Sarah Kuttner: »Mängelexemplar«

Really nicht genug gewanted

Fernsehmoderatorin Sarah Kuttner gilt als große Plaudertasche. Mit ihrem Romandebüt »Mängelexemplar« wird sie diesem Ruf vollauf gerecht.

Noch deprimierender als der Inhalt des ersten Romans der Ex-Viva-Mo­deratorin Kuttner ist sein Cover: Es passt optisch sehr gut neben den shocking pinkfarbenen Ultra-Bestseller ihrer Kollegin Charlotte Roche, genau, den mit dem Heftpflaster auf dem Cover.
Nur dass der Verlag sich in diesem Fall für eine punkige Sicherheitsnadel und ein zerknülltes weißes Blatt Papier entschieden hat. Der beste Freund des Schriftstellers – und gleiches gilt sicher auch für Ex-Moderatoren – ist der Papierkorb, schießt es mir durch den Kopf.
Warum? Man kann für die Hauptfigur des Romans, die 26 Jahre alte Karo Herrmann, die unter Depressionen und Panikattacken leidet, einfach kein Interesse aufbringen. Die junge Event-Managerin, die nach eigener Aussage an sich selbst erstickt, ist einfach zu stereotyp angelegt – da hilft auch die Symbolik einer Sicherheitsnadel nicht. Man bekommt noch nicht einmal ein Gefühl dafür, wie die Hauptfigur aussieht, so dass man sich ständig selbst ermahnen muss, die in jeder Lebenssituation wacker kalauernde Karo Herrmann nicht mit Sarah Kuttner gleichzusetzen.
Auch die anderen Figuren, die diesen Roman bevölkern, bleiben eher blass. Da ist zunächst Karos egomaner Freund Philipp, der nur »über sichsichsich« redet. Dann gibt es noch Nelson, ihren wahnsinnig netten Kumpel, der Shopping-Kanal-Moderator ist. Weiterhin tritt auf: Karos Mutter, die selbst ein depressives »Mackenmädchen« ist und ihrer Tochter folglich zu wenig Liebe gegeben hat. Unter Einwirkung von Antidepressiva verknallt sich Karo dann auch noch in einen Psycho namens David, der auch »irgendwas mit Fernsehen« macht und sich u.a. für unsterblich hält. Zuguterletzt verliebt Karo sich schließlich in ihren Lieblingskollegen Max, über den der Leser nicht viel mehr erfährt, als dass er ein »ein eher ruhiger Mensch« ist, »schlau und lustig, aber auch ein bisschen langsam«, ein »Ritter von heute«, der sich gerade »von seinem Mädchen« getrennt hat.
Um unsere Empathie gleich im Keim zu ersticken, beginnt die Geschichte vom Mängelexemplar Karo Herrmann auch noch mit einer Rückblende. Die von erneuten Panikattacken gebeutelte Karo landet wieder bei einem Psychiater, obwohl sie sich bereits geheilt wähnte. Sie beginnt zu erzählen, was bisher – also ein Jahr zuvor – geschah.
Fortan verfolgt man mit nahezu medizinischem Interesse die Geschichte ihres »persön­lichen 11. Septembers«, wir nehmen an der »Kopf­party« der Protagonistin teil, aber ihr Schicksal lässt uns letztlich kalt. Tatsächlich kommt Karo wie eine Figur aus einer Soap-Opera daher, ihr innerer Konflikt bleibt statisch, so dass ich mir beim ersten durchaus wohlmeinenden Lesen tatsächlich eine Tabelle mit der Unterteilung in »Gute Sätze« – »Schlechte Sätze« angelegt habe. Für manche muss man sich leider wirklich fremdschämen:
»You can get it if you really want. Ich wante vermutlich nicht really genug. Auf der anderen Seite wante ich zumindest genug, um ordentlich unzufrieden zu sein, es nicht zu getten.« Das erinnert mich stark an die Deutschaufsätze, die meine Freundin, die Lehrerin ist, mir immer entsetzt am Telefon vorliest. Wie soll ich das nur bewerten, stöhnt sie dann. Ich weiß es leider auch nicht. Selbst wenn solche Sätze in der hehren Absicht fabriziert worden sind, eine Person zu erschaffen, die bis kurz vor Schluss »Angst vor echten Antworten« hat, lassen mich solche Sprachverhunzungen ratlos zurück.
Vielleicht liegt mein Unbehagen aber auch nur daran, dass ich nicht zur Zielgruppe dieses Werkes gehöre. Nach Aussage der Hauptfigur geht es in diesem Buch schließlich um die »jungen Konservativen. Sicherheitsbedürftig, faul und feige.«
Jene kaufkräftigen Leser dieser »Wie-einem-der-Schnabel-eben-gewachsen-ist-Literatur«, in der gesellschaftliche Pseudo-Tabus auf mehr oder weniger gekonnt schnoddrige, pointierte Art und Weise gebrochen werden, bekommen auch in Zukunft bestimmt genug Lesefutter. Roche mit ihren Feuchttabus, Maria Sveland mit ihrem schwedischen Bestseller »Bitterfotze« und auch der Anais-Verlag mit seiner neuen Lustbuchreihe markieren womöglich nur den Anfang einer neuen Klimakatastrophe auf dem Buchmarkt.
Wie sagte mein Lebensgefährte, als ich ihm von »Mängelexemplar« erzählte: Also das ideale Buch für die Liege im Hallenbad! Wir lachten uns spontan halbtot, Spaß muss schließlich sein. Oder wie Karo Herrmann sagen würde: »So ist das mit Witzen, die nie aufgeklärt werden. Man weiß nie so recht, woran man ist. Ich liebe das!«

Sarah Kuttner: Mängelexemplar. S. Fischer, Frankfurt a.M. 2009. 272 Seiten, 14,95 Euro