Neues Versammlungsrecht in Baden-Württemberg

Ja zur Trillerpfeife

Das Bundesverfassungsgericht hat Teile des restriktiven bayerischen Versammlungsgesetzes außer Kraft gesetzt. Während die bayerische Regierung nachar­beiten muss, wird in Baden-Württemberg weiterhin ein neues Versammlungsge­setz geplant – nach bayerischem Vorbild.

Einen »Sieg für die demokratische Kultur« nannte Heribert Prantl in der SZ die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVG) zum bayerischen Versammlungsgesetz. Der CSU-Koalitionspartner FDP sah seine Forderung nach »bürgerfreundlichen« Korrekturen bekräftigt. Dabei dürften sich die Liberalen mit Ver­änderungen zufrieden geben, die das Gesetz einfach wieder dem wenig liberalen Versammlungsgesetz des Bundes angleichen. Es sei »abstrus, wie leicht die FDP zu haben ist«, sagte ­deshalb Christine Stahl, die rechtspolitische Sprecherin der Grünen im Landtag.
Das BVG setzte Ende Februar zum einen die Androhung von Bußgeldern bis 3 000 Euro vorläufig außer Kraft, die Anmeldern bei nicht ausreichender Erfüllung der umfangreichen Mitteilungspflichten oder einem gewalttätigen Verlauf einer Kundgebung sowie das »Militanzverbot« verletzenden Demonstranten gedroht hätten. Zum anderen beschränkten die Richter die polizeiliche Befugnis, Demonstrationen vollständig zu filmen oder zu fotografieren und diese »Übersichtsaufnahmen« zur späteren Verwendung aufzuzeichnen. In beiden Fällen kritisierte das BVG die gravierenden »Einschüchterungseffekte« der teilweise sehr unklar formulierten Vorschriften.
Der Erfolg der Kläger – darunter die SPD, die Grünen, die Linkspartei und die FDP, aber auch Gewerkschaften und Bürgerrechtsgruppen –, die gegen die »bürokratische Gängelei und Kontrolle« vorgegangen waren, ist bemerkenswert, weil Parlamentsgesetze nur in seltenen Fällen schon für die Dauer des eigentlichen Verfahrens ausgesetzt werden. Auch wenn die Verfassungswidrigkeit nach der einstweiligen Anordnung formell gesehen noch nicht feststeht, ist das Urteil des BVG eindeutig: Weite Teile des Gesetzes werden keinen Bestand haben.

Trotzdem hat die FDP in Baden-Württemberg nur wenig gegen ein neues Versammlungsgesetz einzuwenden. Im Gesetzentwurf von Innenminister Heribert Rech (CDU) sind die aus Bayern bekannten Verschärfungen wie das »Militanzverbot«, die erhöhten Auskunfts- und Kooperationspflichten und überaus großzügige polizeiliche Überwachungsbefugnisse vorgesehen. Auch sollen die Geschäftsinteressen des Einzelhandels und andere »Rechte Dritter« leichter vor missliebigen Demonstrationen geschützt werden können.
Zwar hatten die baden-württembergischen Liberalen auf einem Parteitag im Januar überraschend Änderungen verlangt. Hagen Kluck, der innenpolitische Sprecher der FDP/DVP-Fraktion, dämpft allerdings die Erwartungen. Man wolle zunächst die »Erkenntnisse vom Nato-Gipfel« Anfang April abwarten. Er rechne dann damit, dass das »Militanzverbot« präzisiert werde, um keine »Mediziner im weißen Kittel oder Gewerkschaf­ter mit Trillerpfeifen« zu behelligen. Auch dürfte die Anmeldefrist nicht auf spätestens 72 Stunden vor Bekanntgabe einer Demonstration erhöht werden, die bekanntlich äußerst bürgerfreund­lichen 48 Stunden würden beibehalten. Angesichts der Vorgaben des BVG, da ist sich der Abgeordnete Uli Sckerl (Grüne) sicher, werde die Landesregierung »das Erlaubte um jeden Preis ausreizen« und »eine Light-Version des schikanösen Gesetzes« vorlegen.
Allerdings erscheinen auch in dem in 15 Bundesländern derzeit gültigen Versammlungsgesetz des Bundes von 1953 Demonstrationen als grundsätzlich gefährliche Veranstaltungen, die es zu kontrollieren gilt. Bereits für kleinste Verstöße gegen die behördlichen Auflagen können Anmelder strafrechtlich belangt werden – das vom BVG gerügte »schwer kalkulierbare Risiko einer persönlichen Sanktion« existiert also bereits, auch ohne die bayerischen Verschärfungen.

Bundesweit üblich sind auf großen Demonstrationen auch die rechtswidrigen Videoaufnahmen. Bayern und Baden-Württemberg wollen solche Aufnahmen legalisieren. Nach der Entscheidung des BVG wird diese Rundumüberwachung zwar immerhin in jedem Einzelfall gerechtfertigt werden müssen. Linke Demonstrationen ohne staatliche Kameras dürften aber weiter die Ausnahme bleiben. Aus der Sicht der angeblichen »Bürgerrechtspartei« FDP ist das nicht unbedingt ein Problem: Es gelte auch, »nicht die Handlungsfähigkeit des Staates bei Aufmärschen von Extremisten oder Gewaltbereiten« in Frage zu stellen, hieß es Ende Februar in einer Pressemitteilung des justizpolitischen Sprechers der bayerischen FDP, Andreas Fischer.