Das Dasein im Mittelbau an der Universität

Aha, ja, sehr interessant

Zwischen Master und Professor, zwischen Sekretariat und Dekanat, zwischen Reisekostenabrechnung und Hochschulrahmen­gesetz, zwischen Seminar und Gremiensitzung gibt es noch etwas: eine Sphäre, in der auf hohem Niveau gejammert wird. Lamento aus dem Mittelbau, Teil I

»Mein Drucker ist kaputt.« »Mein Internet funktioniert nicht.« »Das Buch war ausgeliehen.« Solche Sätze sollten Studierende im Gespräch mit Mitarbeiterinnen des Mittelbaus, also mit mir, nicht einmal dann verwenden, wenn tatsächlich ihr Drucker explodiert ist, der Computer komplett von Viren zerstört wurde oder die Universitätsbibliothek ein Opfer der Flammen wurde.
Denn solche so harmlos erscheinenden Sätze erzeugen sofort eine lose-lose-Situation. Ich glaube dem Studenten sowieso kein einziges Wort und denke mir: Du bist sogar zu blöd, dir eine geschei­te Ausrede einfallen zu lassen. Das spreche ich aber aus Nettigkeit nicht aus, auch, weil der Student sonst anbieten könnte, in der nächsten Woche seinen kaputten Drucker mitzubringen. Al­so akzeptiere ich die Geschichte.
Der Student denkt sich daraufhin: Ist die dumm, glaubt wirklich alles, was man ihr erzählt. Dann kann ich bei ihr auch einfach eine Hausarbeit ab­geben, die ich mir aus dem Internet kopiert habe.
Das mag vielleicht unfair klingen, aber so läuft es eben. Das Dasein im Mittelbau an der Universität ist mit dem Wort »komplexbeladen« noch harmlos beschrieben. Die Komplexe resultieren aus der spezifischen Situation im Mittelbau: Ich bin keine Studentin mehr, aber auch keine Professorin. Eine Professorin kann es sich leisten, auf die oben genannten Sätze schlichtweg zu antworten: Das interessiert mich doch nicht. Aber ich war im vergangenen Semester noch Studentin, gehörte zu der Masse im Hörsaal und habe den kaputten Drucker womöglich auch schon einmal in Anschlag gebracht.
Nach den Semesterferien war ich dann auf einmal Seminarleiterin. Das hat schwerwiegende Folgen für die eigene Identität: Es geht im Seminarraum plötzlich nicht mehr um Distinktion, sondern um Integration. Das demonstrative Augenverdrehen, wenn jemand Unsinn redet, weicht schlagartig dem butterweichen Satz: »Aha, ja, das ist ein interessanter Aspekt, vielleicht möchte jemand darauf antworten.« Spätestens, nachdem man diesen Satz zwei Mal gesagt hat, ist man ein neuer Mensch. Ganz im Sinne von Pascals Aus­spruch »Knie nieder, falte die Hände, und du glaubst« habe ich mich auf diese Weise zu dem gemacht, was ich nun bin und als was ich wahrgenommen werde: als Dozentin, wenn nicht sogar als ein Freak. Beides bringt mich in den Verdacht, jenseits der Realität zu leben und nicht mit dem Internet klarzukommen.
Das dachte sich wohl ein Student im vergangenen Semester, als er mir eine Hausarbeit abgab, die ein derart zusammenhangloses Stückwerk war, dass ich zu einem Mittel griff, das ich eigentlich ablehne. Ich gab einen Satz bei Google ein. Die ersten beiden Treffer führten zu Hobbyinterpretationen des in meinem Seminar zu analysierenden Gedichts. Der Student hatte sie samt Rechtschreibfehlern kopiert. Wie überzeugt er davon war, dass ich das nicht merken würde, zeigte sich, als ich per E-Mail die Versicherung von ihm einforderte, die Arbeit selbständig geschrieben zu haben. Ich hatte sie eine halbe Stunde später vorliegen. Es wunderte mich auch nicht, dass er der erste war, der zur Besprechung der Arbeit auftauchte.
Unglaubliche Unterstellungen seien das, meine Behauptungen eine Unverschämtheit, polterte er, als ich erklärte, dass ich ihm für diese Arbeit keinen Schein ausstellen würde. Meinen Vorschlag, dass ich ein paar Sätze vor seinen Augen bei Google eingebe, lehnte er ab und verließ, mich laut beschimpfend und die Türe knallend, mein Büro. Ich kam gerade noch dazu, ihm vorzuschlagen, mich zu verklagen. Das hat er leider nicht getan.
Wenigstens hält er mich jetzt nicht mehr für dumm, sondern für unverschämt. Das ist ja schon einmal ein Anfang. Und ich frage mich, wie dumm man sein kann, zu denken, ich sei so dumm, nicht zu kapieren, dass man mich für dumm hält. Ahhh, Distinktion!