Die Sicherheitskonferenz der Nato in München

Der Feind steht, wo er immer steht

In ihren Analysen dazu, was bei der Si­cher­heitskonferenz der Nato in München vonstatten geht, sind die Nato-Gegner nicht gerade auf dem aktuellen Stand.

Im Bayrischen Hof sitzen die Herrschenden, klün­geln mit der Rüstungsindustrie, planen ihre imperialistischen Kriege, um die Unterdrückten dieser Erde besser ausbeuten zu können, hängen einander dabei Friedensmedaillen ans Revers und lassen sich von einem gigantischen Polizeiaufgebot abschotten – für ritualisierte friedensbewegte Massenproteste gibt es keinen schöneren Anlass als die Münchner Sicherheitskonferenz. Nir­gends scheint das Böse näher, die Verhältnisse einfacher. Auch dieses Wochenende kamen wieder mehrere Tausend Menschen zu den Protesten gegen die 45. Sicherheitskonferenz nach München.
Sie forderten: Sofortiger Abzug aller Truppen aus Afghanistan! (Denn dann werden sich die Taliban auf der Stelle an den Aufbau eines harmonischen Gemeinwesens machen, fern aller übergestülpten westlichen Herrschaftsformen.) Sofortiger Abzug aller Truppen aus dem Irak! (Denn dann werden Schiiten und Sunniten ein friedliches Gemeinwesen jenseits der westlich-kapitalis­tischen Ausbeutung etablieren.) »Die Nato-Kriege und Besatzungsregime eskalieren die Konflikte welt­weit; selbstbestimmter Aufbau und eine demokratische Entwicklung haben keine Chance«, beklagt man im Aufruf zu den Protesten. Weil also allein der Westen unter den sonst friedlieben­den Völkern souverän über Gewalt und Chaos entscheidet und bislang nicht auf die Friedensbe­wegung hören will, gehen Krieg, Chaos und Leid immer weiter.

Auch wenn man die Ansicht teilt, dass Institutionen wie die Münchner Sicherheitskonferenz und die Nato kaum Teil der Lösung, sondern ein nicht unerheblicher Teil des Problems sind, scheint die Vorstellung einer souverän über Krieg und Frieden herrschenden Nato mit der USA an der Spitze nicht gerade aktuell. Denn irgendwie ist kaum von der Hand zu weisen, dass sich die stets als Hauptaggressoren denunzierten US-Amerikaner längst nur zu gerne aus dem Irak und auch aus Afghanistan zurückziehen würden – jedenfalls sobald dort halbwegs stabile Regierungen herrschen, mit denen sich vielleicht auch über den Bau der einen oder anderen Pipeline verhandeln ließe.
Aber Linken, die wohl selbst dann, wenn eines Tages alle Banken verstaatlicht wären, noch immer vom »Neoliberalismus« sprechen würden, ist an der Aktualität ihrer Analysen nicht unbedingt gelegen, solange sie noch genug moralische Resonanz erzeugen. Und das gelingt mit der Vor­stel­lung einer allmächtigen Nato, die souverän über Krieg und Frieden bestimmt, bekanntlich gut, auch wenn das Bündnis eigentlich seit Jahren nichts mehr auf die Reihe bekommt – einmal abgesehen vom Schutz des Seehandels vor ein paar Piraten in wendigen Gummibooten.

Umso wichtiger ist es der Nato, ihre Erfolge zu feiern. Einer Pressemitteilung zufolge lag Wolfgang Ischinger, dem neuen Leiter der Sicherheitskonferenz, der Empfang des kosovarischen Präsi­denten Fatmir Sejdiu besonders am Herzen. »Als Gastgeber will Botschafter Ischinger nach der international teilweise erfolgten, aber besonders auf dem Balkan abgelehnten Anerkennung des Kosovo für das neue und jüngste Teilnehmerland ein besonderes Zeichen der Wertschätzung setzen«, so die Pressestelle der Sicherheitskonferenz.
Der bescheidene Erfolg der Nato, den Zwergstaat von Serbien losgebombt zu haben, stieß auf der Sicherheitskonferenz 2008 bei den Gästen aus Ser­bien und Russland nicht gerade auf Begeisterung. »Wenn es zu einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung kommt, wird das eine Büchse der Pandora öffnen«, sagte der stellvertretende rus­sische Premierminister, Sergej Iwanow. Und was er mit der »Büchse der Pandora« meinte, zeigte Russland im vergangenen Jahr mit dem Einmarsch in Georgien und der Anerkennung der bei­den von Georgien abtrünnigen Zwergstaaten Südossetien und Abchasien. Und die Nato? Wusste darauf keine Antwort und sah zu, wie Russland in Georgien einmarschierte, das schon lange um einen Platz in der Nato kämpft.
Dass es mit der Einigkeit des nordatlantischen Militärbündnisses nicht weit her ist, zeigt nicht nur der Georgien-Konflikt. Auch im »Globalen Krieg gegen den Terror«, angesichts dessen sich Amerikaner und Europäer wohl noch eine Weile in den Haaren liegen werden, weil insbesondere Deutschland aus Rücksicht auf seine friedensbewegte Bevölkerung nicht viel mehr unternehmen mag, als sich im Hinterland Afghanistans selbst zu beschützen, kann die Nato nicht gerade bahnbrechende Erfolge verbuchen.
So großspurig die von ihren Gegnern immer wieder gern zitierten Strategiepapiere der Nato auch klingen, ist es mit der »Weltinnenpolitik«, die den Terrorismus besiegen, westliche Werte ver­breiten und dem Westen unbeschränkten Zugang zu Ressourcen sichern soll, bisher offenbar nicht weit her. Anders lässt sich kaum erklären, dass der Vertreter des Iran, Ali Laridschani, in Mün­chen Holocaust-Leugnung als »Meinung« verteidi­gen und über die USA und Israel schimpfen darf, während sein Land, das an Ressourcen reich gesegnet ist, Terrororganisationen finanziert, an Atomwaffen bastelt und die Menschenrechte miss­achtet, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.

In den Augen mancher Gegner der Sicherheitskonferenz zeigt sich das Repressionsprogramm der Nato bereits in München selbst. »Es ist kein Trep­penwitz der Geschichte, wenn die ›Sicherheit‹ der ›Sicherheitskonferenz‹ durch ein neues Versammlungsrecht ›gesichert‹ wird«, schreiben sie im Hinblick auf das in der Tat noch repressiver gewordene Versammlungsrecht Bayerns. Dies zeige, dass die »Diskurse der ›Sicherheits‹-strategen über ›zivil-militärische Zusammenarbeit‹, ›Homeland Security‹ und ›vernetzten Heimatschutz‹ nicht nur in Afghanistan oder dem Irak materielle Realität werden, sondern auch vor der eigenen Haustüre.«
Da es sich die Nato-Strategen zum Ziel gesetzt hätten, den Unterschied zwischen »innerer« und »äußerer Sicherheit«, zwischen »Polizei und Militär«, zwischen »Razzia und Krieg« aufzulösen, »müssen wir ihre Strategie zu unserer Waffe machen und ihr Kalkül absoluter und umfassender ›Sicherheit‹ immer und überall dort durchkreuzen, wo es uns direkt entgegentritt und breite taktische Bündnisse ermöglicht«, propagieren die Gegner der Konferenz. Dies sei »auch in Sachen praktischer internationaler Solidarität« das Gebot der Stunde. Da liegt, wenn schon Militäroperationen im Irak mit dem bayrischen Versammlungsgesetz verknüpft werden, die Frage nahe, ob die »internationale Solidarität« und das Bündnisangebot der Friedensfreunde dem »irakischen Widerstand« oder den Taliban gelten.
Angesichts der Identifikation mit jedem Widerstand der Unterdrückten ist es kaum verwunderlich, dass sich auf den Kundgebungen gegen die Sicherheitskonferenz mehrere »Nahost-Exper­ten« fanden, um über »Israels Krieg gegen die Palästinenser« zu sprechen. Angesichts der im In­ternet dokumentierten antiisraelischen »Friedensreden« scheint es, als sei in der Person Larid­schanis, der auf der Konferenz Bilder getöteter palästinensischer Kinder in die Höhe hielt, um Is­rael einmal mehr als »Kindermörder« zu denunzieren, eigentlich ein Vertreter der Friedensbewegung zur Konferenz geladen worden.
Während Laridschani im Bayrischen Hof dem Westen das Recht absprach, sich in das Nuklearprogramm seines Landes einzumischen, hieß es draußen auf der Protestkundgebung, es gebe »kein internationales Recht, nach dem die USA, Großbritannien, Frankreich, China, Israel, Pakistan und Indien zum Besitz von Atomwaffen berechtigt sind, die anderen aber nicht«. Wer vom Iran den Verzicht auf Atomwaffen verlange, müsse zugleich die eigenen verschrotten. Schließ­lich gehe die »größte Gefahr, dass es zu einem unvorstellbar schrecklichen Atomkrieg kommt, von den USA selbst aus«, sagte Conrad Schuhler, dessen Rede im Internet nachzulesen ist.

Dass einige aus der Friedensbewegung Atomwaffen in der Hand einer islamischen Theokratie besser aufgehoben sehen als in Händen der USA, gibt zu denken, liegt aber wohl weniger an der Religiösität der Bewegung als daran, dass sie das liebgewordene Feindbild trotz der Abrüstungsbekundungen des neuen US-Präsidenten und sei­ner Bemühungen um ein gutes Verhältnis zum Iran nicht gerne aufgibt. Da Barack Obama amerikanische Werte verbreiten und die militärische Stärke der USA erhalten wolle, verfolge er »eine gefährliche, eine reaktionäre Linie«, so Schuhler. Seine Außenministerin Hillary Clinton sei »eine militante Freundin der Israel-Lobby«, also jener Kräfte, »die keinen Ausgleich mit den Palästinensern wollen, sondern auf ihre dauerhafte Unterdrückung setzen«.
Dass sich die Friedensbewegung auf veränderte Verhältnisse einstellt, scheint auch nicht nötig, so legitim ein halbwegs rational artikulierter Protest gegen die Nato auch wäre. Denn vielleicht ist die Welt der Sicherheitsstrategen ohnehin bald ungefähr wieder dort angelangt, wo der größte Teil der Friedensbewegung einst das Denken eingestellt hat. Während in Obamas Mannschaft diskutiert wird, das nordatlantische Militärbündnis in eine »Allianz der Demokratien« zu überführen und mit einer ideologisch solideren Grund­lage auszustatten, so dass dessen Militär­ope­ra­tionen nicht länger auf eine Legitimation durch die Vereinten Nationen angewiesen wären, hat sich längst der Gegenblock formiert: die Shanghai Cooperation Organization, in der sich unter anderen Russland und China zu einem antiwestlichen Bündnis zusammengeschlossen haben. Sollte es zwischen beiden Blöcken zu einem neuen Kalten Krieg kommen, kann man nur hoffen, dass die Friedensbewegung dann wenigstens wie­der zu ihrem »Wir marschieren nicht gegen den Westen/Wir marschieren nicht gegen den Osten« zurückfindet – anstatt wie gegenwärtig prinzipiell Partei für das größere Übel zu ergreifen.