Gespräch mit Guy Deutscher über die Reinheit der deutschen Sprache und den Kampf gegen Fremdwörter

»Englisch ist ein Eintopfgericht«

Im »Deutschlandjahr« 2009 machen sich Politiker wieder mal Sorgen um die deutsche Sprache. Ende Januar sprach sich der Verfassungsrichter Udo di Fabio für die For­derung der CDU aus, Deutsch als Amts­spra­che im Grundgesetz festzuschreiben. Der Kampf gegen Fremdwörter und Anglizismen soll damit verstärkt werden. In seiner Studie »Du Jane, ich Goethe. Eine Ge­schich­te der Sprache« (C.H. Beck, 2008) zeigt der an der Universität Leiden for­schen­de Sprach­wissenschaftler Guy Deutscher, dass Klagen über den Zustand der deutschen Sprache fast so alt sind wie die deutsche Sprache selbst.

Oft wird Jiddisch als Role Model für eine internationale Sprache bezeichnet, weil es so viele Elemente anderer Sprachen übernommen hat. Nach Ihrer Darstellung ist jedoch jede lebendige Sprache ein Bastard.
Ja, Jiddisch hat viele Elemente anderer Sprachen importiert, aber das ist nicht ungewöhnlich. Das Deutsche hat wesentlich mehr Elemente anderer Sprachen importiert, als Deutschsprachige heute wissen. Und Englisch ist ein Eintopfgericht aus verschiedenen Zutaten und lebt fast noch mehr von Importen als das Jiddisch.
Warum gibt es immer wieder Leute, die vor ­einem Niedergang der deutschen Sprache ­warnen?
Das Genre der Klagen über den Niedergang der Sprache wird häufig von Prophezeiungen eines un­mittelbar bevorstehenden Untergangs begleitet. So schrieb der Spiegel 2006, dass die deutsche Spra­che so schlampig gesprochen werde wie wohl nie zuvor. Aber bereits Anfang des 20. Jahrhunderts beklagte Karl Kraus die »Verpestung der deutschen Sprache durch die Tagespresse« und Kurt Tucholsky, dass es keine »anständigen richtigen deut­schen Wörter« mehr gebe. Doch wiederum einige Jahre vorher, Mitte des 19.Jahrhunderts, schrieb Arthur Schopenhauer, dass die deutsche Sprache »methodisch zu Grunde gerichtet« werde. Vor dem drohenden Kollaps der Sprache, nicht nur der deutschen, wird seit Jahrhunderten immer wieder gewarnt.
Sind Warnungen vor fremden Einflüssen auf die Sprache gerechtfertigt?
Die Idee von der Reinheit der Sprache ist ähnlich dumm wie die Idee von der Reinheit der Rasse. So haben sich beispielsweise alle größeren europäischen Sprachen in einem konstant in­zestuösen Verhältnis entwickelt, indem sie sich un­tereinander bedienten. Fremde Einflüsse gehö­ren zur natürlichen Entwicklung jeder Sprache. Trotzdem finden sich immer wieder Leute, die be­haupten, die Sprache der vorangegangenen Ge­neration sei rein gewesen und letztlich nur durch fremde Einflüsse zerstört worden. Aber das ist eine Illusion.
Nach einer oder zwei Generationen sind die »frem­den Elemente« derart in die Sprache integriert, dass sie einfach nicht mehr als fremd em­pfunden werden.
Mehr als die fremden Einflüsse machen Sie ver­schiedene Prinzipien für die Entwicklung von Sprache verantwortlich: Ökonomie, Zerstörung und Expressivität. Bei dem ersten geht es um Faulheit bzw. den geringsten Aufwand. Wie ist das zu verstehen?
Dieses Prinzip beschreibe ich mit Ökonomie. Damit ist die Tendenz gemeint, sich Mühe zu sparen, und sie steht hinter den Abkürzungen, die Sprecher bei der Aussprache häufig nehmen.
Und wie viel Schuld trägt das »Prinzip der Zerstörung« am Wandel der Sprache?
Nehmen Sie beispielsweise das deutsche Wort »nicht«. Heute wird es als einfaches Negativ benutzt. Aber ursprünglich kam es aus dem Ausdruck »ni-eo-wiht«, was so viel bedeutet wie »nicht irgend ein Ding« oder mit anderen Worten »über­haupt nichts«. Aber die Erosion oder Zerstörung machte dieses »ni-eo-wiht« kürzer und weniger stark in der Bedeutung und wurde zum bloßen »nicht«. Doch dieses einfache »nicht« war nicht ausreichend.
Und dann kommt das »Prinzip der Expressivität« ins Spiel?
Genau. Hier geht es um die Versuche von Sprechern, ihren Äußerungen größere Wirkung zu ver­leihen und deren Bedeutungsskala zu erweitern. Besonders expressiv sind wir oft beim Neinsagen, denn ein schlichtes »nein« erscheint oft zu schwach, um das Ausmaß unserer mangelnden Begeisterung zu vermitteln. Um also dafür zu sorgen, dass die richtige Wirkung erzielt wird, plus­tern wir das »nein« auf und machen daraus »überhaupt nicht«, »nicht im geringsten«, »keines­wegs«, »unter keinen Umständen«, »nie im Leben« und so weiter. Solche Übertreibungen können aber erneut vom Prozess der Zerstörung abgelöst werden und der Kreislauf von Aufbau und Zer­störung beginnt von vorne.
Was bedeutet das Motiv der Analogie für den Wandel der Sprache?
Die Analogie steht als Abkürzung für das Verlangen des Geistes nach Ordnung, für das instinktive Bedürfnis von Sprechern, in der Sprache Regelhaftigkeit zu finden. Am augenfälligsten sind die Auswirkungen von Analogie in den Fehlern kleiner Kinder, so etwa »ich trinkte«, »ich habe getrinkt« oder »er hat geseit« für »er ist gewesen«. Das sind Formen, bei denen es sich einfach um Versuche handelt, Ordnung in solche Bereiche der Sprache einzuführen, die nun gerade ganz in Unordnung sind.
Haben Sie diese Prinzipien im Gegensatz zu Noam Chomskys Sprachtheorie entwickelt?
Um es sehr verkürzt und vereinfacht zu sagen: Chomsky behauptet, der einzige Weg, die hochkomplexe und differenzierte Struktur der Sprache zu erklären, bestehe in der Annahme, die Gram­matik sei angeboren und in den Genen verschlüsselt. In meinen Forschungen und in meinem Buch versuche ich zu zeigen, dass es eine wesentlich einfachere Alternative gibt. Wenn man versteht, dass Sprache in ihrer gesamten Geschichte immer durch einen permanenten Wandel gekennzeichnet war, kann man erklären, wie sie zu ihrer gegenwärtigen Komplexität und Differenziertheit gekommen ist. Wenn wir einmal verstehen, wie sich Sprachen auch heute noch verändern und entwickeln, können wir dieses Wissen auf die Vergangenheit projizieren und nach­vollziehen, wo die Quelle für die Komplexität und Differenziertheit von Sprache liegt.
Wieso ist ausgerechnet der deutsche Genitiv eine vom Aussterben bedrohte Spezies?
Ganz grundsätzlich bewegt sich das Deutsche in die gleiche Richtung wie die meisten europäischen Sprachen seit zwei Jahrtausenden. Fugenelemente und andere grammatikalische Endungen werden reduziert und durch Präpositionen und ähnlich unabhängige Wörter ersetzt. Dieser Prozess hat nicht erst gestern begonnen und es wäre auch dumm zu glauben, dass er morgen enden wird.
Inwiefern hängt die Entwicklung von Sprache auch mit sozialen oder politischen Veränderungen zusammen?
Allgemein ist anerkannt, dass die großen Aufstän­de in England während der dänischen und normannischen Invasion im 10. und 11. Jahrhundert extreme Vereinfachungen in die Wortstruktur der englischen Sprache brachten. Sobald es zu einer Vermischung von Sprachen kommt, scheint die komplexe Wortstruktur das erste zu sein, was eine Vereinfachung durchmacht.
War Esperanto zu kompliziert, um Weltsprache zu werden?
Keine Sprache wird wegen linguistischer Qualitäten zur Weltsprache. Dafür braucht es eine Nation mit großer militärischer und politischer Macht und kultureller Hegemonie.
Ihr Spezialgebiet ist das Akkadisch, eine tote Sprache. Was können tote Sprachen über den Aufstieg und Fall von politischen Mächten aussagen?
Vor allem lehren sie uns Bescheidenheit. Akkadisch war 2000 Jahre lang eine Schriftsprache, also fast doppelt so lang wie die deutsche oder englische Sprache bisher. Um 500 v. Chr. konnten babylonische Schriftgelehrte Texte lesen, die 2000 Jahre zuvor geschrieben wurden. Doch dann geriet Akkadisch in Vergessenheit. Die Spra­che verschwand im Staub der Wüste und wurde erst im 19. Jahrhundert wieder entschlüsselt. Die Moral dieser Geschichte sollte jenen zu denken geben, die glauben, eine Sprache wie Englisch wird nie aussterben, weil sie schon so lange existiert.