Hugo Chávez darf wieder kandidieren

Der Comandante darf bleiben

Der venezolanische Präsident Hugo Chávez hat das Referendum gewonnen und kann für eine weitere Amtszeit ­kandidieren. Doch der Ölpreis sinkt, es wird schwieriger, die populäre Sozial­politik zu finanzieren.

Hugo Chávez darf länger regieren. Etwa 54 Prozent der Venezolaner stimmten am Sonntag in einem Referendum der enmienda (Änderung) zu, die es dem Präsidenten gestattet, im Jahr 2012 für eine weitere Amtszeit zu kandidieren.
Über das Referendum wurde in Venezuela und auch international kontrovers und häufig polemisch diskutiert. Brisant ist die Frage, die zur Abstimmung stand, jedoch nur im Kontext der innenpolitischen Konflikte in Venezuela, denn die Reform ist eigentlich gar nichts Besonderes. Allen Amtsinhabern, vom Bürgermeister bis zum Präsidenten, soll die Möglichkeit der unbegrenzten Wiederwahl gegeben werden. Bisher war die Amtszeit auf maximal zwei Perioden beschränkt. In Deutschland und vielen anderen EU-Ländern gibt es solche Beschränkungen nicht. Doch wie immer in Venezuela ging es bei der Diskussion weniger um die konkreten Inhalte der Reform als um Comandante Chávez und seinen »Sozialismus des 21. Jahrhunderts«.

Mit Fernsehspots, Handyklingeltönen, Propaganda-Salsa im Radio und Massendemonstrationen für die »Freiheit« und den »Frieden« hatten Opposition und Regierung gleichermaßen ihre Anhänger zur Teilnahme aufgerufen. Die chavis­tischen Abgeordneten bekamen einen Monat frei, um in der Metro und auf öffentlichen Plätzen über die Reform zu informieren. Was für die Chavistas demokratische Aufklärung der Staatsbürger war, sahen Regierungsgegner als staatlich bezahlte Propaganda an. Selbst der alternde Fußballstar Diego Maradona, ein bekennender Anhänger von Chávez, fand sich zu einem Solidaritätsbesuch ein und schwor feierlich, für die Reform zu werben.
Anfang Februar hatte Chávez mit einem großen Staatsakt das zehnjährige Jubiläum seiner Amtszeit zelebriert und auch gleich einen Feiertag zu seinen Ehren eingeführt. Wie üblich sparte Chávez nicht mit großen Worten: »Vor zehn Jahren ist der zum Volk gewordene Bolívar zurückgekehrt«, erklärte er in Anspielung auf den süd­amerikanischen Unabhängigkeitskämpfer Simón Bolívar. In diesen zehn Jahren blieb die venezolanische Gesellschaft jedoch gespalten. Der Präsident wurde im Jahr 2006 mit 61 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Bei den Kommunalwahlen im November vergangenen Jahres erhielt die Sozialistische Einheitspartei PSUV zwar in 17 von 22 Bundesstaaten die Mehrheit, jedoch war in drei der vier größten Regionen sowie der Hauptstadt Caracas die Opposition erfolgreich. Die letzte geplante Verfassungsänderung war Ende 2007 von 51 Prozent der Bevöl­kerung abgelehnt worden.
Die damalige Reform sah einerseits Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, die Einrichtung von Nachbarschaftsräten sowie antisexistische und antirassistische Verfassungsartikel vor. Doch wollte der Präsident nicht nur seine unbegrenzte Wiederwahl ermöglichen, sondern sich auch das Recht sichern, wenn »notwendig«, militärische Zonen überall im Land einzurichten. Überdies sollte ein Artikel gestrichen werden, der es verbietet, Notstandsgesetze zu erlassen, mit denen grundlegende demokratische Rechte eingeschränkt werden können.
Die Diskussion um die jetzige Reform war ebenso kontrovers, obwohl die Änderungen der Verfassung im Vergleich marginal sind. Beide Seiten behaupteten jedoch, dass es auch diesmal um alles ging. Manuel Rosales, Bürgermeister von Maracaibo, der zweitgrößten Stadt Venezuelas, erklärte auf einer Kundgebung der Opposition, dass die Reform »der Anfang eines castro-kommunistischen Systems und der Abschaffung des Privateigentums« sei. Jeder, der ein eigenes Fahrrad besitze, solle daher mit »Nein« stimmen, riet Rosales. Von Regierungspolitikern wurde nicht weniger dick aufgetragen. »Wenn die Opposition an die Macht gelangt, wird es Krieg geben«, warnte Chávez auf einer seiner unzähligen Werbeveranstaltungen. Wer gegen die Reform stimme, bringe das kostenlose Gesundheitssystem in Gefahr, warnte die Regierung.

Peinlich für Chávez, der sich als Simón Bolívar des 21. Jahrhunderts darstellt, ist, dass die rechte Opposition ihn mit einem Zitat des Nationalhelden konfrontieren kann. Bolívar hatte 1819 in seiner berühmten Rede von Angostura betont, dass »nichts so gefährlich ist, wie denselben Bürger eine lange Zeit an der Macht zu lassen. Das Volk gewöhnt sich daran zu gehorchen, und er gewöhnt sich daran zu befehlen.« Für Bolívar war dies der Ursprung der Tyrannei. Die Anhänger von Chávez teilen diese Sorge offensichtlich nicht. »Weil Chávez uns liebt, ist er unfähig, uns etwas Böses zu tun«, lautete einer von zehn Gründen für ein »Ja«, die Chavistas in einem in der Haupt­stadt Caracas verteilten Flugblatt anführen. Für die große Mehrzahl der Regierungsanhänger steht außer Frage, dass die »Revolution« Chávez braucht. Die Frage ist, ob Chávez die Revolution braucht. Der Personenkult und die quasi reli­giöse Verehrung des Präsidenten passen nicht zum oft – und zu Recht – betonten basisdemokratischen Charakter des bolivarianischen Prozesses, der vor allem von sozialen Bewegungen gestaltet werden soll.
Die neugegründete, den Gewerkschaften nahestehende Partei USI (Sozialistische Einheit der Linken) widersprach in einem Kommuniqué der Ansicht, dass »die Reform der Weg ist, um das Überleben des revolutionären Prozesses zu garantieren«. Sie sieht die sozialen und basisdemokratischen Fortschritte durch die zunehmend »bürokratischen und antidemokratischen Methoden« der Regierung in Gefahr. Dies zeige sich an der »wachsenden Korporatisierung der sozialen und gewerkschaftlichen Bewegung« ebenso wie an der Repression. Ende Januar wurden bei der Räumung einer besetzten Fabrik zwei Arbeiter von der Polizei erschossen. Die Institutionalisierung des Prozesses, verbunden mit einer autoritären Kontrolle der Gesellschaft lasse eine neue »bolivarianische Oberschicht« entstehen und verwandele »die Arbeiter, wie in China, in die neue versklavte Klasse«, die unter den gleichen schlechten Arbeitsbedingungen wie im Kapitalismus zu arbeiten habe. Die Revolution könne nicht durch die Wiederwahl von Chávez, sondern nur durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und Erweiterung des basisdemokratischen Systems gesichert werden.

Derartige Kritik von links ist selten zu hören, nur wenige werden aus diesen Gründen der Reform ihre Zustimmung verweigert haben. Mehr Stimmen kostete Chávez sicherlich die globale Wirtschaftskrise. Der Ölpreis ist seit Mitte vergangenen Jahres um 70 Prozent gesunken, die weitere Finanzierung der »Revolution« ist gefährdet. Mit den Gewinnen der staatlichen Ölgesellschaft PDVSA wurden vor allem die zahlreichen sozialen Programme bezahlt, allein im vergangenen Jahr standen der Regierung knapp elf Milliarden Dollar aus dem Ölverkauf zur Verfügung. Mit diesem Geld konnte Chávez unter an­derem die Armutsrate seit Beginn seiner Amtszeit um 21 Prozent verringern. Doch mittlerweile übersteigt die Inflationsrate 30 Prozent.
Zwar behauptet Chávez standhaft, die globale Krise des Kapitalismus betreffe Venezuela nicht und es seien keine Sparmaßnahmen geplant. Sich auf »Revolution, Unabhängigkeit, Sozialismus«, die Ideologie des bolivarianischen Systems, zu berufen, dürfte jedoch auf Dauer nicht genügen, um die Verluste beim Ölexport auszugleichen, der mehr als 90 Prozent der Devisen einbringt.