Interview mit Marta José Rosado über die katholische Kirche und Abtreibungen in Brasilien

»Das Recht auf Selbstbestimmung ist katholische Tradition«

Die Organisation Católicas pelo direito de de­­cidir (Katholiken für Entscheidungsfreiheit) tritt ausdrücklich für die reproduktiven Rechte von Frauen ein. Sie wurde 1993 gegründet und besteht heute in vielen Ländern Südamerikas. Marta José Rosadoleitet die Organisation in Brasilien.

Ihre Organisation fordert, dass Frauen selbst ent­scheiden sollen, wann sie ein Kind möchten. Wie passt das zusammen – katholisch sein und das Recht auf Abtreibung verteidigen?

Wir verstehen uns als katholisch und feministisch. In der katholischen Tradition steht auch das Recht auf individuelle Selbstbestimmung, für Män­ner und für Frauen. Für Frauen ist es wichtig, selbst zu entscheiden, wann und mit wem sie Kinder bekommen möchten und ob sie überhaupt welche wollen.

Die katholische Kirche denkt darüber ein bisschen anders.

Sicherlich vertreten große Teile der Kirchenoberen eine andere Auffassung. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Katholikinnen und Katholiken weltweit anders handeln und den­ken. Nehmen Sie Lateinamerika als Beispiel: Die meisten Frauen hier sind katholisch und erwarten, dass ihre Partner Kondome benutzen, was sie eigentlich nach Willen des Papstes nicht tun sollten. Das gleiche gilt für Abtreibungen. Fast alle Lateinamerikanerinnen, die abtreiben, sind Katholikinnen.

Nach brasilianischem Recht ist eine Abtreibung bei Risikoschwangerschaften und nach Vergewaltigungen erlaubt.

Aber das reicht uns nicht. Die brasilianische Frau­en­bewegung, von der wir ein Teil sind, fordert ein uneingeschränktes Recht auf Abtreibung, die in öffentlichen Krankenhäusern durchgeführt werden muss. Der Staat muss Abtreibungen nicht nur legalisieren, sondern auch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Frauen sicher und kos­tenfrei abtreiben können, wenn sie sich dazu, aus welchen Gründen auch immer, entschlossen haben. Wir fordern auch, dass für Abtreibungen privaten Krankenhäusern staatliche Unterstüt­zung gewährt wird, also Frauen dort nicht zur Kasse gebeten werden.

Weiß man, wie viele Brasilianerinnen jährlich illegal abtreiben?

Nein, darüber gibt es keine Statistik. Sicher ist nur soviel: Die meisten Frauen, die unter unsicheren und unhygienischen Bedingungen abtreiben, sind sehr arm und viele überleben es nicht. Man schätzt, dass es jährlich etwa eine Millionen Abtreibungen gibt, legal und illegal. Aber wenn die Frauen im Anschluss an eine illegale Abtreibung oder einen Abtreibungsversuch ins Krankenhaus müssen, erzählen sie oft nichts von dem Eingriff. Denn sie haben ja eine Straftat begangen.

Im Falle des neunjährigen Mädchens in Pernam­buco, das abgetrieben hat (Jungle World, 11/09), war die Reaktion der Kirche, die Ärzte und die Mutter des Mädchens zu exkommunizieren. Zeigt das nicht, wie mächtig konservative Kleriker in Brasilien noch sind?

Ich denke, dass der Fall sehr widersprüchlich ist. Er zeigte auch, wie uneinig sich konservative und fortschrittliche Kräfte innerhalb der katholischen Kirche in Brasilien sind. Auch von Seiten des Vatikans wurde das Handeln des Erzbischofs kritisiert oder zumindest abgeschwächt. So schnell wird keiner exkommuniziert, hieß es da. Der starke Protest der brasilianischen Bevölkerung und des Präsidenten Lula hat zumindest eins deutlich gemacht: Die konservativen Kleriker haben nicht mehr das letzte Wort.