Hans-Werner Sinn. Ein Porträt

Der Antigrüne

Hans-Werner Sinn, der Präsident des Münchener Ifo-Instituts, ist ein Mann der Botschaften. Derzeit kämpft er gegen »Windflügel« und für Atomkraft.

Hans-Werner Sinn stößt das Wort »Windflügel« aus, als handele es sich um eine besonders ärger­liche Verschmutzung. Im selben Moment erscheint das Grauen auf der Leinwand: sich überlappende Fotos von grauen Windrädern vor grauem Himmel in neblig-grauer Landschaft. Darunter steht geschrieben: »Alles für die Katz«.
Man erfährt so einiges während der »Dinner Speech« zur Eröffnung der Wintertagung des Deut­schen Atomforums Anfang Februar. Erdöl schmeckt nicht am Salat, die Grünen sind »völlig auf dem falschen Trip«, und die Atomkraft sollte man »rehabilitieren«. Wer hätte das gedacht?

Die Fotos, die vorgetragenen Thesen und die nicht ganz taufrischen Witzchen (»Kennen Sie den mit dem Geisterfahrer auf der Autobahn?«) entstammen Sinns neuestem, knapp 500 Seiten dickem Buch »Das grüne Pardoxon. Plädoyer für eine illusionsfreie Klimapolitik«. Darin ist auch zu lesen, wie »unglaubliche Eindrücke« von fiesen Windparks den Ökonomen zu seiner Mission trieben. »Über den Auen von Neubrandenburg ist in verträumten Sommernächten das unaufhaltsame Summen der Rotoren zu hören, und vom Brocken überblickt man, so weit das Auge reicht, glitzernde Kolosse, die sich der Landschaft bemächtigt haben«, schreibt der verhinderte Poet er­griffen. »Die Reste der Romantik Caspar David Friedrichs, die man in Deutschland hier und da noch findet, werden nun hemmungslos der grünen Ideologie geopfert.«
Wenn nicht jemand wie Hans-Werner Sinn etwas dagegen unternimmt! So behelligt er die Leser mit Botschaften, die heutzutage gemeinhin als »un­bequeme Wahrheiten« bezeichnet werden. Mit dem Habitus »einer muss es ja mal sagen« transportiert er Ideologie, versteckt unter einem Haufen von »Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen«.
Man lernt Dinge, die »manchen deutschen Intellektuellen zunächst unbegreiflich« erscheinen: Emissionshandel ist knorke. Aber wegen des Emissionshandels wird der Dreck, den man an einer Stelle einspart, an einer anderen in die Luft geblasen. Das ist für Sinn ein Grund dafür, das Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien (EEG) abschaffen zu wollen, und nicht etwa dafür, am Emissionshandel zu zweifeln. Außer mehr Atomkraft will er ein »Super-Kioto« mit den USA, China und Indien. »Ich gebe zu, das sind radikale Forderungen«, sagt Sinn in Berlin.

»Deutschland ist artig und schreitet voran«, sagt der aufmüpfige Professor im Hinblick auf den ganzen grünen Quatsch und hat auch eine Erklärung für die Misere parat: »Nach all den Zeiten, in denen wir die Bösen waren, wollen wir die Welt mit unseren guten Taten überzeugen.« Wahlweise legt er auch nahe, die Bundesregierung sei nicht ganz bei Sinnen. Die Entscheidung im Jahr 2007, den Ausstoß von Kohlendioxid bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent zu verringern, sei in der »Augusthitze Meseburgs« gefallen, schreibt er und verwechselt in der eigenen Hitzigkeit glatt »Burg« und »Berg«. Er selbst macht es sich an entscheidenden Stellen sehr einfach. Atommüll? Muss unter die Erde!
Jedes Dummchen lernt, dass die herkömmliche industrielle Produktionsweise zwar leider Dreck macht, aber ansonsten der Wohlfahrt aller dient: »Wenn man an bestimmten Stellen der Welt die Industriegüter produzieren möchte, die der ganzen Welt zur Verfügung stehen und überall Nutzen stiften, dann muss man hinnehmen, dass an diesen Stellen mehr Kohlendioxid ausgestoßen wird als anderswo.« Vorschriften zum Umweltschutz an bestimmten Stellen der Welt hält er da­gegen für Ansätze einer Ökodiktatur – etwa die von der Stadtverordnetenversammlung in Marburg beschlossene Regelung, die Dächer der Stadt mit Sonnenkollektoren auszurüsten. Dabei handele es sich »um einen offenkundigen Missbrauch demokratischer Macht«, weil die Regelung »nicht dem Wohl der Bürger der Stadt Marburg, sondern dem Wohle der Menschheit als Ganzer dienen soll«.

Hans-Werner Sinn ist vor allem als Präsident des Ifo-Instituts bekannt, und das wiederum für den Geschäftsklimaindex. Aber er war zum Beispiel auch am Gesetzesentwurf für die Riester-Rente beteiligt und soll die »Agenda 2010« beeinflusst haben. Der Mann, der während seiner Studienzeit Ende der sechziger Jahre sogar mal »ein bisschen links« gestanden haben will, wie er dem Handelsblatt vor Jahren gestand, ist so etwas wie der bayerische Hofökonom. Zu seinem 60. Ge­burtstag im vorigen Jahr, den er in der Münchener Residenz beging, habe ihm der damalige CSU-Vorsitzende Erwin Huber »ein hübsches neues Ener­gieinstitut, das dem Ifo angegliedert werden soll«, geschenkt, mit der Begründung, »damit sich nicht nur die Linken um Energiefragen küm­mern«, schreibt die FAZ. Bereits 1991, Jahre bevor er ans Ifo-Institut ging, ließ sich der Professor »sei­ne Treue« zu München mit einem eigenen Institut, dem Center for Economic Studies, »vom Freistaat versüßen« (Handelsblatt).
Gegen Ende vorigen Jahres machte sich Sinn auch bei Menschen einen Namen, die sich weniger für die Befindlichkeiten der deutschen Unternehmen interessieren, als er dem Tagesspiegel sagte: »In jeder Krise wird nach den Schuldigen gesucht, nach Sündenböcken. Auch in der Weltwirt­schaftskrise von 1929 wollte niemand an einen anonymen Systemfehler glauben. Damals hat es in Deutschland die Juden getroffen, heute sind es die Manager.« Dafür entschuldigte er sich und er­klärte kürzlich dem SWR, dass er ja nur die Juden in Schutz genommen habe.
Zweifelsohne will Sinn immer nur Gutes tun. Er kümmert sich um den Hunger auf der Welt, denn mit den Bildern von der »Tortilla-Krise« kann man wunderbar gegen Biodiesel hetzen. Vor ein paar Jahren wollte er Deutschland »retten« und erfand das Programm der »Aktivierenden Sozialhilfe«, nach dem sich noch der letzte arme Schlucker sein Arbeitslosengeld II wahrhaftig verdienen sollte. Mit einem schönen Nebeneffekt: Schwarzarbeit gäbe es nicht mehr, »weil die ehemaligen Schwarz­arbeiter nun acht Stunden am Tag der Gemeinde zur Verfügung stehen müssen«. Mit der Abschaf­fung des gesetzlichen Kündigungsschutzes wollte er ein kleines Paradies schaffen, in dem jedem die Lieblingstrauben in den Mund wachsen würden: »Es wird dann Verträge mit hohem Lohn und nie­drigem Schutz sowie Verträge mit niedrigem Lohn und hohem Schutz geben. Jeder kann sich aussuchen, was er präferiert.«

Sogar der demographische Wandel wäre wohl bereits gestoppt und die Rente sicher, hätte man auf Sinn gehört und »massive finanzielle Anreize« fürs Kindermachen beschlossen und Strafen für Kinderlose beziehungsweise für alle, die weniger Kinder als er selbst großgezogen haben (drei): »Statt eine ganze Generation kollektiv in die Verantwortung zu nehmen, sollten die notwendigen Rentenkürzungen und das kompensierende Riester-Sparen auf die Kinderlosen kon­zen­triert werden. Wer keine Kinder in die Welt setzt und großzieht, dem kann eine erhebliche Rentenkürzung zugemutet werden.« Wohl in diesem Sinne unterstützt er das erzkonservative Institut für Demograpie, Allgemeinwohl und Familie, des­sen Geschäftsführer Jürgen Liminiski seine Meinung in der Jungen Freiheit und im Studienzen­trum Weikersheim kundtut.
Auf sich warten lassen nur »radikale Thesen« zur Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Amerikaner sollen ihre Banken besser regulieren, an den »Konjunkturpaketen« stört ihn nur die »Abwrackprämie«. Zuletzt forderte er, die Hypo Real Estate zu verstaatlichen. Der »wichtigste deutsche Ökonom«, der sich »die größte publizistische Schlagkraft« erarbeitet hat (Cicero), wird doch nicht ratlos sein?