Die Probleme mit den Endlagern

Theoretisch sicher

Aber praktisch unmöglich. In allen Ländern, wo nach endgültigen Lagerplätzen für Atommüll gesucht wird, gibt es Probleme. Entweder stimmt etwas mit der Geo­logie nicht oder die Bürgerinnen und Bürger leisten Widerstand.

Warum verbrennt man Atommüll nicht einfach? Was nach einer Aktion der Kommunikationsguerilla Yes Men klingt, war eine ernst gemeinte Idee des »Innovationsmanagers« der britischen Atomanlage in Sellafield, die der Guardian im vergangenen Jahr zitierte. Die Pressestelle der mitt­ler­weile privatisierten Anlage dementierte umgehend. Es habe sich nicht um eine offizielle Planung des Unternehmens gehandelt. Tatsächlich aber wurden die Nuklearabfälle der Atomfabrik Sellafield jahrelang einfach ins Meer gespült, was für Mensch und Umwelt verheerende Folgen hat.
Ernsthafter und eindeutiger äußerte sich der Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die Bundesregierung berät, in seinem Gutachten im Jahr 2000 zum Problem Atommüll: »Der Umweltrat geht davon aus, dass kein für alle Zeiten sicheres Endlager für stark radioaktive und Wärme entwickelnde Abfälle gefunden werden kann.« Als Begründung dienten dem Gremium die Besonderheiten dieser Art von Müll. Er ist stark radioaktiv, giftig, heiß und verursacht die Bildung gefährlicher Gase. Dies setze »dem Rückhal­tevermögen der Barriereelemente enge Grenzen« hieß es in bestem Beamtendeutsch. Werden also Orte auf ihre Eignung als Endlager untersucht, so geht es um ein möglichst hohes Maß an theoretischer Sicherheit. Praktisch aber ist klar, dass es sich nicht um eine dauerhaft sichere Lösung handeln kann.

Nach wie vor existiert auf der ganzen Welt kein genehmigtes Endlager für hochradioaktive, starke Wärme entwickelnde Abfälle. Für mittel- und schwachradioaktive Abfälle gibt es dagegen bereits eine Vielzahl von Lagern. Die hoch radioaktiven Abfälle bestehen zum Großteil aus abgebrannten Brennstäben aus Atomkraftwerken und Glaskokillen, also in Glas eingeschmolzenem Atommüll, aus der Wiederaufbereitung.
Ausschlaggebend ist bei der Suche nach einem potenziellen Endlager seine geologische Abgeschlossenheit und Stabilität. In der Theorie geht es etwa darum, ob eine mögliche Lagerstätte in der Tiefe von Salz, Granit, Ton oder Tuff umgeben ist. In der Praxis allerdings spielt bei der Entscheidung für oder gegen einen Standort auch eine wichtige Rolle, ob es in einer Region zu Widerstand kommen könnte.

In den USA hatte man sich lange Zeit auf den Bau eines Endlagers in Yucca Mountain, 100 Meilen nordwestlich von Las Vegas, konzentriert. Es han­delt sich um Land der Shoshone, für die Yucca Mountain ein Heiligtum ist. In unmittelbarer Nach­barschaft befindet sich ein Atomtestgelände. Nach bisherigen Planungen sollte im vulkanischen Tuffgestein der Bergkette von Yucca Mountain hochradioaktiver Atommüll 200 bis 425 Meter un­ter der Oberfläche eingelagert werden.
Dass sich dieses Gebiet als Lager für Atommüll eignet, stellt die US-amerikanische Geologin und Umweltwissenschaftlerin Allison Macfarlane in Frage. Sie sagte, Yucca Mountain erfülle die internationalen Standards für ein Endlager nicht, da es sich um ein erdbebengefährdetes Gebiet handele, in dem außerdem die Gefahr erneuter vulkanischer Aktivitäten bestehe.
Der neue US-Präsident, Barack Obama, hat sich im Wahlkampf gegen dieses Projekt ausgesprochen. So ließ er bezogen auf Yucca Mountain im Wahlkampf in einem Fernsehspot verkünden: »Er wird unsere Familien beschützen.« Mit dem Energieminister Steven Chu und Harry Reid, dem demokratischen Senator des Bundesstaats Nevada, hat Obama wichtige Unter­stützer. Tatsächlich beschränkte sich die US-amerikanische Regierung im Haushaltsentwurf für 2010, der in der vergangenen Woche vorgelegt wurde, auf die nötigsten, von der Atomaufsichtsbehörde verlangten Ausgaben für das Yucca-Mountain-Programm. Die Regierung Obama plant, »eine neue Strategie für die Entsorgung von Atommüll zu ent­werfen«. In der Zwischenzeit wird der Atommüll an 121 Orten in den USA gelagert.
Zwar ist nicht auszuschließen, dass die neun Milliarden Dollar, die bereits in Yucca Mountain investiert wurden, nicht doch noch irgendwann als Argument für den Weiterbau angeführt werden. Die Notwendigkeit, die Entsorgungsstrategie zu ändern, ergibt sich aber schon aus der Tatsache, dass die ursprünglich vorgesehene Kapazität von über 70 000 Tonnen, davon 63 000 Tonnen abgebrannte Brennelemente, nicht ausreicht, um alle Nuklearabfälle der USA aufzunehmen. Die 104 kommerziellen AKW in den USA werden diese Menge an Brennelementen bis 2014 hervorgebracht haben. Für einen Teil der Abfälle müsste also sowieso ein anderer Ort gefunden werden.
Für die Betreiber der Atomkraftwerke ist es pro­fitabel, auf die Öffnung eines Endlagers zu warten. Sie haben mehr als 25 Milliarden Dollar an den Nuclear Waste Fund der Regierung gezahlt, damit das Energieministerium 1998 ein fertiges Endlager im Yucca Mountain öffnet. Seitdem bezahlt das Ministerium – und damit die US-amerikanischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler – die Lagerkosten der AKW-Betreiber.

Seit 30 Jahren ist die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) der Schweiz auf der Suche nach einem möglichen Lager für »hochaktive Abfälle«. Wie in Deutschland ist in der Schweiz der Betrieb von Atomkraft­werken per Gesetz an den Nachweis einer »sicheren Entsorgung« des Mülls gebunden. Wie in Deutschland folgte daraus nichts. Erst vor drei Jahren, als die Nagra das Zürcher Weinland als Ort für das Atommülllager benannt hatte, sahen die Schweizer Atomaufsichtsbehörden den »Entsorgungsnachweis« als erbracht. Doch die Bewohner des Weinlands wehrten sich und forderten die Erforschung alternativer Lagerplätze. Daraufhin beschloss der Bundesrat, die Nagra müs­se das Verfahren neu aufrollen.
Anfang November pries die Nagra drei mögliche Orte für Endlager mit schlichten Worten an: »Die drei vorgeschlagenen Standortgebiete Zürcher Weinland, Nördlich Lägeren und Bözberg mit dem Wirtgestein Opalinuston zeichnen sich im Untergrund durch eine einfache und stabile geologische Situation aus.« Außerdem wurden wei­tere Orte für ein potenzielles Lager für mittel- und schwachaktiven Müll ausgewählt. Thomas Ernst von der Geschäftsleitung der Nagra sagte: »Unser Ziel ist, in rund zehn Jahren die Standortwahl für die Tiefenlager im Einvernehmen mit den Regionen abzuschließen.«
Die linksalternative Wochenzeitung Woz erwartet dagegen »zehn Jahre Zoff von Schaffhausen und Zürich über den Aargau bis hin nach Solothurn und der Innerschweiz«. Sie geht davon aus, dass die Nagra das Lager für hochradioaktiven Atommüll im Zürcher Weinland bauen will. Dort sei vor zehn Jahren eine Sondierbohrung vorgenommen worden.
Abgeschlossen wird das Suchverfahren nach Schweizer Tradition mit einer Volksabstimmung. Dabei dürfen natürlich alle Schweizer über das Endlager abstimmen, nicht nur die Bewohnerinnen und Bewohner der betroffenen Region. Deshalb ist zu erwarten, dass sich die Mehrheit für das Lager entscheidet.

Auch am anderen Ende der Welt, in Australien, wird über ein atomares Endlager gestritten. Das Atommüllaufkommen ist vergleichsweise gering, weil in Australien nur zwei Forschungsreaktoren betrieben werden, die sich in Lucas Heights, südlich von Sydney, befinden. Zwei weitere Forschungsreaktoren dort wurden bereits abgeschal­tet. Da die Einrichtung eines Endlagers im Süden nicht durchzusetzen war, sind kürzlich drei Plätze in den Northern Territories – in der Nähe von Katherine, Tennant Creek und Alice Springs – als Alternativen benannt worden. Pikanterweise tauchten diese Orte nach Angaben des Umweltschützers Jim Green in einer Auflistung geeigneter Plätze für schwach radioaktiven Müll, die das Bundesamt für Ressourcen in den neunziger Jahren erstellte, gar nicht auf. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass man in den Northern Territories wegen der geringeren ökonomischen Macht und der dünnen Besiedelung auch mit weniger Widerstand rechnet und daher wissenschaftliche Kriterien vernachlässigt.
So begründete die Regierung die Auswahl von Katherine und Alice Springs auch ausdrücklich damit, dass es sich um Grundstücke des Verteidigungsministeriums handelt. Der Wissenschaftsminister Brendan Nelson räumte im Jahr 2005 ein, dass es sich bei der Entscheidung, kein Endlager im Bundesstaat North South Wales zu bauen – also dort, wo die Forschungsreaktoren stehen –, um eine rein politische Entscheidung handelte.
Die australische Bundesregierung behauptet, das Endlager sei ausschließlich für schwach ra­dio­aktiven Müll vorgesehen und hat eine ent­sprech­ende Gesetzesanmerkung abgesegnet. Der Trick von Regierung und Betreibern liegt darin, abgebrannte Brennelemente einfach zur Ware zu erklären. Da der hochradioaktive Atommüll so zu einem handelbaren Wertstoff wird, kann dieser auch in einem Lager für schwach radioaktiven Müll langfristig untergebracht werden. Schon ist das Problem des Atommülls gelöst.
Außer den Brennstäben sollen die Reste der abgeschalteten Forschungsreaktoren im geplanten Endlager landen. Und es ist nicht ausgeschlos­sen, dass auch Atommüll aus anderen Ländern angeliefert werden könnte, denn die Regierung hat sich Versuchen, diese Möglichkeit gesetzlich auszuschließen, stets widersetzt.