Die Papst-Debatte, der Faschismus und der politische Katholizismus in der »Jungen Freiheit«

Kreuzzug für Gott und Vaterland

Mit ihrer Haltung in der Debatte um den Papst knüpft die Junge Freiheit an das historische Bündnis von Faschismus und politischem Katholizismus an.

Das öffentliche Bewusstsein in Deutschland verknüpft mit dem Begriff des »Rechtsextremen« meist die Bilder der Akteure rund um die NPD. In ihrer Mischung aus Spießbürger und Lumpenproletarier ist ihm diese Klientel sicherheitspolitisch wie auch ästhetisch lästig und vor allem gegenüber dem Ausland stets peinlich. Neben den Bekenntnissen zu Weltoffenheit und Toleranz der Deutschen stellt sie aber keine besonderen Herausforderungen an den politischen Diskurs dar. Einerseits ist diese Wahrnehmung der radikalen Rechten als »Nazis« berechtigt, denn tatsächlich ist nach der Wiedervereinigung einer bisherigen Subkultur ein nationalsozialistisches Milieu entwachsen, andererseits droht der ausschließliche Blick auf den sich dergestalt reorganisierenden Nationalsozialismus, die Analyse einzuengen. Schon aus der historischen Perspek­tive ist es falsch, alle Protagonisten der radikalen Rechten als Nationalsozialisten zu identifizieren, denn bereits die NSDAP war nicht nur eine späte, sondern zunächst auch untergeordnete Strömung innerhalb eines breiten völkisch-natio­nalen Spektrums. Erst ab Mitte der zwanziger ­Jahre konnte sie das bisher politisch von der DNVP und intellektuell vom Berliner Jungkonservatismus beherrschte Feld nach und nach erobern.
Das erste Kabinett Hitlers mit Alfred Hugenberg und Franz von Papen in der Regierung war noch ein Ausdruck dieser Gemengelage. Die Grenzen innerhalb der politischen Rechten zwischen National-Konservatismus, Faschismus und Nationalsozialismus waren weniger scharf, als es die alleinige Beachtung des Nationalso­zialismus glauben machen will. Längst beruft sich eine ganze Strömung der deutschen Rech­ten auf vornazistische Traditionen und vermeidet damit den Eindruck, die Grenzen des Sagbaren überschreiten zu wollen.

Seit langem erfolgreich in dieser Strategie ist die Berliner Wochenzeitung Junge Freiheit. Diese hat sich jetzt in die Auseinandersetzung um die Entscheidung des Papstes eingeschaltet, die Exkommunizierung des Bischofs Richard Williamson von der Priester-Bruderschaft St. Pius X. wieder aufzuheben. Ihre Positionierung in dieser Frage ist ein gutes Beispiel dafür, an welche Traditionen die Ultrarechten in Deutschland anknüpfen können, ohne dabei mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht zu werden. Vordergründig verteidigt die Junge Freiheit zunächst das Recht der Kurie, ihre »ewige Offenbarung« über historisches Wissen und gesellschaftliche Prozesse zu stellen. Als Auftakt befragte sie in der Ausgabe vom 6. Februar ausführlich Pater Franz Schmidberger, den Chef der Pius-Brüder in Deutschland, um die nächste Nummer fast ausschließlich diesem Thema zu widmen. Diese war mit der Schlagzeile »HolocaustReligion« aufgemacht, untertitelt mit dem Ersten Gebot: »Ich bin der Herr, Dein Gott. Du sollst keine anderen Götter ­neben mir haben.« Ein Leitartikel von Thorsten Hinz, einem der Stammschreiber des Blatts, ­bestimmt die Richtung genauer. Darin heißt es: »Die verlassenen Altäre, schreibt Ernst Jünger, werden von Dämonen in Beschlag genommen. (…) Der mächtigste Dämon der Gegenwart ist die Zivilreligion, in der Auschwitz an die Stelle Gottes tritt, eine messianische Zeitenwende markiert und als ›zweites Golgatha‹ das erste überlagert.« Mit diesem Einwurf will der Autor jedoch keine Debatte über mögliche kulturindustrielle Zumutungen des Shoah-Gedenkens anstoßen, sondern konstruiert eine Art Konkurrenz der Mythen, innerhalb derer er sich für das Christentum als den Mythos ausspricht, der im Besitz der Wahrheit sei. Der Papst habe durch die Wiederaufnahme Richard Williamsons gezeigt, dass »die Ansprüche der Holocaust-Religion keine Oberhoheit über die Belange, Dogmen und Entscheidungen der katholischen Kirche besitzen«. Damit reduziert er nicht nur das historische Geschehen zur Glaubensfrage und macht aus dem Gedenken eine rein kultische Handlung, sondern räumt auch dem religiösen Mythos den Vorrang gegenüber der wissenschaftlichen Erkenntnis ein.
Jedoch bleibt es in der Schwerpunkt-Ausgabe, die zudem mit einer ganzseitigen Anzeige der Vatican News aufwarten kann, nicht bei der Verteidigung des Heiligen Stuhls gegen die weltliche Kritik. Die Junge Freiheit stellt grundsätzlich die Gültigkeit des Begriffs der Holocaust-Leugnung in Frage. In ihren Augen findet er, wie auch der Vorwurf des Antisemitismus, nur instrumentelle Verwendung. Die Forschungsergebnisse zur Shoah, so ist in einer Kolumne zu lesen, seien von »wissenschaftsfremden Kräften vorgegeben«, stünden daher bereits vorher fest und dürften »bei Strafe des bürgerlichen Untergangs weder angezweifelt, noch im mindesten modifiziert, gar falsifiziert und geleugnet werden«. Der Kommentar ist eine Solidaritätserklärung für Antisemiten und Holocaust-Leugner, die den Anschein eines elaborierten Diskurses über »Wissen« und »Glauben« wahrt. Ziel des Angriffs der Jungen Freiheit ist somit auch die Realität des deutschen ­Zivilisationsbruchs durch die industrielle Menschenvernichtung. Sie gilt als Negation der gesamten nationalen Identität der Deutschen. Vor allem die Tatsache, dass sich Angela Merkel kritisch über die Entscheidung des Papstes äußerte, gerät in der Jungen Freiheit zum Skandal. Martin Hohmann, seit seinem Rauswurf aus der CDU wegen antisemitischer Tiraden von der Zeitung besonders umworben und daher auch Interviewpartner zu diesem Thema, schätzt, dass die Kanzlerin nicht von sich aus agiere, sondern auf Zuruf des Zentralrats der Juden und der Springer-Presse. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete des tief katholischen Wahlkreises Fulda liest den Konflikt als direkte Attacke der Säkularen auf die Kirche.

Bereits 2004 legte die Junge Freiheit eine ähn­liche Haltung in einer massiven Verteidigung von Mel Gibsons Passions-Film an den Tag, den sie von jedem Vorwurf freisprach, christliche Judenfeindschaft zu reproduzieren. Regina Wampers Studie über den christlichen Antisemitismus der Jungen Freiheit hat jüngst Redakteuren der Zeitung die Nähe zu jenen schismatischen Bewegungen nachgewiesen, die das Zweite Vatikanische Konzil ablehnen. Einen weiteren Vorgeschmack auf ihren jetzigen Kreuzzug gab mit Karlheinz Weißmann auch einer der Cheftheoretiker dieses »neuen Konservatismus«. Er publizierte 2007 eine als »Das konservative Minimum« betitelte Anklage in der Jungen Freiheit gegen den »schrankenlosen Individualismus« der heutigen Zeit. Als apokalyptische Reiter Deutschlands identifi­zierte er darin neben der Linken, dem Liberalismus und der Einwanderung auch den Feminismus und die Empfängnisverhütung als das »Ende der europäischen Völker«. Weißmanns Lamento über den Verfall der Jugend, der Moral und der Werte dürfte manchem Katholiken aus der Seele gesprochen haben.
Solche pro-vatikanischen Neigungen der Jungen Freiheit, die sich seit vielen Jahren eigentlich der Sache Preußens verschrieben hat, erstaunen nur auf den ersten Blick. Sie wurzeln im tiefen Bedürfnis seiner Autoren nach den Ewigkeitswerten von Mythos und Autorität, das in der Kultur des liberalen Kapitalismus nicht mehr gestillt werden kann. Die Selbstbezeichnung der Zeitung als »konservativ« führt dabei so weit in die Irre, wie sie als Abgrenzung von der radikalen Rechten gedacht ist. Tatsächlich weist sie auf deren Zusammenhang mit der Modernisierung des Konservatismus im 20. Jahrhundert, einer Radikalisierung, die schließlich den Faschismus hervorbrachte. Dieser Prozess liefert der Jungen Freiheit bis heute das geistige Rüstzeug.
Kurt Lenk identifiziert als metapolitische Säulen des Konservatismus Kontinuität, den Glauben an die Institution und die Bekämpfung des Liberalismus. Diese werden in den Augen der Jungen Freiheit heute nicht mehr durch den Protestantismus garantiert, da dieser zu einer »Mischung aus Dritte-Welt-Laden, Aktion Sühnezeichen und ›Glockenläuten gegen Rechts‹ degeneriert« sei. Ihren Gefallen findet auf protestantischer Seite nur noch die Bewegung der Evangelikalen. Galt der Katholizismus den Nationalsozialisten noch als »überstaatliche Macht« und stand er bei konservativen Preußen seit Bismarck im Geruche nationaler Illoyalität, so arrangiert sich die heutige Rechte immer mehr mit ihm als letztem Verteidiger der Tradition in Europa. Auf diesen Weg finden heute auch jene nach Rom, die es eigentlich zum Protestantentum als der ehemals preußischen Staatskirche ziehen müsste. Da sich die ohnehin nur als »Interregnum« begriffene Bundesrepublik von den nationalen, militärischen und politischen Traditionen des Deutschen Reichs weit entfernt habe, hat sich auch die Junge Freiheit mehr und mehr der Idee eines christ­lichen Abendlandes (unter deutscher Hegemonie) verschrieben. Die Hinwendung der Jungen Freiheit zum fundamentalistischen Katholizismus ist daher ein strategisches Bemühen, die letzten Traditionen eines Römischen Reichs Deutscher Nation vor den Zerstörungen der liberalen Demokratie zu bewahren. Da der gescholtene Papst zudem ein Deutscher ist, wird seine Verteidigung zu einer Frage der nationalen Ehre.
Ohnehin verbleiben den Hütern der ewigen Werte nicht mehr viele Bündnispartner. Die autoritären Formen des Neoliberalismus in Nordeu­ropa bekämpfen seit Pim Fortuyn zwar Einwanderung und alimentierungsbedürftige »Minderleister«, haben zugleich jedoch säkularen Charakter. Ihr Eintreten für die Rechte von Frauen, Juden und Homosexuellen entspringt der westlich-liberalen Grundüberzeugung von der Freiheit des Individuums. Wesentlich leidenschaftlicher im Kampf gegen Dekadenz und Verfall gebärdet sich dagegen der Antiliberalismus in katholischen Ländern wie Frankreich, Italien oder Österreich, weshalb die dortigen rechten Bewegungen hierzulande Begehrlichkeiten wecken. Katholischer Konservatismus ist dagegen noch von den »ewigen Werten« geprägt und kommt so den metapolitischen Bedürfnissen deutscher Rechter entgegen. Seine Traditionslinie lässt sich vor allem in Frankreich bis in die modernisierten Varianten des Legitimismus zurückverfolgen. Diese Verbindung mit dem Katholozismus war auch ausschlaggebender für die Kollaboration mit dem Nationalsozialismus als die völkische Ideologie.
Wenn auch die Grenzen zwischen katholisch-konservativer Gegenrevolution und dem Faschismus fließend waren, so waren sie nicht identisch. Beredt ist daher, dass noch in der Vertei­di­gung der Jungen Freiheit eine Distanz zum Vatikan anklingt. Tatsächlich finden sich in ihrer Redak­tion, wie bei Regina Wamper nachzulesen ist, verschiedene Haltungen zur Religion, die von schismatischer, pro-vatikanischer oder evangelikaler bis hin zu neopagan-völkischer Ausrichtung reichen können. Auch Thorsten Hinz’ Hinweis, der Papst handle »unbeabsichtigt« richtig, spricht nicht für die völlige Unterwerfung des lammfrommen Katholiken. Denn im Gegensatz zum Konservatismus ist in der katholisch-faschistischen Tradition das Verhältnis zum Vatikan eben nicht das der Herde zum Hirten. In der Geschichte bewies man den Willen zum Konflikt gerade dann, als aus Rom reformerische oder versöhnliche Signale kamen. Das erklärt Solidaritätsbekundungen der Vergangenheit durch französische Ultrarechte für Erzbischof Marcel Lefebvre, den Gründer der Pius-Priestergemeinde, als dieser in Konflikt mit Rom geriet. Derzeit verteidigt die Junge Freiheit zwar die Politik des Vatikan, rügte diese aber selbst immer dann, wenn sie zu liberale Konturen aufwies, was sich in ihrer Haltung zu den Konzilsbeschlüssen ­Johannes XXIII. verdeutlicht.

Am Ende führt die Spur im Fall der Jungen Freiheit wieder zur Weimarer Rechten. Nicht wenige Protagonisten der heute zur »Konservativen Revolution« verklärten Strömung der Zwischenkriegszeit waren selbst mehr am »römischen« Vorbild Mussolinis als an Adolf Hitler orien­tiert. Prominente Vertreter dieses »Rechtskatho­lizismus« waren neben Carl Schmitt der von der Zentrums-Partei immer weiter nach rechts wandernde Martin Spahn sowie dessen Schüler Edgar Julius Jung. Jung fasste 1927 seine Ansichten in einem berühmten Traktat über »Die Herrschaft der Minderwertigen« zusammen. Da er im Zuge der Röhm-Krise 1934 erschossen wurde, eignet er sich besonders als Stichwortgeber all jener, die an die Traditionen vor 1933 anknüpfen wollen. Damit schließt sich der Kreis zur Jungen Freiheit, deren Weltbild eine von den Weima­rer Theoretikern des Ständestaats abgekupferte, mehr schlecht als recht den bundesdeutschen Verfassungsnormen angepasste Elitentheorie prägt. Durch seine legitimistische Tradition und das eigene Festhalten am starren hierarchischen Gerüst eignet sich der Vatikan für diese Politik als hervorragender Bündnispartner gegen alles, was mit dem westlichen Liberalismus in Verbindung gebracht wird. So zeichnet sich im »Konservatismus« der Jungen Freiheit die Signatur des katholisch geprägten Faschismus ab und macht ihr Engagement für den durch die Rehabilitatierung eines Antisemiten angeschlagenen Papst verständlich. Alleine mit dem Klischee des »Nazis« ist dieser Kurs kaum kenntlich zu machen. Im Unterschied zu diesem jedoch erlangt die Besinnung auf vornazistische Traditionen weit weniger öffentliche Aufmerksamkeit, obwohl sie keineswegs für weniger radikale Positionen steht. Im Gegenteil, das rechte Milieu in Deutschland ist wieder groß genug, sich nach seinen historischen Vorbildern auszudifferenzieren.