Die Debatte über Sterbehilfe in Italien

Gottes williger Vollstrecker

Die Williamson-Affäre wurde in Italien schnell vergessen. Hier führen die katholische Kirche und die rechtskonservativen Kräfte ihre politische Offensive weiter, wie derzeit eine heftige Debatte über Sterbehilfe zeigt. Silvio Berlusconi fühlt sich dabei berufen, über Leben, Tod und die italienische Verfassung zu entscheiden.

Vor 80 Jahren, am 11. Februar 1929, bestätigten sich der Heilige Stuhl und das faschistische Regime im römischen Lateranpalast, dass es für beide Seiten von Nutzen sei, bestehende Konflikte auszuräumen. »Mussolini ist der Mann, der uns von der Vorsehung geschickt wurde«, predigte der damalige Papst Pius XI. anlässlich der Versöhnung. Die Lateranverträge besiegelten nicht nur die Einrichtung des souveränen Staats Vatikanstadt. Im zweiten Teil des Abkommens, dem Konkordat, wurde zusätzlich eine Reihe religiöser und zivilrechtlicher Angelegenheiten zum Vorteil der katholischen Kirche geregelt. Doch auch der faschistische Diktator hatte sich nicht umsonst um die Aussöhnung mit den Kirchen­oberen bemüht. Durch die Zugeständnisse an den Vatikan sicherte er sich die Gunst des katholischen Kirchenvolks. Nach Abschluss des Konkordats wuchs der gesellschaftliche Konsens, das faschistische Regime konnte dadurch seine Macht konsolidieren.
Nach dem Krieg konnte die katholische Kirche ihre Privilegien aufgrund der jahrzehntelangen Vorherrschaft der Christdemokraten verteidigen. Erst seit der Auflösung der Democrazia Cristiana in den neunziger Jahren kämpfen die Kirchenherren mit einer aggressiven Einmischungspolitik parteiübergreifend um jede einzelne katholische Seele. Auf ihrem Kreuzzug gegen zivilrechtliche Neuerungen konnten sie in den vergangenen Jahren Erfolge erzielen, die alle Konkordatsverein­barungen übertreffen. Ein Referendum gegen das res­triktive Gesetz zur künstlichen Befruchtung 2005 und eine Gesetzesvorlage zur rechtlichen Gleichstellung von homosexuellen Paaren 2007 scheiterten; das Recht auf Schwangerschafts­abbruch wird ständig in Frage gestellt.
Vor zwei Wochen eskalierte nun eine Debatte um die rechtlichen Grundlinien für ein biologisches Testament. Die Frage, ob der Tod der Wachkomapatientin Eluana Englaro durch den Abbruch der künstlichen Ernährung herbeigeführt werden dürfe, wurde zum Politikum und führte zu heftigen Auseinandersetzungen im italienischen Parlament. Englaro, die 17 Jahre lang im Koma lag, durfte am 9. Februar endgültig sterben, die Debatte um ihren Tod geht weiter. Aber geht es dabei wirklich um die komplexe Thematik der Sterbehilfe?

Bis zuletzt wollte Ministerpräsident Silvio Berlusconi den Tod der 38jährigen verhindern und sah dabei seine Chance gekommen, zum neuen »Mann der Vorsehung« zu werden. Mit einem Regierungsdekret, das im Eilverfahren verabschiedet werden sollte, präsentierte er sich als Lebensretter, der das Schicksal der Patientin würde wenden können. Dass er damit ein Urteil des obersten italienischen Gerichtshofs aufheben und jede Diskussion im Parlament beenden würde, entsprach seinen politischen Absichten. Hätte der Staatspräsident dieses Dekret unterschrieben, wären Judikative und Legislative umgangen worden. Doch Giorgio Napolitano weigerte sich, mit einer Unterschrift die verfassungsrechtliche Gewaltenteilung außer Kraft zu setzen, schließlich gehört er zu jener Generation, die sich noch an den antifaschistischen Geist erinnert, aus dem die Verfassung entstand. So brüsk am Griff nach der Macht gehindert, vergaß Berlusconi sein hehres Ziel und gestand unverhohlen, die »philosowjetische« Verfassung ändern zu wollen. In eilends einberufenen Sondersitzungen sollten ihm die Kammern mit der einfachen Mehrheit seiner rechten Koalition das Dekret bestätigen. Nur wegen Englaros Tod wurde die Abstimmung kurzfristig abgesagt und die institutionelle Krise damit bis auf weiteres vertagt.
Die Demokratische Partei hatte dem Angriff nichts entgegenzusetzen. Sie bekam ein schlechtes Gewissen und verlor darüber den Glauben an ihre politischen Überzeugungen. Die sozialistisch-laizistische Opposition ist ohne parlamentarischen Einfluss, sie vermochte Mahnwachen zu organisieren, nicht aber die Massen zum Widerstand aufzurufen. Die eindringlichsten Appelle kamen von den einstigen Vätern der Verfassung, aber die sind altersschwach. Im Vatikan begrüßte man dagegen Berlusconis autoritäre Geste. Daran, dass er die demokratische Verfassung zu umgehen versuchte, stört man sich nicht, schließlich versprach er, seine ganze Macht in den Dienst der katholischen Sache zu stellen. Zu der Hoffnung, Berlusconis nächster Streich könne noch irgendwie vereitelt werden, besteht kein Anlass.