LeserInnenworld

Jungle World, 2/09: Kein Zweifel am Propheten
Bauchschmerzen zum Nachfühlen
Wenn Sie generell kritisieren, dass der Staat die Islamverbände als Ansprechpartner akzeptiert, dann muss man daraus schließen, dass Sie im Grunde die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts prinzipiell ablehnen. Das ist legitim, nur sagen Sie es gerade heraus und nicht verklausuliert. Nun, wenn die einzigen Verbände, die muslimische Interessen in Deutschland vertreten, ob genehm oder nicht, inakzeptabel sind, bleibt niemand mehr übrig, der das sonst tun könnte.
Prof. Kalischs Aufsatz auf der Homepage ist nicht der Anlass des Streits. Der Artikel ist die Reaktion auf den Vorwurf, er würde mit seinen »Thesen« lediglich provozieren wollen. Zu dem Zeitpunkt, als Prof. Kalisch seine öffentlichen Äußerungen machte, gab es nämlich keinen einzigen dezidierten Text aus seiner Feder zu dem Thema. Kein Wunder – Prof. Kalisch hatte bis dato gar nicht zur Historizität Muhammads geforscht. Sein Interesse galt den Propheten des Christentums und des Judentums. Allerdings hat er vermutlich schnell bemerkt, dass er doch mit Aussagen über Muhammad viel mehr Aufmerksamkeit heischen kann. Die Essenz seiner »Meinung« haben Sie richtig herausgefiltert: Man könne weder einwandfrei beweisen noch widerlegen, dass Muhammad gelebt habe, er tendiere jedoch zu seiner Nicht-Existenz. Diese nichtssagende Festellung könnte jeder Student der Orientalistik im zweiten Semester treffen, spätestens dann hat er nämlich erfahren, dass die Quellenlage zu den ersten 200 Jahren des Islam dürftig ist.
Die Freiheit, »Thesen« wie die seinen äußern zu dürfen, fordert Prof. Kalisch nicht von der Islamwissenschaft, dort ist das seit langem gang und gäbe. Prof. Kalisch fordert dies von den Islamverbänden. Und diese haben klar gemacht, dass sie kein Problem mit solchen Äußerungen haben. Sie haben lediglich ein Problem damit, dass ausgerechnet der wichtige, erste Lehrstuhlinhaber primär für eine Auffassung steht, die zur Überwindung des Glaubens beitragen könnte. Diese Bauchschmerzen kann auch ich – als »toleranter« Agnostiker – gut nachfühlen. Zumal es nicht darum geht, die Unsicherheit der Quellenlage im Studium zu verschweigen, sondern darum, diese nicht zum zentralen Gegenstand der Ausbildung zu machen.
Zum Schluss eine Randbemerkung zu Prof. Kalischs »Vernunft«: Er geht davon aus, dass es Muhammad nicht gegeben habe. Gut. Zugleich betonte er in der Diskussion, dass er sich weiterhin als Muslim verstehe und die rituellen Pflichten des Islam einhalte. Diese rituellen Pflichten gehen in ihrer Gestaltung vielfach auf das Verhalten Muhammads zurück – also auf eine Person, die gar nicht existiert haben soll –, das ist schon sehr vernünftig! J. Emre