Ein Buch über die französische Satire-Zeitung Le Canard enchaîné

Die schmutzigen Hände

Erst haben sie sich beim Canard enchaîné beworben, dann verfassten die beiden abgelehnten Journalisten ein Enthüllungsbuch über Frankreichs größte Enthüllungszeitung.

Darf man eine Institution »entweihen«, auch dann, wenn sie eine wichtige demokratische Funktion ausübt? Mit »Ja« beantworteten die beiden Autoren Karl Laske – Journalist bei der linksliberalen Tageszeitung Libération – und Laurent Valdiguié, der beim Regenbogenmagazin Paris Match tätig ist, diese Frage. Und so verfassten beide ein Buch über die investigative und satirische Zeitung Le Canard enchaîné, die ­jeden Mittwoch erscheint und mit ihren Enthüllungen über die Machenschaften der Regierenden regelmäßig für Wirbel sorgt.
»Respektlosigkeit«, das war lange Zeit das Markenzeichen der »Gefesselten Ente« – dies bedeutet der Titel der Wochenzeitung wörtlich übersetzt. 1915, mitten im Ersten Weltkrieg, war sie als Zeitung gegen Zensur und Kriegs­propaganda entstanden. Dieses Gründungs­anliegen spiegelte sich auch im Namen: Das ­Adjektiv in ihrem Titel bezog sich eindeutig auf die damalige allgegenwärtige Zensur. Das Wort canard (Ente) dient im Französischen wiederum schon lange als Synonym für eine Zeitung.
Auch später blieb die Zeitung ihrem subver­siven und antimilitaristischen Ansatz ver­bunden. Laske und Valdiguié erinnern an den Zeichner Henri Monier, der in den fünfziger Jahren – das politische Klima in Frankreich war durch die Kolonialkriege chauvinistisch auf­geheizt – die »Vereinigung für die zwölf Arbeiten des Herkules« gründete. Erste Aufgabe: »Auf die Flamme am Grabmal des unbekannten Soldaten pinkeln, damit sie erlischt.« Redakteure des Blattes wurden deswegen vorübergehend festgenommen.
Den ersten Coup landet die Zeitung 1972. In diesem Jahr wird ein Gabriel Aranda in der Redaktion vorstellig. Er war anderthalb Jahre lang als Angestellter im Ministerium für Bauwesen und Infrastruktur tätig. Er erklärt den Journalisten, im Pariser Umland befänden sich auf Waldstücken vergrabene Dokumente, die Hinweise auf Umtriebe der Baumafia und Korrup­tion in den Ministerien enthielten. Die Journalisten buddeln nach, finden brisante Dokumente und decken einen heftigen Korruptionsskandal auf, in den die Gaullisten verstrickt sind. Nutznießer und mutmaßlicher Initiator der Enthüllungsgeschichte ist der damalige Landwirtschaftsminister Jacques Chirac, der zu diesem Zeitpunkt dabei ist, sich den Weg an die Macht zu ebnen und Konkurrenten aus dem Weg zu räumen.
Interessant ist, wie der ehemalige Canard-Redakteur Thierry Pfister die Affäre im Nachhinein bewertet. Er habe zwar gewusst, dass es Intrigen innerhalb des gaullistischen Lagers gab und er in gewisser Weise instrumentalisiert worden sei. Das sei man als Journalist aber gewohnt. »Folglich störte mich das nicht«, bekennt er mit 35 Jahren Abstand.
Mit dieser Enthüllungsgeschichte hat sich der Canard enchaîné einen Ruf als investigatives Blatt erworben. In den folgenden Jahren gelingt es der Wochenzeitung, einige größere Skan­dale an die Öffentlichkeit zu bringen. Dazu zählen Informationen über die »Boulin-Affäre« von 1979: Der gaullistische Arbeitsminister Robert Boulin ist tot aufgefunden worden. Die offizielle Version lautet »Selbstmord durch Ertrinken«, in einem Teich. Es stellt sich aber heraus, dass das fragliche Gewässer lediglich ein knietiefer Tümpel war, in dem der Minister offenkundig tot abgelegt wurde. Allem Anschein nach wusste er zu viel über illegale Machenschaften und wurde deshalb von der damals noch existierenden »Parallelpolizei« der gaul­listischen Partei, dem SAC (Service d’Action civique), beseitigt.
Der Canard funktioniert in jenen Jahren wie eine Kläranlage der Demokratie. Er kann einige wichtige Umtriebe und Machenschaften des politischen Führungspersonals enthüllen – und wird dabei regelmäßig von opponierenden Kräften mit Informationen gefüttert.
Bis heute hat sich das Blatt seine Funktion als investigative Zeitung bewahrt. Einige Jahre lang droht der Canard jedoch, seine Relevanz einzubüßen. Unter dem sozialistischen Präsidenten François Mitterand verliert er ab 1981 zunächst jegliche kritische Distanz zu den neuen politischen Machthabern. Die Zeitung wird für viele Leser relativ unattraktiv, ja uninteressant. Ihre Gewinne befinden sich im freien Fall und tendieren von 1982 bis 1985 gegen Null.
Der Antritt einer harten Rechtsregierung unter Premierminister Jacques Chirac 1986 rettet den Canard: Es finden wieder größere so­ziale und politische Konflikte statt (Studierenden-, Eisenbahnerstreik), und so können wieder Skandale enthüllt werden. Bald liefern die handfesten Korruptionsskandale der späten Mitterand-Ära und unter Chirac als Staats­oberhaupt von 1995 bis 2007 der Enthüllungszeitung genügend Stoff. Auch Nicolas Sarkozy scheint skandalträchtig genug: Seit dem Antritt des neuen Präsidenten vor nunmehr knapp zwei Jahren sind die Verkaufszahlen des Canard enchaîné um rund 20 Prozent gestiegen.
Der Canard macht jedoch auch große Fehler. So läuft der übereifrige Redakteur André Rougeot Mitte der neunziger Jahre gründlich in die Irre, nachdem er aus einer »Quelle« mit ­Informationen über einen vermeintlichen Mord­skandal an der Spitze der Republik versorgt worden ist.
Im Februar 1994 ist die rechtsliberale Abgeordnete Yann Piat an ihrem Wohnsitz an der Côte d’Azur ermordet worden. Ihre Ermordung ist das Werk von örtlichen Kleinkriminellen, denen sie im Wege stand und die sich selbst für große Mafiapaten hielten: Die Täter können sehr schnell festgenommen werden. Teilen der Öffentlichkeit genügt dies jedoch nicht, die Aufdeckung des Verbrechens ist ihnen zu unspektakulär, und sie lechzen nach einer Verschwörungstheorie.
Eine »Quelle«, die sich als General des militärischen Nachrichtendiensts ausgibt, beliefert den Redakteur Rougeot dann im Jahr 1996 mit spektakulären Neuigkeiten: Es handele sich in Wirklichkeit um einen politischen Auftragsmord, der vom damaligen Verteidigungsminister François Léotard sowie dem damaligen – und jetzigen – Bürgermeister von Marseille, Jean-Claude Gaudin, angeordnet worden sei.
Das Problem für den Journalisten, das alsbald eines für seine Zeitung wird: Die ganze Story ist auf Sand gebaut, die Artikelkampagne beruht auf falschen Informationen. Der angebliche »General« – Jojon – ist in Wirklichkeit ein Angestellter im Ruhestand, der wegen Hochstapelei vorbestraft ist.
Nach diesem Fauxpas muss die Wochenzeitung um ihre Existenz fürchten. Denn offenkundig hatte sie jegliche Überprüfung der Informationen unterlassen. Dass die Angele­genheit von den Medien kaum ausgeschlachtet und nicht stärker zu Ungunsten des Canard ausgenutzt wird, belegt in den Augen der beiden Buchverfasser die Macht der Satirezeitung. Regelmäßig mit Informationen aus dem inner circle der Politik und des Staatsapparats alimentiert, kann die Zeitung so manche politische Karriere ruinieren.
Sicherlich haben Laske und Valdiguié keine »neutrale«, »objektive« Studie veröffentlicht, sondern eine Art Anklageschrift gegen den Canard enchaîné. Die Darstellung ihrer Rechercheergebnisse, auf fast 500 Seiten, fällt offensichtlich negativ aus. Persönliche Motive mögen bei den beiden Verfassern durchaus eine Rolle spielen. Als Reaktion auf das Erscheinen ihres Buches publizierte der Canard Ende vergangenen Jahres die Bewerbungsschreiben, die beide Autoren noch vor wenigen Jahren an die Redaktion gerichtet hatten. Die Bewerber wurden jedoch abgelehnt. »Verbitterung, Neid und enttäuschte Karrieresucht« wittert die Redaktion deshalb hinter ihrer Brandschrift.
Der Streit um das Buch ist abgeebbt, und in den drei Monaten, die es nunmehr auf dem Markt ist, hat es erstaunlich wenige Polemiken und Diskussionen darum gegeben. Ein neuer Beweis für die Einschüchterungsmacht, welche die Verfasser der Wochenzeitung zuschreiben? Vielleicht. Aber vielleicht auch nur ein Hinweis darauf, dass der Canard in weiten Teilen der Gesellschaft weiterhin geschätzt wird. Wer in der Kläranlage der Demokratie arbeitet, darf sich auch einmal die Hände schmutzig machen.

Karl Laske und Laurent Valdiguié: Le vrai Canard. Editions Stock, Paris 2008, 489 Seiten, 22 Euro