Haftbefehl gegen Omar al-Bashir

Mehr Land für die Brüder

Nachdem der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen Omar al-Ba­shir erlassen hatte, rief der sudanesische Präsident seine Anhänger zur Solidarität auf und wies Hilfsorganisationen aus. In Darfur droht eine Hungerkatastrophe.

Bislang sind nur Verlierer von der internationalen Justiz verfolgt worden, Warlords, die ihren Krieg, oder Präsidenten, die ihr Amt verloren hatten. Am Mittwoch der vergangenen Woche erließ der Internationale Strafgerichtshof (ICC) erstmals einen Haftbefehl gegen einen amtierenden Präsidenten. Dem sudanesischen Militärdiktator Omar al-Bashir werden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen, er steht seither auf der Fahndungsliste.
Der ICC hat sich damit weit vorgewagt. Zwar ist es mehr als fraglich, ob es jemals zu einer Verhaftung Bashirs kommen wird. Der Präsident wird sich nun umso mehr an die Macht klammern, um einer Strafverfolgung zu entgehen. Doch der ICC setzt damit ein deutliches Zeichen, die genozidalen Verfolgungen in Darfur nicht ungestraft zu lassen. Bashir sprach von einem »zionistischen Komplott«, der Sudan werde »nicht vor dem Kolonialismus in die Knie gehen«. Er ließ in Khartoum sogleich seine Anhänger zu Solidaritätsdemonstrationen antreten.
Noch in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag vergangener Woche wies das Regime 13 Hilfs­organisationen aus, darunter Ärzte ohne Grenzen, Oxfam, Save The Children, Care und das International Rescue Committee. Ihnen wird von der sudanesischen Regierung vorgeworfen, Informationen über Darfur an den Strafgerichtshof weitergegeben zu haben. Die Büros der Hilfsorganisationen wurden umgehend versiegelt, ihre Computer beschlagnahmt. Zwar sind in Darfur noch Dutzende weitere NGO tätig, darunter auch eine Reihe islamischer Organisationen, die vorerst weiterarbeiten dürfen. Doch handelt es sich bei den ausgewiesenen NGO um Organisationen, die einen großen Teil der Nothilfe für die Binnenflüchtlinge (internally displaced persons, IDPs) in Darfur übernommen hatten. Nach Schätzungen der Uno dürften vom Arbeitsverbot der sudanesischen Regierung insgesamt 6 500 nationale und internationale Helfer betroffen sein, rund 40 Prozent des in Darfur tätigen ­Personals.

Die dringend notwendige Versorgung Zehntausender Flüchtlinge, die völlig von der humanitären Hilfe abhängig sind, ist damit in Frage gestellt. Bereits in den kommenden Tagen dürften Lebensmittel und Trinkwasser knapp werden, auch medizinische Hilfe in den Flüchtlingslagern kann kaum noch geleistet werden. Mit einer weiteren Massenflucht über die Grenze in den Tschad und einer deutlich höheren Mortalitäts­rate unter den IDPs muss in den nächsten Wochen gerechnet werden.
Überdies könnte die Zahl der IDPs weiter steigen. Bereits in den Wochen vor der Verkündung des Haftbefehls kamen aus der Region um Muhajeria in Süddarfur rund 26 000 neue Flüchtlinge in das Camp Zamzam im Norden der Provinz, dies war einer der größten Flüchtlingsströme der vergangenen Jahre. In Muhajeria war es zu Anfang des Jahres zu Kämpfen zwischen unterschiedlichen Fraktionen der Guerillagruppen gekommen, dann nahmen die Regierungsarmee und die mit ihr verbündeten Janjaweed-Milizen die Region ein.
Vor allem Angehörige der Zaghawa, die die Basis des Justice and Equality Movement (JEM), einer der beiden großen Guerillagruppen in Darfur, bilden, flüchteten aus der Stadt. Auch Sharif Issac, Koordinator für humanitäre Hilfe der rivalisierenden Guerillagruppe Sudan Liberation Movement (SLM), warf der Regierung »Vertreibungen« vor, »um Muhajeria von Zaghawa zu säubern und es einfacher kontrollieren zu können«.
Muhajeria ist allerdings auch ein lokales Beispiel für die Komplexität des Konflikts. In den siebziger Jahren verdrängten Zaghawa andere Bevölkerungsgruppen aus der Region. Die Regierung behauptet nun, die damals vertriebenen Stämme wieder in Muhajeria ansiedeln zu wollen und vertreibt die Zaghawa.
Die Eskalation solcher lokalen Konflikte muss allerdings im Kontext der Gesamtsituation in Darfur gesehen werden. Die Lage in der jahrzehntelang vernachlässigten Region ermöglichte es der sudanesischen Regierung, arabische Nomadenstämme für ihre eigenen politischen Ziele zu missbrauchen. Bereits in den siebziger Jahren hatte Libyen in der Region arabisch-nationalistische Milizen unter dem Namen »Islamische Legion« aufgebaut. Muammar al-Gaddafi träumte von der Errichtung eines »arabischen Gürtels« im Sahel, wobei er auch die berbersprachigen Tuareg in Mali und Niger oder die Zaghawa und Bideyat in Darfur und im Tschad seinem »Arabertum« zuordnen wollte.

Der arabische Nationalismus und der Islamismus, im Sudan repräsentiert vor allem von Hassan al-Turabis Nationaler Islamischer Front, ideo­logisierten die Konflikte, die sich Mitte der achtziger Jahre verschärften, als während einer Dürrekatastrophe härter um Land und Wasser gekämpft wurde. Nach dem islamistischen Militärputsch im Jahr 1989 konnte die Regierung unter Omar al-Bashir, bis 1999 mit Beteiligung Turabis, diese Spannungen für ihre Arabisierungspolitik nutzen.
Während die Zentren des Sudan in den vergangenen Jahren immer mehr vom Ölexport und den Wirtschaftsbeziehungen zu China profitierten, verschlechterte sich die ökonomische Lage in der Peripherie. Im Jahr 2003 begann der Aufstand der SLM, der JEM und kleinerer Guerilla­gruppen. Die Rekrutierung lokaler arabischer Nomaden, der Janjaweed, als Hilfstruppen für die Regierung führte zu einer zunehmenden Ethnisierung des Konflikts. Nach Angaben der Uno wurden bislang rund 300 000 Menschen getötet und 2,7 Millionen vertrieben. Die Regierung in Khartoum nutzte die Vertreibungen und Massaker zur Arabisierung des Gebiets. Das relativ fruchtbare Ackerland der Region Gebel Marra im Zentrum Darfurs dürfte auch Begehrlichkeiten verschiedener arabischer Staaten wecken.
Reiche Golfstaaten wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate oder Qatar kaufen seit dem vorigen Jahr fruchtbares Ackerland im Sudan zu Niedrigpreisen. Abu Dhabi baut auf 30 000 Hektar Lebensmittel für die eigene Bevölkerung an und betont, dass es sich dabei nur um einen »ersten Schritt« handeln soll. Mittlerweile wurden Zehntausende Hektar an Saudi-Arabien und einige Golfemirate vergeben. Während viele Sudanesen hungern und von ausländischer Hilfe abhängig sind, verpachtet die Regierung Ackerfläche zu Spottpreisen für die Dauer von 99 Jahren an die »arabischen Brüder«. Auch wenn die bisher vergebenen Flächen primär in der Nähe des Nils lagen, so kann »frei gewordenes« Ackerland nach einer »Befriedung« Darfurs auch im Westen des Landes arabischen Investoren zur Verfügung gestellt werden.
Die Arbeit von Hilfsorganisationen, die mit ihrer Notversorgung dazu beitragen, dass Flüchtlinge in der Region bleiben, kann nur abträglich für dieses Geschäft sein. Der Haftbefehl gegen Bashir kam daher wohl gerade gelegen, er liefert auch einen Vorwand, potenzielle Beobachter von Massakern und Vertreibungen auszuweisen.
Die Regierung des autonom regierten Süd­sudan forderte die Machthaber in Khartoum auf, die Ausweisung internationaler Hilfsorgani­sationen aus dem Sudan zurückzunehmen. Yien Matthew, der Sprecher des Sudan People’s Libe­ration Movement (SPLM), sagte, dass eine solche Ausweisung »katastrophale Folgen« für Zehntausende Flüchtlinge in Darfur haben werde. Auf die innersudanesische und internationale Kritik antwortete Bashir umgehend mit einer Schimpftirade gegen Mitarbeiter der ausgewiesenen Hilfs­organisationen, die er am Samstag als »Spi­one und Diebe« beschimpfte.
Eine hochrangige Delegation diverser islamis­tischer Organisationen und der syrischen Regierung stattete Bashir zwei Tage nach der Ausstellung des Haftbefehls einen Solidaritätsbesuch ab. Ihr gehörten hohe Funktionäre der Hamas, des palästinensischen Islamischen Jihad und der libanesischen Hizbollah an. Das wohl prominen­teste Mitglied der Delegation, der iranische Parlamentspräsident Ali Larijani, erklärte auf einer Pressekonferenz in Khartoum: »Unsere Delegation zeigt ihre Bereitschaft und ihren Willen und ihre gemeinsame Position zur Unterstützung des Sudan, seiner Regierung und seines Volkes.« Wie so oft, wenn etwas gegen islamische Diktaturen unternommen wird, nannte Larijani auch den Haftbefehl des ICC gegen Bashir ein »Komplott gegen den Islam«.

Doch nicht nur autoritäre Regimes in der islamischen Welt stellten sich hinter Bashir. Die Afrikanische Union (AU), deren Vorsitzender derzeit Gaddafi ist, verurteilte den Haftbefehl noch am Tag seiner Ausstellung. Ähnlich reagierte China, das in den vergangenen Jahren zum wichtigsten Handelspartner des Sudan geworden ist. Wie die AU, die Arabische Liga und die Bewegung der blockfreien Staaten appellierte auch China an den UN-Sicherheitsrat, weitere Maßnahmen des ICC vorerst zu unterbinden. Die Hauptaufgabe müsse, so ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums, die Wahrung der »Stabilität in Darfur« sowie die Fortsetzung des politischen Prozesses und der Friedensmission der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union sein. China lehne alles ab, »was die friedliche Gesamt­situation in Darfur und dem Sudan beeinträchtigen könnte«.
Wie friedlich die Situation in Darfur ist, wollte Bashir am Sonntag durch einen Besuch in al-Fasher, der Hauptstadt der Provinz, beweisen. Auch hierher hatte das Regime Tausende Anhänger gekarrt, vor denen der sudanesische Präsident behaupten konnte, der Westen habe dem Sudan zugesichert, dass das Verfahren gegen ihn ausgesetzt werde, wenn die NGO ihre Arbeit fortsetzen könnten. »Aber wir haben das abgelehnt.« Vielmehr droht nun auch den Blauhelmen in der Region die Ausweisung. Das Regime scheint eine Eskalation herbeiführen zu wollen.