Die Krise des spanischen Fußballs

Drei Milliarden Schulden und eine Tonne Koks

Der spanische Fußball steckt in seiner bislang schwersten finanziellen Krise. Die Folge: bankrotte Vereine und mit Koks handelnde Spieler.

Nachdem Liverpool mit 4:0 gegen Real Madrid gewonnen hatte, titelte die Sportausgabe des englischen Mirror vergangene Woche kurz und bündig: »Unreal«. Durch das »Massaker« (Mirror Sport) flog der bisher erfolgreichste Verein in der Cham­pions League bereits im Achtelfinale aus dem Wettbewerb. Im Uefa-Pokal sieht es noch düsterer aus: Mit Deportivo La Coruna und dem FC Valencia verpassten Ende Februar auch die beiden letzten im Wettbewerb verbliebenen spanischen Vereine die Chance, ins Achtelfinale zu kommen.
Das Hauptproblem des spanischen Fußballs ist derzeit jedoch mehr ökonomischer als sportlicher Art. Die spanischen Fußballvereine sind hoch verschuldet, mit astronomischen Summen stehen sie beim Staat, bei diversen Geld­gebern und sogar ihren Spielern in der Kreide. Auf Anfrage des oppositionellen Abgeordneten Francisco González von der rechtskonservativen Volkspartei (PP) gab die spanische Regierung im Februar bekannt, dass die Vereine der ersten und zweiten Liga dem Fiskus zusammen 627 Mil­lionen Euro schulden. Dazu stehen bei der Sozialversicherung noch knapp fünf Millionen Euro aus. Damit sind die Fußballvereine der größte Schuldner der Staatskasse.
Die Studie »Fußball und Finanzen« von José María Gay de Liébana, Professor für Finanzwirtschaft an der Universität Barcelona, offenbart noch weitaus größere Lücken in der Finanzierung: Bis zum Ende der Saison 2006/2007 hatten die 20 Vereine der ersten Liga insgesamt 2,78 Milliarden Euro Schulden angehäuft. Ihr ge­meinsames Vermögen beläuft sich hingegen nur auf 252 Millionen Euro.
Geldprobleme sind dem spanischen Fußball nicht fremd. Vor fast 20 Jahren sollte mit der Umwandlung der Vereine in Aktiengesellschaften die Finanzierung besser kontrolliert und so stabiler werden. Wie es aussieht, ist aber das Gegenteil eingetreten. »Die Aktiengesellschaften wurden geschaffen, um die Verschuldung des Fußballs zu beenden, doch stattdessen haben sie nichts gelöst«, so Enrique Cerezo, Präsident des Clubs Atlético Madrid, dem 430 Millionen Euro fehlen. Bis auf vier Vereine (Barcelona, Re­al Madrid, Athletic de Bilbao und Osasuna) wurden alle Clubs in Aktiengesellschaften (AG) umgewandelt. Durch die Anwendung des Konkursgesetzes von 2004 auf die Fußball-AG verschwand für die Vereine das Risiko, bei Zahlungsunfähigkeit zwangsweise eine Liga absteigen zu müssen. Davon sind nicht nur die Gläubiger, sondern auch die Spieler betroffen. Meldet ein Verein Konkurs an, haben die Fußballer nur Anrecht auf die Hälfte der Schulden und müs­sen das Ausbleiben der restlichen ausstehenden Gehälter erst einmal akzeptieren. Im vergan­genen Jahr konnten auf diese Weise drei Vereine ihren Abstieg in die dritte Liga verhindern, Re­al Murcia kündigte ebenfalls vor ein paar Wochen an, Konkurs anzumelden.
Beinahe hätte dies im vorigen Sommer zu einem Streik der Profispieler geführt. Die Spielervereinigung AFP hatte dem Liga-Verband LFP zu Beginn der Saison 2008/2009 mit Arbeitsver­weigerung gedroht. Erst wenige Stunden vor Ablauf des Ultimatums einigten sich die beiden Interessenverbände auf einen Versicherungsfonds, der die Auszahlung der Löhne der Spieler auch bei Zahlungsunfähigkeit der Clubs garantieren soll. Dieser ist jedoch erst für die kommende Saison geplant und wird an der extremen Verschuldung wenig ändern.
Der Verfasser der Studie, José María Gay, sieht das Problem in der Monopolstellung der beiden großen Vereine. »Barcelona und Real Madrid erwirtschaften zusammen 60 Prozent aller Einnahmen des spanischen Fußballs. Sie teilen sich untereinander 60 Prozent der Einnahmen durch Fernsehrechte und 60 Prozent der Merchandise-Einkünfte«, so der Wirtschaftsprofessor. Die übrigen Clubs seien gezwungen, untereinander um die restlichen 40 Prozent zu kämpfen. Dieser These steht entgegen, dass Real Madrid und Barcelona selber den ersten und dritten Platz bei der Verschuldung einnehmen. Ein Blick auf die allgemeine Wirtschaftskrise hilft da eher. Fast die Hälfte der Schulden wurde durch Spielereinkäufe mit einer Gesamtsumme von 1,3 Milliarden Euro verursacht. Auch im Fußball ist das ökonomische Prinzip, durch immer neue Investitionen wettbewerbsfähig zu bleiben, offenbar nun an seine Grenzen gelangt.
Den FC Valencia trifft es derzeit mit am härtesten. Seit Anfang Februar stehen 15 Millionen Euro an Spielergehältern aus, auch der Bau des neuen Stadions musste vorerst unterbrochen werden. Anfang März räumte der Präsident des Vereins, Vicente Soriano, auf Veranlassung des Hauptaktionärs Juan Soler und des größten Gläubigers, der Sparkasse Bancaja, seinen Stuhl. Von den 450 Millionen Schulden des Vereins stehen alleine der Bancaja 240 Millionen zu, durch die Zinsen steigen die Schulden des Ver­eins jeden Tag um weitere 60 000 Euro an. Der neue Vorstand kündigte daher an, in naher Zukunft auch Spieler verkaufen zu müssen. Mehrere europäische Vereine haben bereits Interesse an David Villa, dem Torschützenkönig der Europameisterschaft 2008, angemeldet. Die ungewisse Zukunft des Vereins ist womöglich auch ein Grund für die schlechte sportliche Leis­tung: Am Samstag absolvierte der FC Valencia sein sechstes siegloses Spiel in Folge.
In Anbetracht der finanziellen Notlage hatten sich manche Spieler offenbar entschlossen, auf eigene Faust für zusätzliche Nebeneinkünfte zu sorgen. Vor drei Wochen nahm die spanische Polizei im Rahmen der »Operation Zyklon« elf Personen, vorrangig aus der Fußballwelt, fest, die ein internationales Netzwerk für den Ko­kainhandel aufbauen wollten. Darunter befanden sich auch ehemalige und gegenwärtige Spie­ler verschiedener spanischer Vereine. Zu den Hauptbeschuldigten gehören ein Agent des Fuß­ballverbandes Fifa, Zoran Matijevic, und der Talentscout Pablo Acosta. Zur »Talentsuche« wa­ren sie häufig gemeinsam im Ausland, insbesondere in Südamerika, unterwegs. Nach Angaben der Polizei ging es ihnen jedoch vor allem darum, »Kontakte zu knüpfen und den Transport von Drogen nach Europa zu organisieren«.
Im Zuge der Operation beschlagnahmte die Po­lizei in Madrid einen Container mit 600 Kilo reinstem Kokain, der von Argentinien nach Tanger in Marokko und von da aus auf das spanische Festland verschifft worden war. Um die Vorfinanzierung des Schmuggels soll sich vor allem Carlos de la Vega, Verteidiger bei Rayo Vallecano, gekümmert haben. Mit einem Abschluss in Betriebswirtschaftslehre als Referenz hatte er Freunden und Bekannten bei geplanten Kapitalanlagen zur Seite gestanden. »Aufgrund seines Rufs als guter Geschäftemacher fragten ihn alle, bevor sie irgendeine Investition machten«, so Daniel Muñoz, sein Vertreter von der Spieler-Agentur Arietesport. Und so konn­te de la Vega den Ermittlungen zufolge nicht nur 20 Millionen Euro sammeln, sondern verfügte auch über mehrere Wohnungen, in denen das Kokain gelagert und verteilt werden sollte. Wer und wie viele unwissend in den lukrativen Geschäftszweig investiert haben, ist bisher nicht bekannt.
Am Wochenende wurde ein weiterer Container mit 350 Kilo Kokain am Hafen von Valencia sichergestellt, der ebenfalls dem Netzwerk der narcofutbolistas zugerechnet wird. Bei höchstem Reinheitsgrad würde der Marktwert der Tonne Kokain zwischen 100 und 200 Millionen Euro liegen. In Anbetracht von fast drei Milliarden Schul­den könnte allerdings selbst diese Summe dem spanischen Fußball nicht mehr helfen.