Die Konferenz »On the Idea of Communism« in London

Eine zeitlose Idee

Als »hottest ticket in town« betitelte der Guardian die Konferenz »On the Idea of Communism«, zu der Slavoj Žižek die Elite linksintellektueller Theoretiker nach London einlud.

Auch der dritte Tagungsort – wegen des starken Interesses wurde die Veranstaltung zweimal verlegt – war innerhalb kürzester Zeit ausgebucht, so dass sich schließlich mehr als 700 Teilnehmende einfanden, um drei Tage lang folgende Hypothese zu prüfen: »Communism ist the only political idea worthy of a philosopher.« Die »kommunistische Hypothese« sei die einzige, die zu erwägen sich lohnt. Wenngleich es gegenwärtig die vordringlichere Aufgabe sei, ihre Existenz, entgegen allen anderslautenden Behauptungen, überhaupt zu verteidigen, gelte es prinzipiell, die »zeitlosen Invarianten« dieser Hypothese in einer neuen historischen Gestalt zu verkörpern.
Weder könne dabei zum Paradigma der Staatspartei zurückgekehrt werden, durch welches das 20. Jahrhundert gekennzeichnet war, noch sei auf eine inhärente Sprengkraft der Wert­vergesellschaftung und das Weben der Multitude innerhalb dieser selbst zu vertrauen, was recht eigentlich der Traum des 19. Jahrhunderts gewesen ist. (Alain Badiou)
Gleich zu Beginn der Konferenz, am Freitag, dem 13., skandierte Slavoj Žižek in den Saal hi­nein, dass die Zeiten, in denen eine Identifikation als Kommunist mit einem »besonderen moralischen Stigma« belegt war, vorbei seien. Gerade um das »dunkle Desaster« zu verstehen, das sich unter dieser Bezeichnung vollzogen hat, sei es nötig, sich nicht von der Idee abbringen zu lassen, die sich zuvor einmal unter ihr organisierte. Es geht also nicht so sehr um das Wort selbst. Eher noch sei es, wie einige Sprecher betonten, sogar unumgänglich, eine Vielzahl »neuer Namen« für die mannigfaltig situierte emanzipatorische Subjektivität zu erfinden. (Alessan­dro Russo, Judith Balso)
Im Hintergrund des Symposiums, das zahlreiche Größen linker Theorieproduktion (Badiou, Balso, Bruno Bosteels, Terry Eagleton, Peter Hall­ward, Michael Hardt, Toni Negri, Jacques Rancière, Alberto Toscano, Gianni Vattimo, Slavoj Žižek) in einem Raum versammelte und auf dem man von vornherein erklärte, sich nicht mit kleinteiligen praktisch-politischen Fragen beschäftigen zu wollen (Žižek), steht der Versuch einer radikalen philosophischen Neubegründung emanzipatorischer Politik, die all jene Strömungen auf ihre Plätze verweist, welche in der Heterogenität der Sprachspiele oder dem endlosen Spiel der Bedeutungen und kulturellen Differenzen die letzte Widerlegung jeder Universalität auszumachen meinten. Am vollständigsten betreibt dieses Unternehmen gegenwärtig Alain Badiou, der, wie Žižek witzelte, der eigentliche »Vater hinter der Konferenz« gewesen sei, auch wenn es sich schließlich als notwendig erweisen sollte, diesen Vater »zu ermorden«.
Badiou hält den vom Geist des Kapitalismus durchquerten und kommunitär angeordneten Differenzen eine »universale Singularität« entgegen, eine Verbindung von Singularität und Wahrheit, bei der die erstgenannte als Garant der Letztgenannten fungiert. Erst wo ich mich überall mit der Realität berühre, ist keine weitere Vermittlung nötig. Damit diese Realität jedoch überhaupt erst mehr ist als das schlechte Ganze und eine Situierung in ihr nicht einfach die perfekte Unterwerfung, müsse jene – so ein Erbteil des jungen Mao – durch ein Ereignis von verallgemeinerbarer Gültigkeit ergänzt und in Unordnung gebracht werden. Das Bekenntnis zu einem solchen Ereignis könne dann das Subjekt einer »Wahrheitsprozedur« inaugurieren.
Wir finden hier eine mathematische Beschwörungsphilosophie, einen Kraftschlag des Denkens, das insofern ein »schwaches« (Vattimo) bleibt, als es die eigene Selbstbegrenzung zur Bedingung seiner Unendlichkeit macht, das sich also anschickt, vom Punkt seines Unnennbaren aus, die Diskurse neu zu ordnen. Es gehe mithin darum, die großen philosophischen Begriffe von Wahrheit und Gerechtigkeit, von Universalität, Politik und Subjekt zu reklamieren; selbst das Martyrium erhält einen positiven Sinn, das Zittern des Aufstands, das »messianische Beben im Körper« (Katja Diefenbach), denn frei wäre einzig, wer nicht in den schlechten Lauf der Dinge billig sich fügt. Erhabenheit ist Schönheit als solche und also Autonomie unter ungerechten Bedingungen.
Die Verquickung von Beschreibung und Kritik ist der materialistischen Methode von jeher wesentlich. Damit jedoch daraus, dass eine Tür geschlossen ist, folgt, dass sie zu öffnen sei, bedurfte es schon immer heimlich eines Weiteren. Es sei nun also daran – so ist in letzter Zeit nicht nur von Badiou zu hören –, einen »Fixpunkt« für das Denken zu konstruieren.
Erst von dort aus wäre es möglich, der machtpolitischen Instrumentalisierung der Begriffe, welcher der unbestimmt dekonstruktive Reflex sie seit langem überlassen hat, etwas entgegenzusetzen. Wer die Begriffe nur einem polemischen Gebrauch nach kennt (der ihrer partikularen Vereinnahmung zweifellos angemessen ist), hat nichts, worauf er oder sie sich stützen könnte, und macht sich so zum wenngleich schmollend, so doch unbedrohlich alternativlos folgenden Dackelhund der Herrschaft. Der bloß kritische Reflex ist als solcher, als Reflex, letztlich unkritisch, eine hohle Geste, die nicht mehr zu differenzieren braucht oder zu prüfen, was hinter den Worten jeweils verstanden werden will, weil sie ohnehin im stets gleichen Jargon abschnurrt. Die abgeschnittene Kritik soll wieder verstehen, worauf sie rückwärts einmal zielte, Negation der Negation, Kommunismus.
Der Augenblick scheint günstig, wie günstig, das war zu Beginn der Planungen zu dieser Konferenz, im Juni vorigen Jahres, noch nicht ab­zusehen. Meinte die publizierte Meinung, mit dem Zusammenbruch der doch längst toten Staatskommunismen das Zeitalter der Erfüllung und das Ende der Geschichte einläuten zu können, strauchelt jetzt, wer sich als Sieger wähnte. Von allen Seiten wird die Orientierungslosigkeit bedient. Sei’s Barack Obama, der, inszeniert als eine Art zweite Wiederkunft, die Nation auf den Dienst an der Sache des American way einschwört, sei’s Herfried Münkler, der den Deutschen »ihre Mythen« anträgt, sei’s Chantal Mouffe, die den Kulturkampf von links befeuert. Staat und Religion, Kulturalismus von rechts wie von links, man regrediert sich gesund.
Die Frage die von den Herrschenden derzeit beantwortet wird, noch bevor sie gestellt wurde, ist, in welcher Richtung Sein und Sollen eigentlich auseinander liegen. In diesen dünnen Spalt gilt es den Fuß zu setzen, während die ideologische Erneuerung noch schwankt.
Eine offensichtliche Schwierigkeit ist folgende: In dem Moment, da die Evaluation der historischen »Kommunismen« in eine neue Runde gehen kann (jenseits des dummen Ressentiments der Neuen Philosophie, die sich auf den spärlichen wie falschen Satz zusammenfassen lässt, dass alle Emanzipationsversuche unweigerlich im Totalitarismus enden müssten), muss zugleich eine Zeitstruktur, die Struktur des Projekts, zurückgewonnen wie auch die strikte Zweck-Mittel-Trennung, das heißt ebenso eine Zeitstruktur, kritisiert werden.
Im Nachhinein der Konferenz davor gewarnt, eben diese Zweck-Mittel-Trennung zu überdehnen, ist Žižek sich jedenfalls sicher, dass Mittel und Zwecke im »revolutionären Terror« alles andere als getrennt, nämlich identisch sind. Das klingt schon eher nach der selbstzweckhaften »Furie des Verschwindens« bankrotter Revolutionen, auch wenn er meinen mag, so die synthetische zur messianischen Jetztzeit gestaucht und die doppelte Charakterisierung des Kommunismus, als eines Zukünftigen der Geschichte sowie als negative »wirkliche Bewegung‹«, in ihrer wesentlichen Identität zur Deckung gebracht zu haben.
Wie genau aber ist der Punkt zu bestimmen, an dem die legitime Intoleranz gegenüber bestehender Ungerechtigkeit, welche hier gemeint sein soll, selbst in diese übergeht? Das eine vom anderen, eine »Wahrheitsprozedur« von deren Aufhören zu unterscheiden, bleibt ihren Subjekten anheim gestellt. Auch Badiou, der in diesem Sinne ebenfalls einen gefährlich positiven Gebrauch des Wortes »Terror« macht, hält nicht viel auf die bloße Existenz des »menschlichen Tiers«. Zusammen mit Žižek wettert er gegen die »Ideologie der Menschenrechte«, und es besteht hier die deutliche Gefahr, dass mit der Figur des »Anderen« auch ihr, gegen Lévinas, zu bewahrender Gehalt, das Recht des Schwächeren, abgeschrieben wird, wie es in der auf Herrschaftslosigkeit zielenden »demokratischen Arche« Rancières aufgehoben ist. Während jedoch Žižek in der Lage ist, zugunsten des abwesenden »Dritten« von der unmittelbaren Gegenwart des Anderen zu abstrahieren, droht Rancière – auch dies sei gesagt –, die kommunistische Idee überhaupt abhanden zu kommen.
Im dritten Buch der »Gesetze« lässt Platon den Athener einen Wunsch aussprechen, der allen Menschen gemeinsam sei. In formaler Gedrängtheit enthält diese unbestimmte Gleichheit eine Figur der Gerechtigkeit. Es ist der Wunsch, dass, was das menschliche Tun anbelangt, alles, »was geschieht, gemäß dem Befehl der eigenen Seele geschieht«. Die scheinbare Naturwüchsigkeit der gesellschaftlichen Prozesse wäre also aufgehoben. Auf diesen Punkt, aus der je eigenen Situation, bezogen zu sein, reichte hin, die heterogenen und zeitweise sich widerstreitenden Wahrheitsprozesse zu verbinden. Dann wäre es auch nicht nötig, wie Žižek dies anregte, gemeinsam die Internationale zu singen. Der Direktor des einladenden Birkbeck Institute for the Humanities, Costas Douzinaz, brach an dieser Stelle die Veranstaltung aber glücklicherweise ab.

Geändert: 3. April 2009