Deutschland und die USA

Ein Liebling auf Zeit

Deutschland atmet auf: Die Zeit der amerikanischen »Alleingänge« scheint vorbei zu sein. Doch die Begeisterung für Obama könnte schnell verfliegen. Denn die neue Kooperationsbereitschaft der USA sorgt bereits für Konflikte.

Die feierliche Amtseinführung von Barack Obama als 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika wurde begleitet von Paraden, Prunk und Pathos – nicht nur während der Zeremonie in Washington. Weihevolle Töne bestimmten auch die Reaktionen der deutschen Presse und Politik. Der Überschwang der Medien kam in Schlagzeilen wie »Obama lässt alles möglich erscheinen« (Handelsblatt) zum Ausdruck.
Auch die Verlautbarungen der Großen Koali­tion stehen im Bann der Obamania. Es sei »eine wirklich große Stunde«, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) verkündete: »Ich bin jetzt 53 Jahre alt, und noch nie in meiner aktiven Erinnerung hat die Einführung eines amerikanischen Präsidenten so viel Hoffnung und Zuversicht ausgelöst.« Eine »neue transatlantische Agenda« schlug Steinmeier im Spiegel vor, während die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter dem Titel »Für eine engere Transatlantische Partnerschaft« ein »Positionspapier« vorlegte.
Erleichterung herrscht in den Unionsparteien und der SPD über das angekündigte Ende der »unilateralen« Ära von George W. Bush. Dessen »Alleingänge« waren nicht nur 2002 mitentscheidend für den deutschen Wahlkampf. Doch jenseits des allgegenwärtigen Jubels liefern die deutschen Reaktionen auf die US-amerikanische Ankündigung einer verstärkten multilateralen Kooperation Indizien für neue Konflikte.

Im »ARD-Morgenmagazin« sagte Angela Merkel mit Blick auf die künftige Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten, diese müsse nun von der Maxime geleitet sein, »dass nur ein Land allein die Probleme der Welt nicht lösen kann«. Vor allem angesichts der Finanzkrise erwartet die Kanzlerin einen multilateralen Ansatz: »Das heißt, dass auch die USA, wenn es um internationale Abkommen geht, ein Stück ihrer eigenen Souveränität internationalen Organisationen zur Verfügung stellen.« »Merkel warnt Obama vor Alleingängen« überschrieb das Handelsblatt den Bericht über die Äußerungen der Kanzlerin. Über welche Sanktionsmittel die deutsche Regierung im Falle einer Nichtbeachtung von Merkels »Warnungen« verfügt, verriet das Blatt nicht.
Nicht erst seit der Amtseinführung des auch in Deutschland euphorisch gefeierten US-Präsidenten scheinen die transatlantischen Verstimmungen unbedeutend zu sein, die in dem Diktum »Ignore the Germans« sprichwörtlich wurden, das der ehemaligen US-Außenministerin Condoleezza Rice zugeschrieben wird. Mit dem Gespür für historische Gesten setzte Barack Obama auf den Kennedy-Faktor und wählte im vergangenen Juli Berlin als Ort für seine Ansprache an die Europäer. »Wenn wir ehrlich miteinander sind, dann wissen wir, dass wir auf beiden Seiten des Atlantiks gelegentlich auseinandergedriftet sind und unser gemeinsames Schicksal vergessen haben«, sagte der Präsidentschaftskandidat damals. Während George W. Bush bei solchen Anlässen die Reflexe des Antiamerikanismus hervorrief, verwandelte sich Obama in Berlin zur Ikone einer Heerschar deutscher Cheerleaders.
Übersehen wurde bei aller Vorfreude auf das nahende Ende der »amerikanischen Alleingänge«, dass ausgerechnet die neue internationale Kooperationsbereitschaft der USA mehrere Konfliktmöglichkeiten bereit hält. Künftig werden die USA und Deutschland darüber streiten, wie der »Kampf gegen den Terrorismus« zu führen ist. Vor allem gegen Obamas bereits im Wahlkampf mehrfach geäußerte Forderung, die Truppenkontingente der Nato-Verbündeten im Süden Afghanistans zu erhöhen, regt sich politischer Widerstand in der Großen Koalition.
»Wir schicken jetzt schon 1 000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan«, sagte Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) vor Obamas Kür in der Bild am Sonntag. Einen Einsatz der Bundeswehr im Süden Afghanistans lehnte Struck ab: »Ich würde mich entschieden dagegen wehren. Daran ändert auch die Wahl Obamas nichts.« Dieser Konflikt dürfte Anfang April zutage treten, wenn in Strasbourg und Baden-Baden das Gipfeltreffen »60 Jahre Nato« stattfindet.

Bereits die ersten politischen Entscheidungen und Ankündigungen des neuen US-Präsidenten kennzeichnen die innenpolitische Auseinandersetzung in Deutschland. Unmittelbar nach Obamas Ankündigung, das Gefangenenlager Guantánamo zu schließen, zeigten sich Unterschiede hinsichtlich der Bereitschaft, Häftlinge in Deutschland aufzunehmen. Brüsk wies Bundes­innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) zunächst Frank-Walter Steinmeiers Angebot, eine prinzipielle Aufnahme zu prüfen, mit dem Hinweis auf die Zuständigkeit von Bund und Ländern zurück. Mittlerweile ist Schäuble jedoch dazu bereit, zumindest einzelne Fälle zu prüfen. Eine Anfrage aus den USA, ehemalige Häftlinge aufzunehmen, ist nach Ansicht des Auswärtigen Amts ohnehin zu erwarten, eine vollständige Verweigerung würde Deutschland innerhalb der EU in der Frage isolieren. Die Auseinandersetzung über die Guantánamo-Häftlinge findet im Rahmen des anlaufenden Wahlkampfs statt. Da die Kommentatoren auf die umstrittene Rolle Steinmeiers im Fall Murat Kurnaz hinweisen, bietet das Thema jedoch wenig Profilierungsmöglichkeiten für den SPD-Kanzlerkandidaten.
Angesichts der umfangreichen US-amerika­nischen Forderungen scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis der deutsche Obama-Rausch verfliegt. Dass sich der »neue« Multilateralismus der USA zuerst in der Forderung zeigt, das Bundeswehr-Kontingent in Afghanistan aufzustocken, wird gerade jene linksliberalen Sympathisanten irritieren, die in dem neuen Präsidenten einen idealtypischen Verbündeten für moderne Klimapolitik und zivilgesellschaftliche Konfliktlösungen sehen wollen. Dabei hatte Obama ­bereits in seiner Berliner Rede auf die zentrale Bedeutung der Nato hingewiesen.
Eine neue Richtung der Nato fordert das Po­sitionspapier der Unionsfraktion, das unter der Leitung von Ruprecht Polenz, Andreas Schockenhoff und Eckart von Klaeden erarbeitet wurde. Gefordert wird eine »ambitionierte Überarbeitung des zehn Jahre alten strategischen Konzepts des Bündnisses«. Am Anfang stehe »eine umfassende Analyse der neuen, kaum noch ­geographisch eingrenzbaren Bedrohungen und sicherheitspolitischen Herausforderungen«.
Ambitionierte Sätze, die die Minderheit in der Union, die kriegerischen Interventionen Skepsis entgegenbringt, aufschrecken ließen. »Das vorgelegte Papier hätte von Dick Cheney geschrieben sein können«, zitiert Spiegel online den CDU-Bundestagsabgeordneten Willy Wimmer. Der ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium zählt neben Peter Gauweiler zu den konservativen Kritikern der Außenpolitik der Bundesregierung. Die Nato werde in dem Papier zum »globalen Inter­ventionsmechanismus« ausgerufen, befand Wimmer.

Die beginnenden Kontroversen zwischen Deutsch­land und den USA werden zeigen, wie lange die deutsche Obama-Euphorie den nüchternen Blick auf die außenpolitischen facts of life verstellen kann. Wenn »multilaterale Kooperation« die Aufstockung der deutschen Nato-Truppen im afghanischen Süden bedeutet, werden die Anhänger des »neuen Amerika« vielleicht wehmütig auf die Zeit der »Alleingänge« unter George W. Bush zurückblicken. Mit denen ließen sich zumindest deutsche Wahlkämpfe gewinnen.