolidarität« soll der Hizbollah-Scheich Naim Kassem gehalten haben, auch die Hamas trat auf. Man verständigte sich darauf, eine »internationale antiimperialistische Front zu bilden«. Einen Eindruck von einer solchen gemeinsamen Front konnte man bereits bei den Gaza-Demonstrationen gewinnen.