Oliver Maria Schmitt: »Der beste Roman aller Zeiten«

Maximal Meta, Alder!

Der Super-Mega-Poet Oliver Maria Schmitt legt den »besten Roman aller Zeiten« vor. In dem Postpubertätswerk erster Kajüte ­ironisiert er den brummdummen Literaturbetrieb gleich auf mehreren Meta-Ebenen. Mehr Meta geht nicht. Der Mann ist ­gewissermaßen total krass drauf. Heiko Werning hat den Schmarren gelesen und für tiptop und astrein befunden

Ein ehemaliger Chefredakteur der Titanic legt einen Roman vor, der »Der beste Roman aller Zeiten« heißt, weil sein Hauptprotagonist einst den »besten Roman aller Zeiten« schrieb, sich dumm und dämlich daran verdiente und nun halt dumm und dämlich durch den Roman schlittert. Der Titel prangt in silbernen Relief-Buchstaben auf dem sagenhaft geschmacklosen Cover, daneben finden sich die Hinweise »Buch des Jahres!« und »Absoluter Mega-Bestseller«. Auch die beliebten Zitate – nur in diesem Fall aus halt noch gar nicht erschienenen Rezensionen – auf dem Einband fehlen nicht. Damit sollte hinreichend klar sein: Der Roman ist ein durchironisierter Angriff auf den Literaturbetrieb, unter anderem zumindest, denn Schmitt beschränkt sich nicht auf ein Sujet, er nimmt mit, was und wen er kriegen kann, und er kriegt eine Menge. Das Tempo ist hoch, die Sprache spielt mit unterschiedlichen Perspektiven und ist auch deswegen komisch (»Du hast voll die scheiß Erzählperspektive, Alder«). Der Inhalt in aller Kürze: Verlierertyp hat sich in windigem Privatinstitut in irgendeinem modernen Quatschberuf zwischen Berater und Motivator ausbilden lassen, trifft auf jenen Erfolgsautor, der seine Kohle aber längst verjuxt hat und nun von seiner Mutter und albanischen Autoschiebern gejagt wird. Die beiden werden nach Albanien entführt und sollen dort den zweitbesten Roman aller Zeiten schreiben, um für Geld zu sorgen.
Dass Oliver Maria Schmitt intelligent und vor allem sehr komisch schreiben kann, bedarf keiner zusätzlichen Erwähnung, dass er letztlich auch im Romanformat dem Duktus und den Inhalten eines Titanic-Textes treu bleibt, sei hiermit erwähnt, und dass sein Hauptanliegen nicht darin besteht, durch die Romanhandlung an sich zu bestechen, wäre der Erwähnung nicht wert. Schmitt hält, was man sich von einem Roman eines ehemaligen Titanic-Chefredakteurs über den Literaturbetrieb und den Rest der Welt verspricht, nämlich neben einer irrsinnigen und irrsinnig komischen Handlung eine Auseinandersetzung mit eben dem Lite­raturbetrieb auf allen Ebenen, also vor allem auf ganz vielen Meta-Ebenen. Und hier gebühren ihm und dem Verlag schon einige Fleißbienchen, weil sie die Meta-Ebenen des Romaninhalts auf das Buch selbst und die gesamte Marketing-Kampagne ausweiten. Mehr Meta geht nicht. Damit könnte die Besprechung zu Ende sein (Meta-Ebene!), aber der Redakteur will 7 000 Zeichen (Meta-Meta-Ebene!!), also schauen wir doch mal, wie das Feuilleton mit dieser Atta­cke umgeht (Meta-Meta-Meta-Ebene!!!).
Die Rezensionsdichte ist beachtlich. Der Roman, der sich über die Vermarktungs- und Wahrnehmungsmechanismen im Literaturbetrieb lustig macht, hat sich schon mal außer­ordent­lich erfolgreich vermarktet und ist überdurchschnittlich wahrgenommen worden. Und zwar volle Kanne: »Das Schlechte soll, indem es anwächst bis zum Grad des Schamlosen, umschlagend plötzlich das Geglückte zeit­igen, ach was: das Unübertreffliche schlechthin! Die mentale Haltung steht dem Camp nahe, jedoch mit dem wichtigen Unterschied, dass Camp ein Phänomen der Rezeption und nicht der Produktion ist«, so Burkhard Müller in der Süddeutschen Zeitung – wer derartig verschwurbelte Unsinnssätze über seinen Roman im Feuilleton der SZ lesen kann, weil er einen Roman geschrieben hat, der sich über ein Feuilleton lustig macht, in dem solche verschwurbelten Unsinnssätze stehen, der hat es schon irgendwie geschafft. Zumal wenn er »eine fortgesetzte ­dialektische Rolle rückwärts vollführt, eine gewiss erstaunliche Turnfigur« – gewiss, doch wie das so ist mit der dialektischen Rolle rückwärts: »Auf Dauer geht sie doch sehr ins Kreuz.« Wenn es ihnen an die Federn geht, verstehen sie keinen Spaß und keine Ironie, unsere Literaturbetriebswirtschaftler. Die Schriftstellerin Uta-Maria Heim schäumt im Literaturportal »Titel« über »Schmitts perfides Postpubertätswerk«, das von »frühsenilem Zynismus« eines »nicht mehr ganz jungen Mannes« triefe. Schmitt kann offen­bar im Alleingang alle Altersklassen ab­decken, das ist doch auch eine Leistung. Ebenso wie die, »eine lexikalische Vielfalt an topgebrandeten No-No-Wörtern« hervorgebracht zu haben. Dem »absoluten Mega-Bestseller« wird das Geschimpfe keinen Abbruch tun, wenn der Rat der Rezensentin gehört wird: »Wir sollten uns diese Bücher unbedingt alle kaufen und sie mitsamt den dazugehörigen Verlagsprospekten ins Regal pferchen, damit unsere Enkel in 50 Jahren auch nach der Abschaltung des Internets noch wissen, wie man sich in 2009 bankrottkommuniziert hat.« Warum, ist ja letztlich egal, werden da wir frühsenilen postpubertären Zyniker sagen, Hauptsache Bestseller, und sei es auch nur als Mahnung an die Nachgeborenen: »Nur endgelagerter Papierschrott kann die Nachgeborenen vor dem Vergessen bewahren, weil die Luftkreditnummer des galoppierenden Sprachwandels jeden semantischen Wert inflationiert.« Und welche Luftkreditnummern auch immer die Inflation der semantischen Werte anheizen mögen, man kann sein Nixverstehen auch klarer zum Ausdruck bringen, wie Christian Möller im WDR-5-Literaturmagazin »Bücher«: »Ein bemüht witzig­seinwollendes Elaborat mit besten Chancen, als ungeilste Veröffentlichung des Jahres ins Ziel zu gehen.«
Schmitts Strategie ist also aufgegangen. Eine Tatsache, die die FAZ zu wagemutiger botanischer Metaphorik treibt: Der Roman sei das »poetische Pendant zum Titanenwurz. Nur alle paar Jahre blüht er, lockt mit olfaktorischem Halligalli das Volk selbst aus Murksorten wie Erft­stadt-Liblar in die Stuttgarter Wilhelma, ist groteske Übererfüllung der schmutzigsten gärtne­rischen Phantasie, hortologische Apotheose, der Titanenwurz: die schlechthin gigantische Stin­keblume. Zwar zählt diese orgiastische Biomasse zur Ordnung der Froschlöffel­artigen, pfiffigerweise aber zur Unterklasse der Froschlöffelähnlichen.« Ganz schön pfiffig, fürwahr. Vielleicht hatte der Rezensent Oliver Jungen aber auch nur den ein oder anderen der im Roman als Nachtclubszenegetränk des Murks­ortes Frankfurt gepriesenen »Bausätze« zu viel intus. Das olfakto­rische Halligalli des Titanwurzes dient in Wirklichkeit jedenfalls nur als Köder, und da trifft das Bild tatsächlich zu, denn Schmitts Lockstoff ist der Titel seines Romans, und das wäre ja was, wenn sich so gar kein Ungeziefer davon hätte anlocken lassen. Denn keine Falle ist plump genug, als dass sich nicht doch die eine oder andere Feuilletonschmeißfliege damit erwischen ließe: Brigitte Neumann hat für NDR-Kultur das am nächsten liegende geschrieben: »Vielleicht wäre es besser gewesen, den Roman mit ›schlechtester Roman aller Zeiten‹ zu betiteln. Das wäre origineller gewesen und näher an der Wahrheit.« Der Preis für die plumpeste Paraphrase geht allerdings an Marc Peschke von HR online: »Dieser Roman ist viel (…), doch eines ist er bestimmt nicht: ›Der beste Roman aller Zeiten‹.« Na, so was.
Da will natürlich auch der hiesige Rezensent nicht nachstehen: »Der beste Roman aller Zeiten« ist dieser Roman, der den besten Roman aller Zeiten im Titel führt, natürlich nicht, weil es den ja gar nie geben kann, liebe Rezensenten, aber einer der lustigsten Romane der letzten Zeit, das ist er auf jeden Fall, und immerhin der beste Roman, den ich seit »Deadline« von Bov Bjerg las – und das ist schon fast vier Wochen her.

Oliver Maria Schmitt: Der beste Roman aller Zeiten. Rowohlt Verlag, Berlin 2009. 252 Seiten, 16,90 Euro.