Die spanische Flüchtlingspolitik

Die spanische Fangquote

Vor den Kanarischen Inseln sind Flüchtlinge wieder einmal dem europäischen Migrationsregime zum Opfer gefallen. ­Wegen der Wirtschaftskrise verschärft sich die Repression auch im spanischen Inland.

Die europäische Migrationspolitik fordert weiter ihre Opfer. 21 Flüchtlinge sind Mitte Februar bei dem Versuch, auf die Kanarischen Inseln zu gelangen, ums Leben gekommen. »So viele ertrunkene Kinder aus dem Meer holen zu müssen, ist sehr hart«, erklärte der Koordinator der spanischen Rettungskräfte, Fran Torres, nach seinem Einsatz an der Küste von Lanzarote. In den spanischen Medien war zu sehen, wie die Helfer umringt von Leichen auf einem kleinen Boot stehen und die leblosen Körper von Kleinkindern aus dem Wasser ziehen. Nach 40 Stunden und über 140 Kilometern auf offener See war das Flüchtlingsboot im unruhigen Meer gekentert, gerade mal 20 Meter vom Ufer der spanischen Insel Lanzarote entfernt. Nur fünf der Insassen konnten bis zum Eintreffen der Rettungskräfte ausharren oder das Ufer erreichen. Die meisten Ertrunkenen waren Kinder im Alter zwischen vier und 17 Jahren.
Das 232 Millionen teure Abschottungssystem der spanischen Südgrenze erreicht seine abschreckende Wirkung offenbar nicht, trotz der Über­wachungstechnologie Sive und des Einsatzes der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Weiterhin wagen tagtäglich Menschen die Über­fahrt vom afrikanischen Festland nach Europa, die Routen sind wegen der Kontrollsysteme jedoch riskanter und länger geworden. Die Tragödie von Lanzarote widerlegt auch das oft vorgebrachte humanitäre Argument, die totale Überwachung der Außengrenze, inklusive Grenz­patrouillen auf hoher See, Infrarotsensoren und Satellitenbildern, könne die Flüchtlinge bei Seenot schneller orten, und sie dadurch besser »schützen«.

Möglicherweise kommt es der spanischen Regierung gar nicht ungelegen, wenn hin und wieder ein Flüchtlingsboot medienwirksam kentert. Denn auch innenpolitisch versucht die Regierung von José Luis Rodríguez Zapatero, Migranten ohne Aufenthaltserlaubnis das Leben immer schwe­rer zu machen.
Derzeit steht Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba unter starker Kritik, seit herausgekommen ist, dass spanischen Polizeiwachen eine bestimmte Anzahl von Festnahmen vorgegeben wurde, die sie nach dem Ausländergesetz wöchent­lich vornehmen sollten. Als die Existenz dieser Fangquoten öffentlich wurde, dementierte Ruba­l­caba, dass es »wahllose Razzien« gegen Migranten ohne Papiere gebe. Anonyme Aussagen von Polizeibeamten sowie den Medien zugespielte offizielle Anordnungen setzen den Innenminister je­doch weiter unter Druck. Vergangene Woche veröffentlichte die konservative Tageszeitung El Mun­do ein Papier, in dem die Wochenziele für die einzelnen Polizeiwachen Madrids festgelegt wa­ren. »40 Festnahmen nach dem Ausländergesetz«, heißt es zum Beispiel für die Beamten des Reviers San Blas-Vicalvaro. Für das Viertel Chamartin, in dem viele Migranten leben, soll laut An­ordnung das vorgegebene Ziel von 100 Festnahmen pro Woche sogar übertroffen werden. In einem Versuch der Rechtfertigung erklärte die spanische Bundespolizei, diese Richtlinien seien anhand der Bevölkerungszusammensetzung und Kriminalitätsraten in den einzelnen Vierteln bestimmt wor­den. Je höher die Kriminalität, desto mehr Migranten müssten festgenommen werden. Wenn die Quote in einem Viertel nicht zu erreichen ist, soll auch durch Festnahmen in benachbarten Vierteln nachgeholfen werden, heißt es in einem internen Papier. Das Polizeipräsidium soll sogar Präferenzen hinsichtlich der Nationalität herausgegeben haben: Marokkaner seien »vorrangig« fest­zunehmen, da sie aufgrund von bilateralen Abkommen einfacher abgeschoben werden könnten. Bolivianer hingegen seien nicht so gefragt, denn sie würden »derzeit nicht abgeschoben«.
Antirassistische Initiativen, Gewerkschaften und NGOs protestieren ebenfalls gegen den »insti­tutionellen Rassismus« und die »Menschenjagd«. Zusammenschlüsse von Migranten beklagen bereits seit längerer Zeit, dass Razzien und verdachtsunabhängige Kontrollen stark zugenommen hätten. Die neu gegründete »Plattform für die Verteidigung der Immigranten« fordert beispielsweise einen Stopp der Razzien und der selektiven Festnahmen sowie die Schließung der Abschiebegefängnisse.
Doch Anlass zur Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation für Migranten gibt es derzeit in Spanien kaum. Eine Reform des Ausländergesetzes sieht unter anderem eine Geldstrafe von bis zu 10 000 Euro vor, wenn man Menschen ohne Papiere eine Unterkunft zur Verfügung stellt. Dies würde vor allem antirassistische Initiativen betreffen, die Flüchtlinge mit Sprachkursen und Weiterbildungen unterstützen und ihnen für diese Zeit oft auch eine Unterkunft vermitteln.

Seit Beginn der Wirtschaftskrise setzt die sozialdemokratische Regierungspartei die über vier Millionen Migranten in Spanien immer stärker unter Druck. Eine der ersten Maßnahmen gegen den Zusammenbruch der Immobilien- und der Bau­branche im vergangenen Jahr war die Einrichtung von Rückkehrprogrammen für Migranten (Jungle World 35/2008). Die Re-Nationalisierung des Arbeitsmarktes soll zumindest den Anschein erwecken, die Regierung schaue der Wirtschaftskrise nicht weiterhin tatenlos zu.
Hinter dieser Krisenpolitik der spanischen Regierung steckt mehr als reiner Populismus. Der­zeit ist in Europa vielerorts zu beobachten, wie die Wirtschaftskrise eine Rückbesinnung auf die »nationale Solidarität« fördert. Ein eklatantes Beispiel dafür waren die Proteste britischer Arbei­ter gegen ihre Entlassung und die Einstellung italienischer Arbeitskräfte Anfang Februar. »Wenn dein Name nicht Pedro, Luigi oder Alfonso ist, bewirb dich nicht«, war auf einem Schild in der Ölraffinerie Lindsey zu lesen. Auch Österreich und Deutschland wollen »ihre« Arbeiter schützen und haben bereits angekündigt, die für Mai geplante Öffnung des Arbeitsmarktes für die osteuropäischen EU-Länder eventuell um zwei weitere Jahre nach hinten zu verschieben, sofern die EU-Kommission zustimmt. »In wirtschaftlich schwie­rigen Zeiten erwarten sich die Arbeitnehmer Schutz vor Konkurrenz«, sagte der österreichische Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP), für den Konkurrenz offensichtlich nur zwischen verschiedenen Nationalitäten existiert.
Auch an den südlichen Außengrenzen Europas wird sich der Konflikt vermutlich verschärfen. Während sich die EU weiter abschotten will, werden die Migrationsbewegungen aus armen Ländern aufgrund der Krise zunehmen. Allein in der Woche des tragischen Bootsunglücks vor Lanzarote kamen auf Teneriffa 133 neue Bootsflüchtlinge an, auf der Insel Malta waren es an nur einem Tag über 260. Die Eskalation um das überfüllte Flüchtlingslager auf der italienischen Insel Lampedusa sowie Ausbruchsversuche und kleinere Re­volten auf Malta lassen ebenfalls vermuten, dass sich die Lage an den südlichen Grenzen Europas verschärfen wird.