Dicke Luft im Knast

Viel erlebt hat er ja, vor allem im Jahr 1989. Er durfte so ziemlich jede wichtige Organisation der DDR mal leiten, sogar Generalsekretär war er. Gefälschte Wahlen, Schießbefehle – alles sehr aufregend. Und ganz nebenbei prägte er den Begriff der »Wende«. Über diese spannenden Erlebnisse hat er bereits vor zehn Jahren ein Buch geschrieben und Tom Hanks ein Interview gegeben. In den neunziger Jahren kam es dann zum Prozess und er in den Knast. Die knapp vier Jahre dort schildert Egon Krenz in seinen »Gefängnis-Notizen«, die er vorige Woche im Verlagshaus des Neuen Deutschland in Berlin vorgestellt hat. Neben den üblichen DDR-Nostal­gi­kern waren dort auch jede Menge Journalisten anwesend, die sich anschließend in ihren Zeitungen gegenseitig bei der Analyse überboten. »Sein Haar ist weiß, sein Gesicht schmaler geworden«, schreibt die Berliner Morgenpost mit sicherem Blick für die Physiognomie. Zum »Anwalt« der Ostdeutschen sei er geworden, weiß das Neue Deutschland. Und die Junge Welt ergründet in solidarischer Weise Krenz’ Rolle als Sündenbock der neuen BRD, die er aber »in Würde, ohne Wendehalsigkeit« und als »überzeugter Kommunist ertragen« habe.
Das Martyrium des »Ewiggestrigen« (Morgenpost) wird im Buch mehr als deutlich. Die Inhaftierten »mustern mich, als käme ich von einem anderen Planeten«, schreibt Krenz. »Und was für ein Zeug sie paffen! Wohl oder übel muss ich ihren Qualm einatmen.« Man sehe, »die neue Macht rechnet mit der alten ab«. In der ihr eigenen Manier bringt es die Junge Welt auf den Punkt: »Man fühlt sich an Lessing erinnert, der den Patriarchen im ›Nathan‹ immer wieder auf alle Einwände des Tempelherrn sagen lässt: ›Tut nichts! Der Jude wird verbrannt‹«. Leid ist eben relativ, und dabei steht fest: »Das kann ein Rezensent nicht vermitteln oder bewerten. Man muss es lesen.« Die Mitglieder der »Linken«, die Krenz jetzt wieder in ihrer Partei haben wollen, werden das sicher beherzigen. Die Lektüre dürfte sie darüber hinwegtrösten, dass er selbst die Mitgliedschaft ablehnt .