Die Berliner sollen freundlicher werden

Bitte lächeln!

Der Berliner Senat möchte der Bevölkerung mit einer Werbekampagne ein größeres Maß an Höflichkeit beibringen. Das ist ein unmögliches und unerwünschtes Unterfangen.

2009 jährt sich zum 20. Mal der Fall der Berliner Mauer, und anlässlich dessen rechnet die Stadt mit noch mehr Touristen, die dann orientierungslos mit gezücktem Fotoapparat an den Grenzen zwischen Wedding, Mitte und Kreuzberg herumtorkeln werden, um wahllos die Begrenzungsmauern von Gebrauchtwagenhandlungen, Tankstellen oder den Bauzaun der BND-Zentrale zu knipsen. Und um Fragen zu stellen. »Hier nix Mauer, Mauer jetzt in Palästina«, wird ihnen der eine oder andere Berliner noch hilfreich antworten, aber höchstwahrscheinlich gibt es einfach nur eine kleine, verbale Abreibung. Denn: »Dit is Ballin« – im Grunde kommen die meisten Touristen doch nur deswegen.
Das wissen die Berliner, und deshalb geben sie sich alle Mühe, passend zu blaffen, zu pöbeln und zu poltern. Das ist nicht immer einfach: Auch der Berliner ist schließlich einfach mal grundlos gut gelaunt und schlendert pfeifend durch die Stadt. Dann trifft er unversehens auf einen Touristen und muss schlagartig den schimpfenden Hackepeter geben. Kein leichter Job, und noch dazu wird vollständig ehrenamtlich geschimpft, genölt und gebrabbelt! Auf den Berlinern lastet ein enormer Erwartungsdruck, dem viele kaum noch gerecht werden können. Laut und originell und auch ein bisschen lustig und irgendwie noch Berlinerisch soll sie sein, die Schimpftirade – kein Wunder, dass viele sich kaum noch auf die Straße trauen.
Endlich aber hat der Berliner Senat ein Einsehen. Die Bevölkerung soll angesichts ihrer kräftezehrenden Tätigkeit entlastet werden. Deshalb hat Klaus Wowereit nun die Kampagne »Mit Herz & Schnauze« vorgestellt, die – so vertritt man es nach außen – Berlin freundlicher machen soll. Auf den zugehörigen Plakaten und Postkarten sollen diverse Schimpfsprüche stehen, vorgeblich als schlechte Beispiele, in Wirklichkeit aber als Hilfestellung. Und so klingt der Minimal-Grundwortschatz »Gepöbel«: »Mann, seh’ ick aus wie ’ne Infosäule?« Oder: »Wat kiekst’n so, Fatzke?!« Oder auch: »Kannste knicken!« So wird auch der Leistungsdruck von den Berlinern genommen.
»Aber wir haben auch Herz«, heißt es in der Broschüre zur Kampagne, ein kaum verhohlenes Wimmern um Entschuldigung, wenn es halt mal nicht so klappt mit dem Schimpfen, und: »Der Berliner mit Herz und Schnauze ist freundlich, hilfsbereit und erklärt zur Not auch mit Händen und Füßen, wo es langgeht«. Ja, zur Not halt. Wenn ihm keine angemessenen Beleidigungen mehr einfallen. Wenn er einfach nicht mehr kann. Wenn ihm alles zu viel wird. Berliner mit völligem Schimpf-Burnout können sich auch eine Art Kapitulationserklärung anheften, der Broschüre zufolge »ein Anstecker, der ein rotes Info-I und ein Herz mit – lächelnder – Schnauze zeigt«. Dann darf er auf Fragen einfach ganz normal antworten, ohne dass der Ruf der Stadt gleich im Ganzen gefährdet würde.
Aber, mal ehrlich: Welcher Berliner wird diese staatliche Hilfe in Anspruch nehmen wollen, wer will das auf sich sitzen lassen? Kann man sich wirklich Kreuzberger Busfahrer, Neuköll­ner Müllmänner oder Weddinger Imbisswirte vorstellen, die verirrten Touristen freundlich den Weg weisen? Deshalb wird es dieser Kampagne so gehen, wie allen ähnlichen Bemühungen dieser Art zuvor: Sie wird den Berlinern komplett am Arsch vorbeigehen. Kannste voll knicken.