Der Prozess gegen »The Pirate Bay« in Schweden

King Kong und die Piraten

Die Betreiber der Webpage »The Pirate Bay« stehen in Schweden vor Gericht. Während die Blogger-Szene die Angeklagten als moderne Robin Hoods feiert, hat die Anklage bereits Anschuldigungen fallen gelassen.

Als die Plattenindustrie sich die »Piratenbucht« vornahm, rechnete sie wohl nicht mit der Strategie der Betreiber der Seite. Sie versuchen nicht etwa, ihre Identität zu verbergen oder mit einer außergerichtlichen Einigung glimpflich davonzukommen. Gottfrid Svartholm, Fredrik Neij und Peter Sunde sehen in ihrem Angebot nichts Verbotenes, schließlich bestehe The Pirate Bay lediglich aus einem Verzeichnis. Jeder Nutzer könne dort mittels so genannter Torrent-Dateien auf beliebige Inhalte verweisen, die andernorts im Netz getauscht werden. Ob es sich bei diesen Daten um illegale Kopien oder freie Software handelt, sei Sache der Nutzer. The Pirate Bay liefere wie eine Suchmaschine nur digitale Wegweiser.
Die Strategie der Verteidigung wird von der Blogger-Szene bereits als »King Kong Defence« bejubelt. Sie basiert darauf, dass sich ein individueller Schuldnachweis nur gegen einzelne Nutzer erbringen lässt. Diese tragen Namen wie »King Kong« und leben beispielsweise in Kambodscha. Alle Beteiligten wissen, was das bedeutet: King Kong wird kaum zu finden sein, ihn vor Gericht zu bringen, dürfte noch schwieriger werden. Die Betreiber von The Pirate Bay stehen nach Darstellung der Verteidigung nur deshalb vor Gericht, weil die eigentlichen Raubkopierer nicht zu finden seien.

In dieser digitalen Version von Robin Hood nimmt die Unterhaltungsindustrie mit ihren brachialen Methoden und korruptionsverdächtigen Verstrickungen die Rolle des bösen Sheriffs ein. Nach ihren Diffamierungskampagnen und absurden Schadensersatzforderungen bereits geschwächt, erlitt ihr Ruf noch vor dem Prozess weiteren Schaden: Mitankläger Warner Bros. musste zugeben, dass der schwedische Chefermittler und Hauptzeuge Jim Keyzer sogar während seiner Untersuchungen und danach auf der Gehaltsliste des Unternehmens stand. Und bereits am ersten Tag der Verhandlungen wurde die Hälfte der Anschuldigungen fallen gelassen. Statt der »Unterstützung von Urheberrechtsverletzungen« wirft die Staatsanwaltschaft den Angeklagten nur noch »Unterstützung der Bereitstellung von urheberrechtlich geschütztem Material« vor.
Anders als die Unterhaltungsindustrie mit ihren großen Image-Problemen wissen die Piraten eine größere Öffentlichkeit hinter sich. Ihre Unterstützer haben sich zu einer Bewegung für die ­Liberalisierung des Urheberrechts formiert. Die schwedische Piraten-Partei zählt inzwischen über 10000 Mitglieder, ihre Jugendorganisation mehr als 5000, die Partei ist damit größer als die Grünen im Land.

Zu den aktiven Unterstützern von The Pirate Bay gehört auch der umstrittene Knäckebrotmagnat Carl Lundström. Schwedischen Zeitungsberichten zufolge wurde er 1988 wegen eines rassistischen Angriffs in Stockholm verurteilt und fördert nationalistische Organisationen und Parteien. Dass sie von Lundström unterstützt werden, räumten die Piraten nur widerwillig ein, scheinen darin aber ohnehin kein größeres Problem zu sehen. Ihr Anwalt Viborg bezeichnete Lundström als »einen Unterstützer freier Kultur« – Verfasser von Berichten über seine rechtsextremen Verbindungen sollen jedoch Spiegel online zufolge Morddrohungen erhalten haben. Mit verharmlosenden und widersprüchlichen Aussagen im schwedischen Fernsehen erweckte ein Sprecher von The Pirate Bay zudem eher den Eindruck, den wohlhabenden Populisten gern als Unterstützer zu haben.
Auch im Prozess spielen die Angeklagten die Rolle des selbstlosen Robin Hood nicht immer überzeugend. Die Anklage wirft ihnen vor, mit der Hilfe eines Marketing-Profis durch Werbebanner mehr als zwei Millionen Euro jährlich einzunehmen. The Pirate Bay nutze illegale Kopien und schrecke auch vor Kinderpornographie nicht zurück, um die Besuchermassen zu locken. Die Beschuldigten bestreiten, die organisatorischen ­Details ihrer eigenen Seite zu kennen; Einnahmen sollten aber nur die Ausgaben für Server und Netzanbindung decken.
Doch das Gericht in Stockholm verhandelt nicht nur über die umstrittenen Helden des digitalen Netzes, sondern auch grundsätzlich über den Umgang mit dem Internet im EU-Land Schweden. Der legale Fortbestand von The Pirate Bay als unkontrollierter Plattform würde es mit sich bringen, dass die Forderungen der Unterhaltungs­industrie nach einem gefilterten Netz – in dem Netzanbieter ihre Nutzer überwachen und für deren Gesetzesverstöße mithaften – vorerst nicht erfüllt werden.