Über dem Gesetz

Falls Papst Benedikt XVI. tatsächlich beabsichtigt, unwillige Geistliche zu einer Anerkennung der Demokratie zu zwingen, hat er noch eine Menge Arbeit vor sich. »Gottes Gesetz steht über dem menschlichen Gesetz«, sagte Erzbischof José Cardoso Sobrinho, der über das brasilianische Bistum Olinda und Recife gebietet. Sollte »ein von menschlichen Gesetzgebern gemachtes Gesetz« dem göttlichen Gesetz widersprechen, hat »dieses menschliche Gesetz keinen Wert«. Cardoso interessierte es daher nicht, dass der Schwangerschaftsabbruch bei einem neunjährigen Mädchen, das nach Angaben der Behörden von seinem Stiefvater vergewaltigt worden war, gegen kein Gesetz verstieß. Dass die Schwangerschaft das Leben des Mädchens gefährdete, beeindruck­te ihn auch nicht. Er exkommunizierte in der vergangenen Woche die Mutter, weil sie die Abtreibung genehmigt hatte, sowie die beteiligten Ärzte, nicht aber den Stiefvater, denn er habe zwar ein »abscheuliches Verbrechen« begangen, doch die Abtreibung »ist gravierender«.
Allein in den USA musste die katholische Kirche wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern etwa eine Milliarde Dollar Scha­denersatz zahlen und 200 Priester entlassen, die Milde des Erzbischofs ist daher nicht erstaunlich. Dem Ruf der Kirche ist der neue Skandal nicht zuträglich, sogar Präsident Luis Iná­cio Lula da Silva protestierte »als Christ und Katholik« gegen Cardosos Ent­scheidung. Kardinal Giovanni Battista Re, der Vorsitzende der Bischofskongregation, unterstützte hingegen seinen Erzbischof. Die Exkommunikation sei »gerechtfertigt«, und »die Angriffe auf die brasilianische Kirche sind unberechtigt«. Offenbar genießt Cardoso die Unterstützung des Papstes, der Erzbischof gehörte zu den Geistlichen, die mit Unterstützung des damaligen Kardinals Ratzinger gegen die »Befreiungstheologie«, eine linke Interpretation der katholischen Lehre, vorgingen und viele ihrer Repräsentanten aus ihren Ämtern drängten.