Konjunkturschmarotzer Deutschland

Rette sich, wer kann!

Die Krise hat das »Modell Deutschland« mit voller Wucht erwischt.

Es ist bizarr. Kaum hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel das »Modell Deutschland« beim World Economic Forum in Davos bescheidener Weise für die ganze Welt empfohlen, brechen dem »Exportweltmeister« die Aufträge weg. Angst und Schrecken machen sich breit. »Wir rechnen 2009 mit einem Exporteinbruch von bis zu acht Prozent«, sagte der Präsident des deutschen Außenhandelsverbandes BGA, Anton Börner, dem Handelsblatt.
Überraschend ist das keineswegs. Anfang Februar hieß es in einem Leitartikel der Financial Times Deutschland (FTD): »Die neuesten Zahlen zum Ordereingang ergeben ein Bild des blanken Horrors: Die Aufträge brechen in historisch beispielloser Weise weg, auf den Auslandsmärkten noch dramatischer als im Inland. Von September bis Dezember 2008 fiel das Ordervolumen aus dem Ausland um rund 30 Prozent; die Aufträge aus der Euro-Zone stürzten allein im Dezember um rund 15 Prozent, bei den Investitionsgüterherstellern sogar um 30 Prozent – in einem Monat! Bei einem solchen Kollaps geht auch der fitteste Anbieter (lies: Deutschland; C.K.) bald in die Knie.«
Wie konnte es dazu kommen? »Eine Erklärung könnte sein, dass Regierung und Notenbank viel zu lange gezögert haben, bis sie mit Konjunkturpaketen und drastischer sinkenden Zinsen auf das seit Monaten nahende Desaster reagierten«, kommentierte Thomas Fricke in der FTD unter dem Titel »Krise des deutschen Wirtschaftsmodells«. »Eine andere, tiefere Erklärung ist, dass sich jetzt zu rächen droht, wie einseitig die Deutschen über Jahre versucht haben, Wirtschaftswachstum über Kostenwettbewerb, Einkommensverzicht und Exportweltmeisterschaft zu erzwingen.« Davon hätten Exportländer wie Deutschland oder China in der Boomphase zwischen 2002 und 2007 profitiert, aber in der Krise verkehre sich das nun ins Gegenteil.
In die gleiche Kerbe schlug Stefan Collignon, Professor für Europäische Wirtschaftspolitik, in einem Gastkommentar für die FTD vom 10. Februar mit der bemerkenswerten Überschrift »Konjunkturschmarotzer Deutschland«. Das Konjunkturpaket der Bundesregierung – das soeben vom Bundestag verabschiedet wurde – sei so angelegt, dass sich Deutschland auf Kosten seiner Nachbarländer erholen solle. Im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts habe sich die deutsche Handelsbilanz mit den EU-Partnern verdoppelt, während sich bei allen unmittelbaren Nachbarn Deutschlands die innereuropäische Handelsbilanz verschlechtert habe. Kurz: Deutschland wachse, aber zu Lasten seiner Nachbarn. »Diese Entwicklung muss beendet werden«, schreibt Collignon. »Der Wettbewerbsdruck wächst rapide und könnte schon bald an den Wendepunkt gelangen, an dem Euro und Binnenmarkt auseinanderfallen. In Berlin klopft man sich ausgelassen auf die Schultern (›Wir sind Exportweltmeister‹), aber es ähnelt dem letzten Tanz auf der ›Titanic‹ kurz vor dem Untergang.«
Bereits Anfang Februar stellte Jean Quatremer auf seinem Blog für die französische Tageszeitung Libération die rhetorische Frage »Ist Deutschland noch ein europäisches Land?« und meinte angesichts der vielen von der Bundesregierung torpedierten Pläne einer wirtschaftspolitischen Intervention auf europäischer Ebene, Merkel drohe, den Platz von Margaret Thatcher als »Mrs. No« der EU einzunehmen. Nun hat der französische Staats­präsident Nicolas Sarkozy mit seinen Hilfen für französische Autohersteller den Weg des Protektionismus eingeschlagen. Die Krise hat die Konkurrenz unter den Nationalstaaten enorm verschärft, die deutsche Regierung hat sie weiter angeheizt, nun ist die Phase des »Rette sich, wer kann« eingetreten.