Der »grüne New Deal«

Bienen statt Heuschrecken

In ihrem Positionspapier zur Wirtschaftskrise fordern die Grünen einen »grünen New Deal«. Mit seinem historischen Vorbild teilt er nicht mal dessen Grundprinzip: die Umverteilung.

Von einem Ochsen darf man keine Milch und von einer bürgerlichen Partei kein linkes oder gar sozialrevolutionäres Programm erwarten. Es ist auch müßig, den Grünen Verrat an alten Idealen vorzuwerfen, zumal einst neben einer 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich nebulöse Dinge wie eine »Kreislaufwirtschaft« verlangt wurden. Wir sollten die Partei darum an ihrer aktuellen Losung des »grünen New Deal« messen.
»Die Krisen bewältigen – für einen grünen New Deal« heißt das Positionspapier, das die Grünen im November verabschiedeten. Dessen Inhalte finden sich in Erklärungen von Spitzenfunktionären ebenso wieder wie im Europa-Wahlprogramm, das eine Delegiertenversammlung im Januar beschloss. Einiges davon erinnert an Attac, was auch auf das Engagement des Gründers von Attac Deutschland, Sven Giegold, zurückzuführen sein dürfte, der auf Platz vier der Europa-Liste der Grünen kandidiert. Dementsprechend heißt es jetzt auch bei den Grünen, die gegenwärtige Krise sei durch die »Entfesselung der Wirtschaft und der Finanzströme« verursacht, durch die »Jagd nach zweistelligen Renditen« und Fehler und Lücken in der Finanzmarktaufsicht.
Die Parole der Grünen lautet »Mit Grüner Marktwirtschaft gegen Markt- und Politikversagen«. Das klingt nach heimeligem Biobauernwochenmarkt, der dem »Finanzmarktkapitalismus« entgegengestellt wird, »der die Rendite ohne jede Berücksichtigung der sozialen und ökologischen Folgekosten maximiert«. Diese ideo­logische Unter­scheidung zwischen guter Marktwirtschaft und bösem Kapitalismus, die die Grünen damit aufgreifen, ist typisch für Teile der Globalisierungs­kritik. Dass dies bis ganz nach rechts anschlussfähig ist und einst seine klassische Zuspitzung in der Parole vom schaffenden und raffenden Kapital fand, stört die Grünen nicht. Dazu passt, dass im Wirtschaftspapier der Grünen von »Bienen statt Heuschrecken« die Rede ist, unbeeindruckt von Debatten über antisemitische Stereotype, die die Heuschrecken-Rede von Franz Müntefering hervorgerufen hat. Obendrein fordern die Grünen, jene Regionalgeld-Initiativen zu unterstützen und rechtlich abzusichern, die auf der Zinsknechtschaftstheorie des Sozialdarwinisten Silvio Gesell beruhen.
Es geht jedoch nicht darum, die Grünen in die braune Ecke zu stellen, sondern um das politische Gefahrenpotenzial der Wirtschaftskrise. Denn das Wunschbild einer »sozialen« und »ökologischen« Marktwirtschaft, die doch selbst in Zeiten des Aufschwungs weltweit pro Tag etwa 30 000 verhungerte Kinder mit sich bringt, lässt sich nur durch den Rekurs auf Feindbilder aufrecht erhalten: gierige Banker, böse Spekulanten, unfä­hige Manager, korrupte Politiker.

Dass es mit der »sozialen Marktwirtschaft« der grünen Politiker, der Parteimitglieder und auch der grünen Wähler nicht weit her ist, haben bereits die Hartz-IV-Gesetze gezeigt. Die Maßnahmen der rot-grünen Bundesregierung gegen Arme und Erwerbslose haben im grünen Milieu kaum Protest ausgelöst. Im aktuellen Wirtschaftspapier sowie im Europa-Wahlprogramm fordern die Grünen, die Hartz-IV-Sätze von rund 350 auf 420 Euro zu erhöhen – ein Witz. Aber immerhin eine der wenigen konkreten Forderungen. Denn ansonsten bieten die Grünen nur viele schöne Worte: fair, gerecht, nachhaltig, human und öko­logisch soll Kapitalismus funktionieren. »Feind­liche Übernahmen gehören nicht zu einer grünen Marktwirtschaft«, heißt es, denn hier soll Harmonie herrschen. Dafür müsse ein effektiver und globaler Ordnungsrahmen geschaffen werden: durch intelligenteres, konsequenteres Krisenmanagement, tiefgreifende Strukturveränderungen, »einfache universelle Regeln« für die Regulierung von Banken und eine »neue Weltfinanzarchitektur«. Was dies alles im Detail bedeuten soll, ist noch nirgends zu lesen.
Wer bei der Konkretisierung des schwammigen Programms beratend zur Seite steht, kann man da­gegen dem Programm der Umweltkonferenz der Heinrich-Böll-Stiftung vom Wochenende entnehmen: unter anderen Vertreter von VW und der Beraterfirma Roland Bergers. Auch Werner Schnappauf, der frühere bayerische CSU-Umweltminister, wurde eingeladen, um dort über den »Wachstumsmotor Klimaschutz« zu sprechen. Der einst von den Grünen als Leichtgewicht und Schwadroneur, Bärentöter und Schneekanonen-Fan attackierte Schnappauf ist seit September 2007 Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und darf daher gern ein Wörtchen mitreden. Interne Kritiker wie etwa der bayerische Landtagsabgeordnete Martin Runge, der die Agenda 2010 als unausgewogen und Hartz IV als unsozial kritisierte und zudem zeigte hatte, wie die rot-grüne Bundesregierung zum Finanzcrash beitrug, kommen dagegen bisher kaum zu Wort.
Aber noch nicht einmal in ihrem Programm ziehen die Grünen einen ökologischen Umbau in Erwägung. Allenfalls hoffen sie, dass technische und profitable Neuerungen diesen konfliktfrei bewirken mögen. Zum Beispiel in der Verkehrspolitik: Der Ausbau von Schienennetzen und öffentlichen Verkehrsmitteln, eine LKW-Maut und eine KFZ-Steuer auf Co2-Basis sind nicht verkehrt. Die Forderung nach Elektroautos oder Künasts Rede von der ökologischen Neuausrichtung der Autoindustrie zeigen aber, dass die Grünen am prinzipiell nicht umweltfreundlichen motorisierten Individualverkehr festhalten. Selbst ein Null-Liter-Auto wäre als Massenprodukt eine ökologische Katastrophe: Zwei Drittel der Energie, die ein Auto verbraucht, sind weg, wenn das Gefährt vom Fließband rollt. Menschen leiden unter dem Autolärm, für Straßen und Park­plätze werden riesige Flächen verbraucht und der Strom für grüne Elektroautos kommt auch nicht einfach aus der Steckdose.

Vor allem müsste ein New Deal, der auf ökolo­gischen Umbau zielt, davon ausgehen, dass angesichts der fortschreitenden Produktivitätssteigerung der Anteil der notwendigen menschlichen Arbeit immer weiter schrumpft, während die Menge an Gütern und Dienstleistungen wächst. Folglich sinken die Arbeitseinkommen und die Nachfrage, und damit stockt auch die Realisierung des Profits. Also müsste ein ökologisches und keynesianisches Programm beinhalten, die Arbeitszeit drastisch zu reduzieren und dabei die Kaufkraft der Lohnabhängigen zu stärken: durch vollen Lohnausgleich, höhere Löhne und Sozialtransfers.
Das erfordert Umverteilung, denn die ist das Grundprinzip des New Deal. Dazu müssten Unternehmensgewinne und Besserverdienende hoch besteuert werden – Franklin Delano Roosevelt, der Vater des New Deal und damit auch Vorbild des »grünen New Deal«, setzte eine Einkommenssteuer von 80 Prozent durch. Mit solchen Einnahmen könnte der Staat theoretisch gezielt in Bildung, Wissenschaft, Kultur und ökologisch sinnvolle Maßnahmen investieren, etwa in regene­rative Energieproduktion, Energieeffizienz und den Ausbau ökologischer öffentlicher Verkehrsmittel.
Dafür müsste das Kapital auf Profite verzichten. Und die Geschichte lehrt, dass dazu kämpferische Gewerkschaften und außerparlamentarische Bewegungen und zumindest das Gespenst des Kommunismus notwendig wären. Roosevelt, der aus einer der reichsten Bourgeoisfamilien des Landes stammte, galt als Verräter seiner Klasse, obwohl er ihre Herrschaft stabilisierte. Sein New Deal wurde vom US-Kapital nur als kleineres Übel akzeptiert – angesichts einer militanten Arbeiterklasse, die Generalstreiks und ­Fabrikbesetzungen organisierte, von der deutsche Linke nur träumen könnten, würden sie diesen Aspekt amerikanischer Geschichte je zur Kenntnis nehmen. Die sozialen und politischen Kräfte, die in Deutschland einen modernen New Deal durchsetzen könnten, sind marginal, und die Grünen liefern dazu nicht einmal ein paar brauchbare Ideen.