Gespräch mit Daniel Kahn über jüdische Musik, Antisemitismus und deutsche Linke mit Israel-Fahnen

»Hier ist man andauernd mit seinem Jüdischsein konfrontiert«

Der in Detroit aufgewachsene Daniel Kahn lebt seit 2005 in Berlin und gründete hier die Band Daniel Kahn & The Painted Bird. Das Repertoire besteht aus einer wilden Mischung von Klezmer, radikalen jiddischen Songs, politischem Kabarett und Punk Folk. Am 6. März erscheint das neue Album »Partisans & Parasites«. Kahn, der auch als Schriftsteller und Regisseur tätig war, beschäftigt sich in seinen Texten mit Geschichte und der Aktualität des Jiddischen und der Relevanz des Antifaschismus.

Sie waren in den USA ein erfolgreicher Musiker, Regisseur und Schauspieler. Warum leben Sie jetzt in Berlin?
In der Zeit, in der ich anfing, mich für Klezmer und jüdische Kultur zu interessieren, hat mich ein befreundeter Klezmer-Musiker nach Berlin eingeladen. Ich wollte zu dieser Zeit ohnehin weg aus den USA.
Als ich nach Berlin kam, habe ich angefangen, mich stark mit dem Jüdischsein zu identifizieren. Hier ist man andauernd mit seinem Jüdischsein konfrontiert. In den USA war das nicht so. Auch für meine Musik hat das Jüdischsein erst eine zentrale Rolle gespielt, als ich nach Deutschland kam. Das hat natürlich mit meiner eigenen jüdischen Herkunft zu tun, auf der anderen Seite interessieren sich viele meiner Freunde und vor allem meine Bandkollegen auch für diese Kultur, ohne selbst aus jüdischen Familien zu stammen.
Ist der Antisemitismus in Deutschland virulenter als in den USA, gerade wenn Sie an die anti-israelischen Demonstrationen in den vergangenen Wochen denken?
Ich war auf einer Demonstration in Berlin-Neukölln gegen den Krieg im Gaza-Streifen und gegen die Besatzung. Ich war dort mit einer Gruppe jüdischer Kriegsgegner. Einer von ihnen hat vor den Anwesenden, vor allem Kurden, Palästinenser und Linke, gesagt, dass sie als Israelis auf der Demonstration seien, um gegen den Krieg zu pro­testieren,und ihre Solidarität den Opfern in Gaza gelte. Einige Demonstranten applaudierten, einige riefen aber auch: »Scheiß-Juden«. Natürlich ging es mir danach nicht gut. Solche Worte auf deutschen Straßen zu hören, ist furchtbar. Aber wichtiger ist, dass es mehr Leute gab, die applaudiert haben.
Die Grenze zwischen Kritik an Israel und Antisemitismus ist sehr unklar. Aber wir sind diejenigen, die diese Trennung stärken müssen. Man kann Israel kritisieren, ohne antizionistisch zu sein. Israel macht, was es macht, nicht weil es zionistisch ist, sondern aus politischen Gründen. Zionismus ist eine Ideologie, Israels Handeln ist reale Politik. Dennoch glaube ich, dass der Krieg in Gaza Israel mehr schadet als hilft. Antisemitismus ist das Gift in der Friedensbewegung, und das finde ich schrecklich. Dagegen müssen wir kämpfen. Aber das heißt nicht, dass die gesamte Friedensbewegung antisemitisch ist.
Was halten Sie davon, wenn deutsche Linke mit Israel-Flaggen demonstrieren?
Ich war zunächst total überrascht, als ich von dieser antideutschen Bewegung gehört habe. Aus historischer Perspektive ist diese Bewegung sicher­lich sinnvoll. Ich habe jedoch oft erlebt, dass Antideutsche ein idealisiertes Bild von Israel haben. Dieses Bild wird Israel nicht gerecht.
Wenn man hingegen den Nazi-Demonstrationen eine Israel-Flagge entgegenhält, dann verstehe ich das und finde es sogar sehr gut in dieser deutschen Gesellschaft. Aber wenn man über die israelische Politik diskutiert, kann ich eine unkritische Sicht auf Israel nicht nachvollziehen.
Wie beurteilen Sie die Aufarbeitung der deutschen Geschichte?
Ich wundere mich über die deutsche Diskussion. Sie scheitert daran, dass sie untereinander und nicht im Dialog mit anderen geführt wird. Die Abwesenheit des Jüdischen ist hier immer noch ein sehr großes Problem.
Das Jüdische Museum in Berlin beispielsweise ist ein Museum von Deutschen für Deutsche. Für mich wirkt es total deutsch, deswegen spricht es mich auch nicht sehr an. Die »Stolpersteine« finde ich wesentlich interessanter. Von einer Auseinandersetzung auf rein offizieller Ebene halte ich nichts.
Unterstützen Sie aus diesem Grund das Kunstprojekt »Medinat Weimar«, das einen jüdischen Staat in Thüringen ausgerufen hat?
In einem Interview mit dem Initiator dieses Projektes, Ronen Eidelman, habe ich gesagt, dass ein jüdischer Staat in Deutschland die schlechteste Idee wäre, die ich unterstützen würde. Als Kunstprojekt finde ich diese Sache interessant, zur politischen Bedeutung kann ich nicht viel sagen. Mich interessiert das Projekt vor allem deshalb, weil es provoziert.
Warum haben Sie Ihr neues Album »Partisans & Parasites« genannt?
Neben dem Aspekt, dass Partisan und Parasit eine hübsche Alliteration ist, entspricht der Titel den Liedern, die auf dem Album zu hören sind und von Faschismus und Antisemitismus und dem Widerstand dagegen handeln. Die Wörter »Partisan« und »Parasit« werden in bestimmten Kontexten mit Juden in Verbindung gebracht, Parasit als ein antisemitisches Schimpfwort. Mit diesen Assoziationen wollen wir verstören. Wenn ich ein hundert Jahre altes Lied über das Leiden der Juden in Europa oder den USA singe, dann will ich damit nicht nur sagen, dass früher alles schlimmer war, sondern dass die Probleme nach wie vor bestehen.
Einer der Songs heißt »Six Million Germans«. Worum geht es da?
In »Six Million Germans« geht es um die Geschichte der Gruppe Nakam, die von dem jüdischen Partisanen Abba Kovner nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde. Das Ziel dieser Gruppe war es, an den Deutschen Vergeltung für die sechs Millionen ermordeten Juden zu üben. Der Plan von Nakam war, das Grundwasser zu vergiften und dadurch sechs Millionen Deutsche zu ermorden. Es kam jedoch nicht zur Verwirklichung des Plans.
In dem Lied geht es um die Frage, ob Vergeltung und Rache sinnvoll sind oder ob es besser ist, die Geschichte zu vergessen. Ich habe auf diese Frage keine Antwort.
Warum bezeichnen Sie Ihre Musik als »Verfremdungsklezmer«?
Der Begriff bezieht sich auf Brechts Verfremdungseffekt. Ich mische jiddische Musik und Folk-Songs mit einer Art Brechtschem Kabarett. Dem, was die Leute erwarten, wenn sie an Klezmer-Musik oder jüdische Kultur denken, wollen wir etwas entgegensetzen.
Darüber hinaus spielt das Ganze auch auf das Fremdsein allgemein an. Ich selbst wurde zum Fremden, als ich nach Deutschland kam. Und auch die jiddische Kultur war mir lange fremd, weil ich sie erst spät entdeckt habe.
Warum singen Sie dann auf Jiddisch? Sind Sie mit dieser Sprache aufgewachsen?
Überhaupt nicht, ich bin als assimilierter amerikanischer Jude aufgewachsen. Aber mich fasziniert die jiddische Kultur und Sprache. Nach einem Konzert sagte mir jemand, dass Jiddisch eine verlorene Sprache sei. Ich antwortete ihm, dass sie nicht verloren, sondern nur ein bisschen einsam sei. Ich nähere mich jiddischer Musik und Literatur als Interpret. Jiddisch ist eine hybride Sprache, ähnlich dem Englischen. Es kann nicht mit einer bestimmten Nation assoziiert werden. Insofern ist die jiddische Sprache international, und von diesem Modell können wir eine Menge lernen. Jüdisch wird heute oft mit Nationalismus und Religion in Verbindung gebracht. Ich dagegen will die humanistische, sozialistische und subversive Seite erkunden. Deshalb singe ich alte jiddische und deutsche Lieder und ergänze sie durch aktuelle Bezüge.