Vorabdruck aus »Die geladene Knarre von Andreas Baader«

Peng, du bist tot!

Die beiden Studenten Rieke und Sebastian geraten plötzlich in den Besitz einer Pistole, die einmal Andreas Baader gehört haben soll. Woraufhin sie den Plan entwickeln, ­jemanden damit zu erschießen, am besten einen Politiker. Aber wen? Von heute auf morgen Terrorist zu werden, ist gar nicht so einfach.

Sonntagabend.
Rieke kommt, und wir fallen übereinander her. Das ganze Wochenende hatte sie keine Zeit für mich, weshalb ich auch mit Meier auf dieser beknackten Hiphopparty war, glücklicherweise nur kurz. Die Barfrau war tatsächlich ganz hübsch anzuschauen, doch nie sonderlich lange, weil meistens so ein zottelbärtiger Fransen­lederjackenträger an ihrem Gesicht klebte. Für Meier war es kein großer Trost zu sagen, dass sie ohnehin den falschen Männergeschmack hat, aber mit den Getränken gegenüber in der Tiergartenquelle dürfte er sich die Erinnerungen an diese Sonja erfolgreich aus den Hirnzellen gelöscht haben. Rieke hat offenbar keine große Lust auf Erlebnisabgleich, da gibt es etwas anderes auszutauschen. Ich schubse sie Richtung Bett, auf dem Weg dorthin verliert sie ihre Kleidung, schleudert ihre Tasche auf einen Stuhl, und während ich mich zwischen Riekes Beinen verliere, rumst es, fällt etwas herunter. Das stört mich nicht, aber ich spüre eine Unterbrechung in Riekes Lust und sehe auf. Meine Freundin starrt zu ihrer Tasche, die halb ausgeleert auf dem Boden liegt. Zwischen allerlei Krimskrams und drei Büchern liegt eine Pistole. Ich muß das ein zweites Mal denken, um es zu verstehen: Zwischen dem aus ihrer Tasche gequollenen Zeug liegt eine Pistole! Ich springe auf. Rieke, was ist das denn? Sie guckt mich stumm an. Dass das eine Pistole ist, müßte sie mir auch nicht sagen; was eine Pistole ist, weiß ich ja. Bloß habe ich noch nie eine gesehen außer im Fernsehen, auf Fotos und vielleicht im Museum oder aus Plastik und so, Attrappen eben, als Kind hatte ich mal eine. Ich nehme das Ding in die Hand, es ist leichter als gedacht und sehr handlich. Wie eine Attrappe wirkt es trotzdem nicht. Das kühle, schwarze Metall ist überall abgestoßen, der geriffelte Griff ist braun. Was soll das denn? frage ich und gucke zu Rieke, woher hast du die? Sie sagt: Von Lean­der. Von Lean­der? wiederhole ich, du hast dich mit Lean­der getroffen? Das überrascht mich. Rieke, warum gibt er dir denn eine Waffe? Rieke springt auf, nimmt mir mit der einen Hand das Ding ab und streichelt mit der anderen meinen Hinterkopf. Bei ihm ist sie nicht sicher, sagt sie und presst ihren Körper an meinen, Lean­der wird ver­folgt. Ich muß ansatzweise lachen. Lean­der wird verfolgt? wiederhole ich schon wieder das Gehörte und löse mich dabei von Rieke, um sie besser ansehen zu können. Braucht man nicht gerade dann eine Waffe, wenn man verfolgt wird? frage ich und kann mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Bast, sagt Rieke, das ist ernst, Lean­der wird vom Verfassungsschutz beobachtet, deswegen hat er sie mir gegeben. Rie­ke hält die Pistole hoch. Ach ja? sage ich, und warum hat er sie nicht in einen See geworfen oder so? Rieke senkt die Waffe, sagt, man wis­se nie, wozu man so was noch brauche. Darüber muß ich lachen. Erkläre Rieke für verrückt. Frage sie, wozu sie, wozu Lean­der eine Waffe braucht. Rieke guckt erst mich und dann die Waffe an. Sie fährt mit dem Zeigefinger den Lauf entlang. Dann sagt sie, das sei eine besondere Knarre, nämlich die von Baader. Baader? Ich kapiere nicht, was sie meint. Das sieht Rieke mir an. Andreas Baader, sagt sie, Baader-Meinhof. Schon klar, aber! unterbreche ich sie. Verstanden hatte ich sie, nur nicht begriffen. Jetzt greife ich nach dem Ding und gucke es von allen Seiten an. »P. Mod. 37, Kal. 7,65« ist in den Lauf graviert. Das kann doch unmöglich eine Original-Er-A-Eff-Waffe sein, denke ich, die Dinger liegen doch nicht einfach so herum beim Trödler: Frisch reingekommen, Eins-a-Mordwaffe von Top­terroristen, der Flugschein von Mohammed Atta ist leider schon verkauft. Und wie kommt Lean­der an so 'n Teil? frage ich. Weiß ich auch nicht genau, sagt Rieke. Sie habe keine Gelegenheit gehabt, ihn danach zu fragen. Er muß es irgendwie über seinen Vater haben, sagt sie, der ist doch Anwalt; hat Lean­der da nicht mal so was erwähnt? Mir ist auch so, irgendwas hat er tatsächlich erzählt; dass sein Vater Terroristen verteidigt hat und vielleicht sogar mit einem befreundet war, zumindest war er wohl Sympathisant, in den Siebzigern, als die Stimmung so extrem aufgeheizt war. Die Springerpresse hat gehetzt, und alles, was linker war als die SPD, stand unter Generalverdacht. Ich weiß nicht viel über Baader und Co., das war vor meiner Zeit. Und vor Riekes Zeit auch. Sie steht vor mir, halb ausgezogen, und guckt irgendwie besorgt. Ich richte die Waffe auf sie, den Zeigefinger am Abzug. Peng, sage ich, peng, du bist tot. Dabei ziele ich nicht mal. Pass auf, sagt Rieke ruhig, die ist geladen! Was?! Ich werfe das Ding aufs Bett. Wieso denn das? rufe ich, sag mal, spinnst du? Rieke kommt zu mir, schiebt ihre Hände unter mein T-Shirt, reckt ihren Kopf, will mich küssen. Beruhige dich, sagt sie, du hast ja nicht entsichert. Ja aber, sage ich und gerate ins Stottern, wa-warum läufst du mit einer geladenen Pistole rum? Ich konnte Lean­der davon über­zeugen, dass ihn der Besitz von dem Ding nur noch verdächtiger macht. Verdächtiger für was? frage ich. Das weiß er auch nicht, sagt Rieke, greift meine Hände und will mich offensichtlich zurück zum Bett ziehen. Ich werde mich nicht wehren. Doch wird es mir schwerfallen, das Ding da aus den Augen zu lassen. Das Ding, das dort so unbeteiligt neben dem Kopfkissen liegt. Das Ding, die geladene Knarre von Andreas Baader.

Mittwochvormittag.
Ich dusche. Rieke ruft durch die Tür: Bast, dein Handy klingelt. Ich rufe zurück, sie soll nachschauen, ob ein Name auf dem Display angezeigt wird. Nein, unbekannter Teilnehmer, ruft sie. Dann geh ran, rufe ich. Ich drehe das Wasser ab und trockne mich ein wenig ab. Als ich die Badezimmertür öffne, ist mein Handy bereits wieder aus. Wer war’s denn? frage ich. Luzie! Rieke macht ein komisches Gesicht. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Fühle mich seltsam ertappt, einfach weil ich nicht weiß, wer Luzie überhaupt ist. Anscheinend müßte ich sie trotzdem kennen. Erst schreibt sie mir eine SMS, jetzt ruft sie mich auch noch an. Das ist wohl doch kein Zufall. Rieke sagt, Luzie wollte nichts ausrichten lassen und werde es später noch mal probieren. Aha, sage ich und ziehe mir was an. Rieke schaut mir dabei zu. Mit verschränkten Armen lehnt sie im Türrahmen. Ich spüre ihre Gedanken, aber mir ist es zu dumm zu erklären, dass ich nicht weiß, wer Luzie ist. Lieber küsse ich Rieke, auch wenn ich mich beim Küssen schuldig fühle, ohne zu wissen, wofür eigent­lich. Dann sagt Rieke doch was, nur anders als geahnt und mehr festgestellt als gefragt: Wusste gar nicht, dass du Kontakt zu Luzie hast. Riekes Arme sind immer noch verschränkt. Hab' ich ja gar nicht, sage ich schnell, bevor ich dar­über nachdenken kann, dass Rieke anscheinend weiß, wer Luzie ist. Und wieso ruft sie dich dann an? Ich zucke mit den Schultern. Werde ihr wohl mal meine Nummer gegeben haben. Ich gehe in die Küche, da steht noch der Rest Kaffee. Auch hier bleibt Rieke wieder im Rahmen stehen. Und was will Luzie von dir? Ich setze mich und blättere in der Zeitung. Weiß ich doch nicht, sage ich. Und dann rutscht es mir raus: Bist du eifersüchtig oder was? Immerhin, Rieke gluckst ein bisschen in sich hinein, entknotet ihre Arme und kommt auf mich zu. Ach Quatsch! Sie beugt sich zu mir, und wir knutschen. Dann richtet sie sich wieder auf, fährt mir durchs Haar und grinst. Immerhin sieht Luzie ziemlich gut aus! sagt sie, und mir fällt glücklicherweise sofort das Richtige ein: Niemals so gut wie du! Schleimer! sagt Rieke, küsst mich noch mal kurz und setzt sich dann, um ebenfalls im Tagesspiegel zu blättern. Eine Weile lesen wir schweigend. Die Zeitung ist voll mit Berichten über den gruseligen Fund von neun Babyleichen in einem Garten in der Nähe von Frankfurt an der Oder. Die Mutter hat sie wohl jedesmal gleich nach der Geburt umgebracht und dann in Blumenkästen vergraben, will sich aber nur an die ersten beiden Morde erinnern können. Ich würde mich lieber daran erinnern können, wer diese Luzie ist. Ach, sieh an! ruft Rieke aus, olle Schönblöd meint, in Brandenburg sind die Leute so gewaltbereit, weil sie verproletarisiert sind. Was soll das denn heißen? frage ich. Er sagt, sagt Rieke und liest vor, dass die von der SED erzwungene Proletarisierung eine der westlichen Ursachen, Rieke hält inne, guckt, grinst und sagt dann: eine der wesentlichen Ursachen natürlich für Verwahrlosung und Gewaltbereitschaft sei. Ach so, sage ich, er ist Innenminister, er wird schon wissen, was er sagt. Wirst du auch immer gewalttätiger? fragt Rieke. Ich bin ja nicht verproletarisiert, sage ich. Wohl eher verbourgeoisiert, was? sagt sie. Immerhin hat meine Freundin eine Waffe, sage ich. Das stimmt, sagt Rieke, es wird Zeit, dass wir zeigen, wie gewaltbereit wir sind. Sie guckt mich an: Meinst du nicht? Zur Gewalt? frage ich zurück. Ja, sagt Rieke, wir leben wehr­los bis lethargisch in einer immer härter werdenden Welt. Ich lege meinen Zeitungsteil beiseite und gieße mir Kaffee nach. Wer Gewalt ausübt, offenbart bloß seine Schwäche, sage ich. Pazifistengeschwätz! Rieke verzieht ihr Gesicht, die Schwachen sind doch wir, mit uns kann man’s ja machen, sagt sie, wie viele Wangen sollen wir eigentlich noch hinhalten? Ich frage sie, was wir stattdessen tun sollten. Rieke legt nun auch die Zeitung weg und sagt: Wir sollten jemanden erschießen. Ich sage: Du spinnst. Nein, sagt sie, ich meine das ernst; es ist höchste Zeit, wir dürfen den Rechten die Macht nicht kampflos überlassen. Ich lehne mich zurück und ver­suche herauszufinden, ob sie es tatsächlich ernst meint. Wen willst du denn töten? frage ich, Angela Merkel? Rieke denkt kurz nach. Dann sagt sie: Merkel ist zu schwach, das bringt nicht viel, Stoiber muss weg oder am besten beide. Und dann? frage ich und antworte mir gleich selber: Dann kriegt die CDU achtzig Prozent, und Helmut Kohl wird wieder Kanzler. Rieke verzieht das Gesicht, sagt: Quatsch! Oder Roland Koch, sage ich. Rieke stützt ihr Kinn auf ihre rechte Faust und überlegt. Mir dämmert, sie meint es wirklich ernst. Du hast recht, sagt sie, es ist kontraproduktiv, einen der anderen zu erschießen. Sie schlägt mit der flachen Hand auf die Tischplatte, das Geschirr klirrt. Wir erschießen Schröder, sagt sie, oder Fischer! Sie trommelt mit beiden Händen ein paarmal auf den Tisch ein. Dann kriegen die Grünen zwanzig Prozent! Oje, denke ich, meine Freundin ist durchgeknallt. Ich frage sie, ob sie gerade durchdreht, aber sie hört mir gar nicht zu, sagt nachdenklich: Schröder ist besser, der will doch sowieso nicht mehr. Dann kann er auch abtreten! ruft sie, oder eben erschossen werden, als Märtyrer taugt der sicher noch, denn wenn das Volk mitbekommt, dass es noch jemanden gibt, der ihn erschießen will, werden seine Umfragewerte schon wieder steigen. Ich glaube, sage ich, die steigen sowieso wieder, wenn auch langsam. Umso besser, sagt Rieke, nur unter normalen Umständen würde das sicherlich nichts nützen, aber nach einem Attentat! Heute morgen lässt sie sich wohl kaum noch von dieser fixen Idee abbringen. Ich fra­ge daher, ob es nicht ausreichen würde, lediglich einen Anschlag zu planen. Rieke winkt ab, das sei nicht medienwirksam genug. Er muss schon dabei draufgehen, sagt sie, damals, als Lafontaine das Messer in den Hals bekommen hat, hat’s ihm auch nichts genützt, und Kohl ist Kanzler geblieben. Probieren wir’s eben noch mal! schlage ich vor, der wird bestimmt nicht so gut bewacht. Doch, gerade! sagt Rieke, erst gestern hab ich gelesen, dass seine Frau Polizeischutz für ihn verlangt. Polizeischutz haben sie alle, sage ich. Schon klar, sagt Rieke, wir müssen rausfinden, wer wann am wenigsten bewacht wird. Ich schlage Gregor Gysi vor. Nicht schlecht, sagt Rieke, im Osten würde das neunzig Prozent bringen. Und im Westen? frage ich. Auch nicht weniger als Lafontaine, sagt sie, den mag doch eigentlich keiner so recht. Am beliebtesten ist immer noch Fischer, sage ich. Vielleicht hast du recht, sagt Rieke, das würde sogar die enttäuschten Linken zurück zur Urne holen. Fischers Urne? frage ich, und wir beiden müssen lachen. Wie stellst du dir das eigentlich vor? frage ich dann, meinst du nicht, du wirst auch schon überwacht? Von wem? fragt Rieke. Na, vom Verfassungsschutz! sage ich, wenn der hinter Lean­der her ist, werden sie dich ja wohl gesehen haben, als er dir die Knarre gegeben hat. Ach, Rieke winkt ab, das Treffen war ganz konspirativ. Außerdem, sagt sie, Lean­der ist paranoid. Ich frage, ob sie da­mit meint, dass Lean­der gar nicht verfolgt wird. Keine Ahnung, sagt Rieke. Und die Knarre? ­frage ich. Die ist echt, sagt Rieke, und wirklich von Baader, das glaub' ich schon.

Nachmittags
klingelt mein Handy wieder. Wieder weist das Display auf einen unbekannten Teilnehmer hin. Das muss diese Luzie sein! Schlagartig werde ich extrem nervös. Gut nur, dass Rieke gegangen ist. Mit einiger Mühe drücke ich auf Grün. Ich habe das Gefühl, selbst beim »Hallo« zu stottern. Ah, sagt die Frau im Apparat, jetzt erwisch' ich dich endlich. Ihre Stimme kommt mir bekannt vor, ich weiß bloß nicht woher. Wir reden ein wenig ums Wetter herum. Mir gelingt es nicht, sie dazu zu bringen, irgendwas zu erzählen, woran ich erkennen könnte, woher sie mich kennt. Ich weiß aber auch nicht, wie man so ­etwas macht. Stattdessen erzählt sie, dass eine Lara eine Party gebe. Luzie sagt nicht, wer Lara ist, und sie fragt auch nicht, ob ich mitkommen mag. Dafür frage ich, wo die Party stattfindet. Luzie schlägt vor, dass wir uns am Freitag um zehn im U-Bahnhof Gneisenaustraße treffen. Ich sage: Okay. Ich frage nicht, wie ich sie erkenne, weil ich davon ausgehe, dass sie mich erkennt. Ich frage auch nicht, ob ich jemanden mitbringen darf, um unsere Verabredung weniger eindeutig wirken zu lassen. Ich will niemanden mitbringen, mich reizt diese Eindeutigkeit. Ich werde auf eine Party gehen, sozusagen allein, auf eine Party, zu der auch eine Lu­zie geht, die ich irgendwoher kenne, aber nicht so gut, dass ich ihre Telefonnummer hätte. Hallo, fragt Luzie, bist du noch dran? Ja, entschuldige, klar! sage ich. Dann bis Freitag, sagt sie oder haucht es oder, ich weiß nicht, sie sagt jedenfalls, dass sie sich freue. Ich auch, sage ich. Luzie legt auf, und ich höre noch eine Weile dem Rauschen in der Leitung nach. Es kann doch nicht so schwer sein herauszufinden, wer das ist, es müsste eine flüchtige Bekannte von Rieke und mir sein, jemand, den wir gemeinsam irgendwo getroffen haben. Aber nein, dann wüsste Rieke ja, woher diese Luzie meine Nummer hat, und Luzie würde sich auch nicht bloß mit mir treffen wollen, sondern mit uns beiden. Ich müsste sie also noch mal ohne Rieke gesprochen haben. Oder war da was an dem Abend, wo ich so mit Meier abgestürzt bin, nachdem er feststellen musste, dass er sich mit dieser Studentenkellertante voll verfranst hatte? Eigentlich finde ich es ganz prickelnd, ver­abredet zu sein und nicht zu wissen, mit wem.

Abends
ist Rieke wieder da, sie hat Brot und Käse gekauft. Ist was? sagt sie, du wirkst so aufgedreht. Echt? Ich fühle mich ertappt. Rede mich mit unseren Plänen rund um die Waffe raus. Ich fühle mich ein bisschen schuldig, weil ich mich mit einer Frau verabredet habe, die ich vielleicht gar nicht kenne, von der ich mir aber verspreche, dass sie auf irgendeine Art toll ist, eine tolle Stimme hat sie schon mal. Am Telefon klingen viele Menschen viel besser, als wenn man ihnen gegenübersitzt. Vielleicht wirkt das auch nur so, weil man sich ganz auf das Gehörte konzentrieren kann und nicht von Gesten oder Mimik abgelenkt wird. Wenn ich telefoniere, stelle ich mir meine Gesprächspartner nicht bildlich vor, ich weiß ja auch meistens, wie sie aussehen. Wie Luzie aussieht, weiß ich nicht, aber ich kann es kaum abwarten, das herauszufinden. Luzie muß einfach schön sein, schon wegen unseres mysteriösen Kennenlernens. Das hat gar nichts mit Rieke zu tun, die ich schließlich liebe, ich möchte sie auch gar nicht betrügen; das mit Luzie ist völlig unabhängig von Rieke, weshalb ich ihr nichts davon erzählen will, vielleicht hinterher. Rieke bemerkt meine Unaufmerksamkeit. Du hörst mir gar nicht zu, beklagt sie sich. Ich knutsche sie zur Antwort. Weißt du eigentlich, hauche ich, wie sexy du bist, wenn du so couragiert sprichst? Rieke grinst und scheint gewissen Körperlichkeiten nicht abgeneigt gegenüberzustehen. Ich hab' doch aber nur von diesem Hund, will sie widersprechen, der Rest geht im Kuss unter.
Später liegen wir dann nebeneinander im Bett. Nach dem Hormonstauabbau sprechen wir wieder über unsere Pläne. Wen weihen wir ein? frage ich, obwohl mir klar ist, dass das ein Geheimnis zwischen Rieke und mir bleiben muss. Wieso sollten wir noch jemanden einweihen? murmelt Rieke, die offenbar kurz vorm Einschlafen ist. Nach einer kurzen Pause sagt sie: Das schaffen wir ja wohl auch zu dritt. Habe ich mich verhört? denke ich, zu dritt? Zu dritt? wiederhole ich, du, ich und? Na, und Lean­der, sagt Rieke und dreht sich zur Seite, um besser einschlafen zu können. Natürlich, denke ich, Lean­der, klar, denke ich, das hätte ich mir ja auch denken können. Lean­der!

Freitagvormittag.
Als ich aufwache, ist es fast schon elf. Rieke schläft noch. In letzter Zeit geht sie gar nicht mehr zur Stabi. Wir haben eben Wichtigeres zu tun. Wir sind jetzt politisch tätig. Wir sind verantwortlich dafür, dass in diesem Land etwas passiert. Wir werden Geschichte schreiben. Wir müssen uns auf unsere Kraft konzentrieren und dürfen keinen Fehler machen. Wir, wir, wir. Wir sind – verabredet. Ich bin verabredet.
Beim Frühstück guckt mir Rieke eine Weile lang dabei zu, wie ich den Kaffee verschütte, wie ich lustlos vom Toast abbeiße und wie ich insgesamt vermutlich etwas gedankenverloren wirke. Dabei denke ich die ganze Zeit an Luzie. Der Anblick Riekes fragender Augen macht mich verlegen. Ich bin ein Arsch. Da sitze ich der schönsten Frau der Welt gegenüber und bin mit einer mir Unbekannten verabredet. Nicht diese Verabredung an sich ist das Schlimme, mein Schweigen darüber macht sie zum Betrug. Ich sollte lieber nicht hingehen, schließlich möchte ich Rieke nicht verlieren, sie nicht einmal enttäuschen. Ist irgendwas? fragt Rieke. Wieso denn? frage ich zurück. Du wirkst so, sie sucht nach dem Wort und bewegt dazu ihre Hand in der Luft. Was? frage ich. Ist es wegen der Waffe? fragt Rieke. Ja, lüge ich, genau. Eigentlich lüge ich nicht mal. Natürlich bereitet mir auch die Waffe Sorgen und dass Lean­der immerzu dabei ist, genauso. Aber all das kann ich glücklicherweise ganz gut verdrängen. Schon deswegen muss ich Luzie heute abend treffen, wegen Lean­der. Rieke redet derweil ­davon, dass wir alles gut planen würden, das Risiko dürfte nicht so groß sein, sagt sie, und schließlich tun wir es für unser Land, für die Zukunft. Ja, sage ich. Rieke steht auf. Ich muss los, sagt sie. Wohin? frage ich. In die Stabi, sagt sie. Ach so? Irgendwie beruhigt mich das. Ja, sagt Rieke, ich habe ein paar Bücher über die Raff und andere Freiheitskämpfer vorbestellt. Rieke sucht ihr Zeug zusammen. Sehen wir uns eigentlich nachher? fragt sie aus dem Flur. Nein, ich habe, sage ich und denke: Verdammt, ich habe nicht einmal eine Ausrede parat. Aber Rieke scheint sich darum gar nicht zu kümmern. Sie kommt zurück in die Küche, beugt sich zu mir, legt mir die Arme um die Schulter. Na, dann morgen, mach’s gut, du, sagt sie, gibt mir einen Abschiedsknutscher und geht. Dann dreht sie sich noch um. Ach so, sagt sie, kipp mal die Milch weg, die ist so gut wie schlecht.

Abends, kurz vor zehn
bin ich dann am Treffpunkt, ein bisschen zu früh. Ich gucke mich ängstlich um. Wer wird mir entgegenspringen? Oder wird sie mich warten lassen? Da entdecke ich Steffs Kommilitonin. Das könnte ein Zufall sein, aber in dem Moment, in dem auch sie mich bemerkt, weiß ich, wer Luzie ist. Mir fällt wieder ein, wie wir am Terrassengeländer gestanden haben und wie ich sie fast küssen wollte, weil ich so betrunken war, und wie wir uns umarmt haben und wie sie gegangen ist und wie sie sich dann doch umgedreht und nach meiner Nummer gefragt hat, man weiß ja nie. Jetzt lächelt Luzie und kommt auf mich zu. Und ich habe fast das Gefühl, mir knicken die Beine weg, aber nur fast. Luzie sieht hinreißend aus, das Haar wieder hochgesteckt, ihre Lippen glänzen, über der schwarzen Hose trägt sie ein ebenfalls schwarzes kurzes Kleid, das ihr Dekolleté betont, darüber eine Jeansjacke. Wir umarmen uns und küssen uns die linken Wangen so flüchtig wie möglich. Wir laufen eine schwach beleuchtete Straße entlang, Luzie hat ein ziemliches Tempo drauf. Auf dem Weg erzählt sie mir, dass sie Lara gar nicht gut kenne, von irgendeiner Gruppenreise her. An einer Ecke sehe ich zum ersten Mal das stark vergrößerte Konterfei der Kandidatin. Ihr Slogan: Deutsch­lands Chancen nutzen. Hey, rufe ich, mein ers­tes Angie-Poster. Mein Spott misslingt mir. Luzie stimmt nicht darin ein, nein, sie sagt: Ich wer­de sie wohl wählen. Ich bin für einen Moment wie vor den Kopf gestoßen. Das kann doch gar nicht sein, denke ich, niemand aus meinem engeren Bekanntenkreis darf die CDU wählen, schon gar nicht Luzie. Dabei gehört Luzie gar nicht zu meinem engeren Bekanntenkreis. Sie erzählt, dass sie bei den letzten beiden Wahlen Rotgrün gewählt hätte, doch jetzt sei wirklich die Zeit für den Wechsel gekommen. Ich glaube nicht, dass sich etwas ändern wird, sage ich, und Luzie sagt, sie finde außerdem, es sei an der Zeit, dass endlich einmal eine Frau an die Macht kommt. Und wer weiß, sagt Luzie, wann es das nächste Mal so wahrscheinlich sein wird, dass es auch klappen könnte. Ja, sage ich, und sie kommt aus dem Osten.
Lara wohnt in der vierten Etage eines vielleicht vor zwanzig Jahren sanierten Altbaus und steht freudestrahlend an der Wohnungstür. Hallo! ruft sie uns entgegen, schön, dass ihr da seid! Sie umarmt Luzie überschwänglich. Ihr seid die zweiten, sagt Lara. Und dritten, sagt Luzie. Stimmt, sagt Lara. Lara ist schlank und groß, hat dunkle Augen und trägt ein gemustertes Tuch um die Stirn, das hält ihr krauses Haar aus dem Gesicht. Der Flur ist lang, Lara wohnt in einer WG, ihr mittelgroßes Zimmer wird von einem Tisch dominiert, der vermutlich sonst nicht hier steht, und von einem Bett mit bunten Bezügen. Die Musik ist leise und unauffällig. Am Computer steht Hans, der uns seine Hand hinhält. Er ist bestimmt zehn Jah­re älter als wir anderen, denn Lara dürfte so alt sein wie Luzie und ich. Hans zeigt mir gerade Fotos von seinen Legobauten, sagt Lara grinsend. Jetzt zeigt er sie auch Luzie und mir. Ganz begeistert ist er von seinen Werken, und das kann er auch durchaus sein, wenn man mal davon absieht, dass er mindestens Mitte Drei­ßig ist und immer noch mit Lego spielt. Wobei man das wahrscheinlich nicht Spielen nennt, wenn jemand meterhohe Hausfassaden baut, die wie Kaufhäuser aussehen. Lara schlägt vor, dass wir uns an den Tisch setzen. Sie fragt unsere Getränkewünsche ab, und ich ziehe ein paar Biere aus meinem Rucksack. Luzie will sich eins davon nehmen, als Lara sagt, sie hat auch noch Pastis da. Au ja! sagt Luzie, wie in alten Zeiten. Wir kennen uns nämlich von einer Fahrt mit so 'nem Freidenkerverein nach Südfrankreich, sagt Lara, wollt ihr auch einen? Ach nö, sage ich und heble ein Bier mit einer zweiten Flasche auf. Hans sagt, er bleibt lieber beim Wein.
Als Lara aus der Küche zurückkommt, tauschen sie und Luzie ein paar gemeinsame Er­innerungen aus. Die Freidenkervereinsfahrt soll total toll gewesen sein. Nur organisiert war kaum was, sagt Luzie. Freidenker eben, sage ich; niemand lacht. Im Verlauf der nächsten, etwas zähen Stunde, in der Hans ausführlich von seiner Legoleidenschaft berichtet und davon, dass seine kleine Tochter, wenn sie ins Legoalter kommt, eigene Steine kriegen müsse, treffen zwei weitere Männer im Alter von Hans ein. Einer von ihnen, ein Glatzkopf, beendet schließlich das immer noch im Raum stehende Legothema mit der Frage, ob Legoland nicht längst verkauft sei. Das eine hat zwar nichts mit dem anderen zu tun, sorgt aber dafür, dass Hans keine weiteren Details aus seinem Leben verraten mag. Der zweite neue Gast findet es interessant, dass auf dem Tisch eine Großpackung Gummitiere steht, mit seiner dünnen hohen Stimme klingen seine Bemerkungen sehr ironisch, aber das sollen sie wohl auch sein. Wir reden über alles mögliche, übers so genannte Unterschichtenfernsehen sowie natürlich über die Wahlen und dass das ja alles eher schrecklich sei. Man müsste, sagt der Typ mit der hohen Stimme, irgendwas tun. Irgendwas, das die politische Lage mehr aufwirbelt, als die Linkspartei das jemals könne. Vielleicht meint er auch das ironisch, doch Luzie steigt darauf ein. Du meinst, jemanden erschießen? fragt sie, und wir sehen sie erschrocken an, wobei die anderen kaum so erschrocken sein können wie ich. Mir bleibt fast das grüne Krokodil, auf dem ich gerade kaue, im Hals stecken. Wie kommt sie denn auf so was? Ich muss husten, und sie grinst mich an, haut mir auf den Oberschenkel: Hey, war doch nur 'n Scherz. Klar, sage ich und würge das Gummitier herunter. Schade, denke ich, dass keiner über den Scherz gelacht hat. Und wen würdest du erschießen? fragt der Glatzkopf. Ich weiß nicht, irgend­einen, sagt Luzie, ist ja eigentlich egal, wen. Ich finde auch, sagt Lara, die sind doch alle gleich. Na na, sagt die hohe Stimme, das darfst du aber niemandem von denen verraten. Politischer Mord bringt doch nie was, sagt Hans. Und ob, sagt der Glatzkopf, ohne die Morde an den Kennedys wäre Nixon bestimmt nie rangekommen. Denkst du? fragt die hohe Stimme, aber Vietnam hätten die Amis trotzdem verloren. Und dieser Schwule in Holland, sagt Luzie, der hat ja postum noch die Wahl gewonnen. Ja, sage ich, wenn jemand Schröder erschießt, wird Merkel nicht Kanzlerin. Luzie guckt mich an und verzieht die Mundwinkel, dann zwinkert sie mir zu. Ich hab' ihm nämlich gesagt, erklärt sie den anderen, dass ich CDU wählen werde. Oh, Konflik­te! sagt die hohe Stimme. Keineswegs, sage ich, und erst da wird mir klar, dass uns die anderen bestimmt für ein Pärchen halten. Ob Luzie das auch bemerkt hat? Was sie wohl davon hält? Eine Freidenkerin wählt die CDU, stellt der Glatzkopf fest. Das ist doch das Gute an den Freidenkern, sagt die hohe Stimme, mal hü, mal hott. Wäre ich wirklich eine Freidenkerin, sagt Luzie belustigt, wäre ich jetzt sicherlich beleidigt. Und du? fragt mich Lara plötzlich. Alle gucken mich an. Ich bin mir nicht sicher, worauf sich die Frage bezieht. Ich? frage ich daher und sage dann: Ich werde Angela Merkel erschießen. Alle lachen. Luzie sagt: Lustig! Ich lache auch. Wahrscheinlich ist das der beste Witz des Abends.

Später,
auf dem Bahnsteig, guckt mich Luzie fröhlich an. War 'ne seltsame Party, was? sagt sie. Ich sage: Mal was anderes. Die waren ganz schön schräg drauf, sagt sie, aber klasse, dass du mitgekommen bist. Ja, sage ich und weiß, die Antwort passt nicht ganz. Wir sehen uns an, als fiele uns der Abschied schwer, dann rattert ihre U-Bahn heran, und eine kurze Umarmung mit flüchtigen Wangenküssen muss ausreichen. Ich sehe Luzie dabei zu, wie sie den Waggon betritt und sich setzt. Als der Zug anfährt, schaut sie auf, zwinkert mir zu und hebt die Hand zum Gruß. Auf der großen Uhr ist es noch nicht einmal eins.
Als ich wieder zu Hause bin, erschrecke ich. Die Tür springt nach einer halben Schlüsselumdrehung auf, wo ich doch immer doppelt abschließe. In der Küche steht eine umgedrehte Milchtüte in der Spüle. Ich bin das nicht ge­wesen, jemand muß hier gewesen sein! Werde ich jetzt auch paranoid? Sind sie nicht nur schon Lean­der oder Rieke, sondern auch mir auf der Spur? Ich lösche das Licht und lausche in das Nichts der Nacht. Es klingt wie immer, bilde ich mir jedenfalls ein, der Kühlschrank sirrt, die Uhr hackt dazu den Takt ins Dunkel. Wenn sie hier waren, werden sie dann ihre Wanzen hinterlassen haben und wieder verschwunden sein? Aber warum das mit der Milchtüte? Soll das eine Warnung sein? Ich schleiche ins Zimmer. Unsicher umherblickend versuche ich die schattigen Schemen zu lokalisieren. Sieht alles aus wie immer. Und trotzdem könnte dort in der Ecke jemand stehen und darauf warten, mich niederzuschlagen, wenn ich mich umdrehe oder ins Bett lege. Mein Herz pocht. Wenn jemand da ist, ist er eindeutig im Vorteil: Er ist auf mich vorbereitet. Um Chancengleichheit herzustellen, drücke ich auf den Lichtschalter, vielleicht doch keine so gute Idee, weil mich das Licht einen Augenblick lang blendet, aber niemand greift mich an. Jetzt jedoch sehe ich den Eindringling in meinem Bett liegen. Ich atme auf und ärgere mich zugleich über mich selbst: Es ist Rieke, wer sonst? Ich hätte es mir denken können, sie schließt nie meine Tür ab, wenn sie hier ist.

Samstagmorgen.
Langsames Wachwerden. Ich kuschle mich an Riekes warmweichen Körper. Allmählich verdrängt die Erinnerung den Schlaf mit seinen vagen Traumbildern aus meinen Hirnschlaufen: mein Erschrecken wegen der nicht abgeschlossenen Tür, die Milchtüte, die gar nicht Fremde in meinem Bett. Rieke regt sich träge. Ich denke an Luzie und bin mehr als unsicher. Was soll ich denn sagen, wenn Rieke fragt, und sie muss mich einfach fragen, wo ich gewesen bin. Könnte ich es ihr sagen, du, ich war gestern mit Luzie auf einer Party, eigentlich war es gar keine richtige Party, außerdem wusste ich nicht einmal, wer Luzie ist, es war eher eine zufällige Begegnung, die gar nichts bedeutet hat, Luzie ist doch bloß die Kommilitonin von Steff. Wenn ich so mit Rieke sprechen könnte, dann wäre das wirklich kein Problem. Schließlich ist ja auch nichts zwischen Luzie und mir, höchstens die Neugier, das Überraschende des Nichtwissens, während Rieke und ich mehr als nur das Bett teilen, nein, wir haben nicht bloß guten Sex, sondern wir haben einen Plan; einen Plan und die Knarre von Andreas Baader. Rieke murmelt in meine Gedanken hinein, windet und wendet sich mir zu, streichelt mir die Schuldgefühle von der Haut und grinst, als sie meine Bereitschaft zur vorsorglichen Wiedergutmachung ertastet. Das ist praktisch, ich nehme das als Versöhnungssex unter Auslassung des Streits, zumindest versuche ich das, doch als ich nach dem Wechsel, noch im Schwung der spontanen Lust, mit munteren Klapsen auf Riekes Hintern die Geschwindigkeit erhöhe, lenkt mich plötzlich die Frage ab, wo sie eigentlich gestern abend war, bevor sie in meine Wohnung gekommen ist. Derweil keucht Riekes im Laken vergrabener Mund, und ich bemühe mich, nicht nachzulassen. Rieke stöhnt auf, und ich ahne, warum auch sie mich nicht fragt, was ich gemacht habe, und lieber mit mir schläft, weshalb ich nur noch doller zustoße, so dass mein Schwanz vom Rückstoß aus ihr herausflutscht, Wiedereinführung zwecklos, er hat seine Härte verloren; auf dieser Ladung Samen bleibe ich sitzen, wie auch auf meiner Ungewissheit. Ich küsse Riekes Hintern, und sie kriecht zu mir, schmiegt sich an mich. So viel Anstrengung am frühen Morgen, haucht sie, küsst mich und lächelt. Hast du Lust, ein paar Tage wegzufahren? fragt sie und schlägt, ohne meine Erwiderung abzuwarten, das Haus ihrer Großeltern in der Lausitz vor. Toll, sage ich, ja, ich habe keine Verabredungen nächste Woche, außer natürlich mit dir! Rieke antwortet mit einem Lächeln. Ich bin begeistert von diesem Vorschlag, eine kurze Reise müsste Abstand schaffen. Abstand zu Luzie, die ich besser vergessen sollte, und Abstand vielleicht sogar zu dieser Waffensache; wir sind nun mal keine Terroristen. Dann haben wir endlich mal Zeit für uns, flüstere ich Rieke ins Ohr. Ja, flüstert sie zurück, und wir können ungestört schießen üben.

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags aus: Thilo Bock: Die geladene Knarre von Andreas Baader. Kiepenheuer und Witsch, Köln 2009. 473 Seiten, 9,95 Euro. Der Roman ist soeben erschienen.

Thilo Bock liest aus »Die geladene Knarre von Andreas Baader«. Am Donnerstag, 19. März, 20:30 Uhr, im Ori, Friedelstraße 8. Berlin-Neukölln, U-Bahnhof Hermannplatz.