Eine Ausstellung über die Manson Family in Hamburg

Als ’68 vorbei war

Eine Hamburger Ausstellung beschäftigt sich damit, wie nach ’68 und dem Sommer der Liebe Charles Manson zum Paten neuer Schrecken wurde.

Einen guten Einstieg in die Ausstellung »Man Son 1969 – Vom Schrecken der Situation«, die zurzeit in der Hamburger Kunsthalle zu sehen ist, bietet Stephan Hubers Puppenfilmarbeit »Love & Peace«. Dort erlebt man Kasperl, der von der öden heimat­lichen Idylle des Starnberger Sees die Schnau­ze voll hat. Er baut sich eine Zeitmaschine und macht sich, von Sex, Drugs & Rock’n’Roll träumend, auf den Weg in die aufregenden sechziger Jahre. Auf seiner Reise trifft er in der Bibliothek des Frankfurter Instituts für Sozialforschung auf einen vermeintlich wirr dozierenden Adorno, wird in New York Zeuge des Attentats auf Andy Warhol durch die feministische Aktivistin Valerie Solanas, nimmt an einer LSD-Sitzung der Manson Family im Hause des Beach-Boys-Drummers Dennis Wilson in Los Angeles teil und fällt schließlich beim Rockfestival auf dem Altamont Speedway den Hells Angels zum Opfer. Das ganze Programm also.
Hubers Beitrag ist ein Abgesang auf die Hippiebewegung, mit den Kuratoren der Ausstellung Frank Barth und Dirck Mollmann teilt er die These, dass das Projekt der Hippies am Ende an der, wie es in der Ausstellung und im Begleitkatalog immer wieder heißt, »Ambivalenz der Extreme« scheitern musste. Kulminationspunkt dieser Ambivalenz ist den Ausstellungsmachern zufolge das Jahr 1969, welches im Mittelpunkt der Schau steht. Die behauptete »Ambi­valenz« indes spielt in den meisten der hier ausgestellten Werke keine Rolle. Wo es darauf ankäme, Dynamiken und strukturelle ­Zusammenhänge freizulegen, zerfällt die Welt in Liebe und Gewalt, Frieden und Krieg, Gut und Böse, 1968 und 1969.
’69 folgt auf ’68, letztgenanntes feierte im vergangenen Jahr seinen großen runden Geburts­tag. 1968 steht allein schon der Gewohnheit nach, und so auch hier, für die Idee von Aufbruch, von der Befreiung von überkommenen Zwängen und Autoritäten und den lustbetonten und kreativen Neuanfang einer als unschuldig vorgestellten Generation, es steht sozusa­gen für die rosige Seite der »Extreme«. 1969 aber setzt dann der Kater ein, der unausweichlich auf den Summer of Love folgen musste und als dessen Inbegriff das Desaster beim Altamont Festival, bei dem als Sicherheitskräfte engagierte Hells Angels den afroamerikanischen Konzertbesucher Meredith Hunter niederstachen, und die Morde der Manson Family in Los Angeles gelten.
Der Namensgeber der Hamburger Ausstellung, Charles Manson, gründete Ende der sechziger Jahre eine Hippie-Sekte, die es unter dem Namen The Manson Family noch zu großer Bekanntheit bringen sollte. Manson begriff sich nicht nur als Oberhaupt der Family, sondern eben­so auch als religiös-politischen Führer. Seine »Lehre« beinhaltete das Heilsversprechen des LSD-Rausches und der freien Liebe – erst nach dem finalen Sieg über die »schwarze Rasse« ­jedoch könnte man dem herrschenden Chaos, das er einem Song der Beatles folgend »Helter Skelter« nannte, entrinnen. Im August des Jahres 1969 stiftete er Mitglieder seiner Family zu einer ganzen Serie von Morden an Prominenten an, darunter die zu jener Zeit mit Roman Polanski verheiratete Schauspielerin Sharon Tate und das Industriellenehepaar Leno und Rosemarie LaBianca. Manson und die an den Morden beteiligten Mitglieder seiner Bande wurden verhaftet und zu lebenslanger Haft verurteilt.
Ein Großteil der ausgestellten Arbeiten der »Man-Son«-Schau bezieht sich mehr oder weniger auf diese Ereignisse. Gleich im ersten Ausstellungsraum wird man von Stefan Hunsteins großformatigem Triptychon »’69« begrüßt wie von einem Ortsschild auf der Landstraße. In seiner ganzen Einfältigkeit demonstriert es die heilige Dreifaltigkeit von Charles Manson, Hells Angels und Mondlandung.
Es ist überhaupt eine beliebte künstlerische Strategie, religiöse Motive in Zusammenhang mit Charles Manson zu stellen. Bereits das Wortspiel im Ausstellungstitel – »Man Son« (Menschensohn) – stellt diesen Verweis her. Der US-amerikanische Maler Joe Coleman formuliert es im Interview mit Susanne Pfeffer für den Ausstellungskatalog folgendermaßen: »Ich glaube wirklich, dass Serienmörder etwas von Heiligen haben. Sie sind Schamanen, die sich an dunkle Orte begeben.« Entsprechend fertigt er seine Bilder, von denen mehrere in der Hamburger Ausstellung hängen. In »Portrait of Charles Manson« (1988), einem quietschbunten Hare-­Krishna-Alptraum, steht Manson abermals im Zentrum. Ein in die Stirn geritztes Hakenkreuz und auf die Unterarme tätowierte Spinnen sollen an die Wundmale Jesu erinnern, um ihn herum: Peace- und Anarchiezeichen, »666«, »Helter Skelter«, »Love« und »Satan« als Schriftzüge, oben in den Wolken links und rechts der echte Jesus nebst Adolf Hitler. Ein neueres Bild zeigt zusätzlich noch Ussama bin Laden, George Bush und O. J. Simpson.
»Die Ausstellung verfolgt keine explizite Aufklärungsthese, keinen eindeutigen wissenschaftlichen oder sozialgeschichtlichen Ansatz, sondern sie vertraut auf die Sprache der ›Künste‹«, konstatieren Barth und Mollmann in ihrem Katalogtext. Ganz so, als wäre die Sprache der Künste von Aufklärung und Sozialgeschichte abgeschnitten. Dass dies gerade nicht so sein muss, beweisen dagegen die Arbeiten von Till Gerhard. Das Ölbild »Wächter der Natur« (2004) etwa zeigt eine Gruppe junger Menschen auf großen Steinen beieinander am Wasser sitzend. Als Bildvorlage dient eine alte Fotografie. Stellenweise überlagern pinke, grüne und gelbe Flecken die Szene, eines der Gesichter ist dadurch vollkommen unkenntlich gemacht, man könn­te sagen, es sei aus dem Gedächtnis ausgelöscht. Die Gruppe junger Erwachsener, die hier zu sehen ist, sind Charles Manson und seine Gang, irgendwann zwischen 1967 und 1969, als sie in einem Canyon nördlich von Los Angeles lebten. Das Bild besticht durch die Unheimlichkeit, die von der Spannung zwischen der unschuldig anmutenden Naturszene und deren Auflösung durch Farbflecken – Vorahnung und Vergessen – ausgeht.
In seiner Videoarbeit »Killer powered by Pop« (2008) hingegen scheitert Thomas Kunzmann am Versuch, die Verbindung zwischen Terror und Ästhetik allein aus der Popkultur herleiten zu wollen. In kaum zu ertragenden 44 Sekunden sehen wir nacheinander Mitglieder der Mansonbande, der RAF und schließlich der Hamas über den Bildschirm flimmern. Zwischendurch erscheinen die Namen aller Opfer der beiden erstgenannten Gruppen.
Wo das Scheitern von ’68 mit dem Umschlag von Liebe und Frieden in Gewalt behauptet wird – die Debatten der aufeinander folgenden Jahrestage zu 1977 und 1968 haben es gezeigt –, muss auch die RAF ihren Platz bekommen. Die Ausstellung suggeriert tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Charles Manson und der RAF, auch wenn ihre Kuratoren behaupten, keinerlei Gleichsetzung betreiben zu wollen. Immerhin wurden Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Thorwald Proll 1969 nach ihrer Verurteilung im Frankfurter Brandstifter-Prozess aufgrund eines Revisionsverfahrens vorzeitig aus der Haft entlassen und flohen, um einer erneuten Inhaftierung zu entgehen, nach Paris. Dort wurden sie von Thorwalds Schwester Astrid in netten Cafés fotografiert. Auch diese Fotos, die Astrid Proll unter dem Titel »Hans und Grete« vor wenigen Jahren als Buch publizierte, sind in der Ausstellung zu sehen. Die Ausstellungsmacher begreifen Gewalt und Politik als formale Kategorien. Indem ihnen jegliches Interesse, sowohl im Sinne von Erkenntnis als auch eines Standpunktes, vollkommen abgeht, werfen sie zusammen, was zunächst einmal nicht zusammengehört. Jahreszahlen und die ihnen assoziierten Ereignisse und Personen gerinnen so zu Emblemen, holzschnitt­artig und undifferenziert.

»Man Son 1969 – Vom Schrecken der Situation.«
Hamburger Kunsthalle. Bis zum 26. April