»Die Linke« und Europa

Opa nach Europa!

Die Kandidatenliste der »Linken« für die Wahl zum Europa-Parlament sagt nicht so viel über die Meinung der Partei zu Europa aus, wie Medienberichte nahe legen.

Ist »Die Linke« nun pro- oder anti-europäisch? Auch nach ihrem Europa-Parteitag in Essen lässt sich darauf keine eindeutige Antwort geben. Wer die Reden ihrer Vorsitzenden angehört hat, kommt eher zu dem Schluss, dass sich die Partei für Europa einfach nicht übermäßig interessiert.

Jenseits ihrer Ablehnung des Lissabon-Vertrags, an dem die Partei besonders die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zu einer »schrittweisen Verbesserung ihrer militärischen Fähigkeiten« und das fehlende klare Bekenntnis zur Sozialstaatlich­keit kritisiert, spielte bei Lothar Bisky und Oskar Lafontaine die Auseinandersetzung mit europäischen Fragen eine erstaunlich untergeordnete Rolle. Bisky flüchtete sich vor allem in Allgemein­plätze: »›Die Linke‹ will die Europäische Union weder abschaffen noch zurück zur ausschließlichen Nationalstaatlichkeit.« Dagegen gab sich Lafontaine große Mühe, seine Partei als die eigent­liche Bewahrerin der »europäischen Idee« erscheinen zu lassen, und verzichtete auffällig auf jeden als nationalistisch zu deutenden Zungenschlag. Die Gründerväter der Europäischen Gemein­schaft hätten nicht gewollt, dass diese »zu einer ökonomischen Freihandelsgesellschaft« verkomme, schimpfte er. »Sie wollten ein Europa des Friedens, ein Europa der Mitbestimmung und der kulturellen Vielfalt.« Seine Partei führe deswegen »einen Wahlkampf für ein soziales, für ein fried­liches, für ein demokratisches Europa«.
Trotzdem überwiegt bei vielen die Skepsis gegenüber einem zusammenwachsenden Europa, was sich beispielsweise am großen Applaus für die Reden des ehemaligen DKP-Duos Christiane Reimann und Wolfgang Gehrcke zeigte, die in der EU nicht mehr als einen »imperialen Block« und einen »Raum für Klassenkampf von oben« sehen wollen. Im fast einstimmig verabschiedeten Programm für die Europa-Wahl überwiegen entsprechend die kritischen Töne, wenn auch während langwieriger Beratungen vor dem Parteitag der zunächst allzu deutlich europafeindliche Ton­fall wieder herausredigiert wurde.
Zahlreiche inhaltliche Konflikte wurden schlicht ausgeklammert. Ein Beispiel dafür ist der Streit um einen möglichen EU-Beitritt der Türkei, den insbesondere Lafontaine bekanntermaßen ablehnt. Kein Wort findet sich zu dieser Frage im ver­abschiedeten Programm. Schon bei den vorigen Europa-Wahlen hatte sich die PDS um eine eindeutige Stellungnahme herumgedrückt. »Die PDS lehnt alle Versuche ab, die Aufnahme der Tür­kei mit Verweis auf so genannte religiöse Gründe auszuschließen«, hieß es zwar im Programm von 2004. Eine Zustimmung zu Beitrittsverhandlungen bedeutete das jedoch keineswegs. Diese seien »nur dann möglich, wenn die Menschenrechte für alle in der Türkei lebenden Minderheiten garantiert sind, wenn sich ein demokratischer und friedlicher Weg für die kurdischen Bür­gerinnen und Bürger öffnet«.
Inzwischen scheint schon die Erwähnung von Beitrittsverhandlungen zu viel. Im neuen Programm heißt es nur unvermittelt: »Die Türkei muss die politischen und Menschenrechte aller dortigen Einwohnerinnen und Einwohner, darunter aller Minderheiten, achten und rechtsverbindlich garantieren.« Im Hinblick auf die Kurden in der Türkei und in den »anderen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens« fordert man »soziale und rechtliche Reformen«. In dem diesen Sätzen vorausgehenden Abschnitt bekundet die Linkspartei ihr Eintreten für Menschenrechte im Iran und das »Selbstbestimmungsrecht des Volkes der Westsahara«. Es scheint also nicht einmal mehr sicher, ob die Linkspartei die Türkei für einen Teil Europas hält.

Selten hat die Aufstellung von Kandidaten für die Europa-Wahl für einen derartigen Wirbel in den Medien gesorgt wie diesmal die der Linkspartei. Insbesondere das parlamentarische Schicksal von Sylvia-Yvonne Kaufmann und An­dré Brie war ein Thema für die Zeitungen. Warum bloß? Diejenigen, die so heftig über die absehbare ausbleibende Wiederaufstellung der »Dissidentin« (taz) und des »Querdenkers« (Frankfurter Rundschau) klagten, hatten sich in den vergangenen knapp zehn Jahren kaum für deren Wirken im Europa-Parlament interessiert.
Der einzige Zweck der Übung war der, dass das programmierte Scheitern der beiden früheren SED-Mitglieder den exemplarischen Beweis für die angebliche Europa-Feindlichkeit der »Linken« liefern sollte. Schließlich habe Kaufmann ja sogar ein Buch zum Thema Europa verfasst und für ihre konstruktive Mitarbeit am neuen Verfassungsvertrag der EU das Bundesverdienstkreuz erhalten, ohne dass ihre Partei dies zu würdigen wisse. Bei Brie indes fiel die Aufzählung seiner Verdienste für die europäische Sache etwas dürftiger aus. Auch die Erwähnung der Auszeichnung, die er einst für seine »bewiesene hohe Einsatzbereitschaft« erhalten hatte, verkniffen sich die Leitartikler. Schade eigentlich. Aber eine Verdienstmedaille der NVA in Bronze, vom Ministerium für Staatssicherheit an »IM Scholz« verliehen, macht sich heutzutage nicht mehr so gut, um Brie in seiner Lieblingsrolle als »reformo­rien­tierten« Kronzeugen gegen die eigene Partei in Stellung zu bringen.

Dass es Brie und Kaufmann nicht auf die Liste schaffen, hat nichts mit einer Europa-Feindlichkeit der Delegierten zu tun. Am Scheitern der beiden zeigt sich vielmehr, dass die Linkspartei nicht mehr so funktioniert wie die alte PDS. Zum Leidwesen der »pragmatischen« östlichen Landesverbände ist sie westlicher und pluralistischer ge­worden. So entschieden sich die Delegierten für eine sorgsam austarierte Kandidatenliste: zwischen Ost und West, Frau und Mann, PDS und Wasg und sogar zwischen den verschiedenen Strö­mungen in der Partei – vom »Forum demokratischer Sozialismus« über die »Sozialistische Linke« bis zur »Antikapitalistischen Linken«. Und der Jugendverband wollte auch noch berücksichtigt werden.
Gleichwohl birgt das durchaus nachvollziehbare Streben nach innerparteilicher Balance auch ein Problem: Die Linkspartei gibt vor, es gehe ihr um Europa, betreibt jedoch nach wie vor ihre altmodische Personalpolitik. Für Seiteneinsteiger aus Initiativen und Bewegungen, wie sie die Grünen an prominenter Stelle auf ihrer Liste zur Europa-Wahl aufbieten – etwa mit Sven Giegold, dem Mitgründer von Attac, oder Barbara Lochbihler, der Generalsekretärin von Amnesty International –, scheint sich derzeit kein Platz finden zu lassen.
Und noch ein Manko ist unübersehbar. Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa – das war in den siebziger und achtziger Jahren, als das Europa-Parlament noch wesentlich weniger bedeutend war, ein geflügeltes Wort in den etablierten Parteien der Bundesrepublik. Bereits die PDS rekultivierte die Entsorgung verdienter älterer Parteifunktionäre in den europäischen »Versorgungspark«. Im Jahr 1999 war es ihr damaliger Ehrenvorsitzender Hans Modrow, dem die PDS auf diese Weise sein Auskommen sicherte. Auch Brie kam übrigens seinerzeit nicht wegen herausragender europapolitischer Kompetenz auf die Liste. Man hatte ihn in der Berliner Parteizentrale loswerden wollen. 2004 folgte die kurz zuvor als Bundesvorsitzende der PDS grandios gescheiterte Gabriele Zimmer.
Jetzt darf sich ihr Nachfolger Lothar Bisky auf seinen Altersruhesitz im Europa-Parlament freuen. Lafontaine führte als Argumente für Biskys Kandidatur vor allem dessen Verdienste als Parteivorsitzender an, wegen denen man ihm »zum Dank verpflichtet« sei. Darin waren sich dann auch fast alle Delegierten einig: Mit 93,4 Prozent der Stimmen wurde Bisky zum Spitzenkandidaten gewählt.