Proteste gegen den G 20-Gipfel in London

London Calling for a New Deal

Während der britische Premierminister Brown sich vom G 20-Gipfel größere Popularität erhofft, bereitet eine große Protestbewegung Demonstrationen und Aktionen vor.

Bob Broadhurst ist besorgt. Während des Gipfels der G 20 am 2. April wird er die Polizei kommandieren, und bei den Protesten erwartet er »einige sehr innovative und kluge Leute, die unsere Taktiken kennen«. Britische Gewerkschaften, NGO, Globalisierungskritiker und Klimaschützer bereiten umfangreiche Proteste vor. Während reformistische Gruppen Forderungen an die Staatschefs stellen, geht es den radikalen Protestierenden um die Delegitimierung der Institution, die den globalen Kapitalismus retten soll. Broadhurst befürchtet, dass linke Demonstranten versuchen werden, »the City«, das Finanzzentrum Londons, zu blockieren.
Zum Gipfel lädt der britische Premierminister Gordon Brown ein. Während manche schon von einer Neuorganisation der Weltinnenpolitik reden, geht es Brown nicht zuletzt um die Rettung seiner eigenen Regierung. Großbritannien wird von der ökonomischen Krise besonders hart getroffen, die Umfragewerte der regierenden Labour-Partei sind stark gesunken.
»Einen globalen New Deal« wolle man in London verabschieden, kündigte Brown an. Die G 20 war als Konferenz der Finanzminister und Notenbankchefs der wirtschaftsstärksten Länder nach der Asien-Krise im Jahr 1999 gegründet worden. In diesem Gremium sind die so genannten Schwellenländer wie China, Indien und ­Brasilien vertreten, rund 80 Prozent des globalen Brutto­nationaleinkommens entfallen auf diese Staa­ten. In den folgenden Jahren blieben die Mitglieder der G 8 lieber unter sich, die Finanzkrise machte es jedoch notwendig, die Schwel­lenländer wieder zu integrieren. Mitte November trafen sich die Staatschefs der G 20 in Washington zum ersten Mal, gaben jedoch nur vage Absichtserklärungen von sich.

Das müsse diesmal anders werden, meint Brown, andernfalls drohe der Rückfall in eine nationalstaatliche Wirtschafts- und Finanzpolitik. Der Internationale Währungsfonds (IWF) bestätigte in der vergangenen Woche, dass immer mehr protektionistische Maßnahmen getroffen werden, entgegen der Absichtserklärung der G 20 vom November.
Der Protektionismus hat vor allem für die Schwel­lenländer nachteilige Auswirkungen. Sie setzen ihre Rohstoffe, Agrar- und Industrieprodukte vor allem in den reichen Ländern ab. Die Nachfrage ist gesunken, nun drohen Importbeschränkungen, und auch die Möglichkeiten zur Arbeitsmigration werden weiter eingeschränkt. Viele Schwellenländer haben nicht die Kapazitäten, um durch die Erhöhung der Staatsverschuldung die Binnennachfrage anzuregen, so wie das derzeit die Industrienationen tun. Der häufig einzige potenzielle Kreditgeber ist der IWF. Ob sein Etat aufgestockt wird, wird ein wichtiger Gegenstand der Diskussion in London sein.
Gefordert wird auch eine Reform des IWF, dessen wirtschaftsliberale »Strukturanpassungsmaßnahmen« umstandslos allen Kreditnehmern aufgezwungen werden. Die Schwellenländer fordern nun mehr Mitsprache im IWF, der von den etablierten Industriestaaten dominiert wird. Derzeit haben die so genannten Bric-Länder (Brasilien, Russland, Indien und China) zusammen im IWF nur halb so viele Stimmen wie die USA.

Auch unter den westlichen Staaten gibt es Mei­nungs­verschiedenheiten. Während Brown und US-Präsident Barack Obama weitere koordinierte Finanzhilfen fordern, wollen Deutschland und Frankreich erst einmal abwarten, wie die bisher verabschiedeten Programme wirken. Beim Vorbereitungsgipfel der EU für das G 20-Treffen vorige Woche in Brüssel drängten die Europäer auf eine Ausweitung der suprastaatlichen Kontrolle des internationalen Finanzwesens. In dieser Frage wiederum ist Obama eher zurückhaltend.
In diesen Konflikten versucht sich Gordon Brown als Vermittler zu profilieren, auch um von seinen wachsenden innenpolitischen Problemen abzulenken. Die Arbeitslosigkeit in Großbritannien wächst immens. Anders als Obama trägt Brown selbst politische Verantwortung für die Krise. Kürzlich entschuldigte er sich bei den Briten und bedauerte, als Finanz- und Premierminister nicht früher eine stärkere Regulierung der Finanzmärk­te betrieben zu haben. Ob das reicht, um den wachsenden Unmut zu besänftigen, ist fraglich. Bislang hat es kleinere Streiks und Aktionen, aber noch keine umfangreichen Proteste gegen Browns Wirtschaftspolitik gegeben. Doch dies könnte sich bereits beim G 20-Gipfel ändern.

Gewerkschaften und NGO haben sich in der Koalition »Put People First« zusammengetan und rufen zu einer Großdemonstration in London vor dem Gipfel auf. Unter den Schlagworten »Jobs, Justice, Climate« wollen sie gegen Arbeitslosigkeit, für globale Gerechtigkeit und Klimaschutz demonstrieren. In einer Erklärung heißt es: »Es kann kein Zurück zum alten Modell geben, fundamentaler Wandel ist nötig.«
Eine zentrale Forderung der Koalition ist der »Green New Deal«. Die britische Regierung soll das für Konjunkturprogramme ausgegebene Geld in umweltfreundliche Technologien, den öffentlichen Verkehr und erneuerbare Energien investieren sowie britische Häuser besser isolieren. Damit sollen der Klimawandel und die Arbeitslosigkeit bekämpft werden. Überdies fordert das Bündnis im Einklang mit vielen Globalisierungskritikern eine demokratische Kontrolle über das internationale Finanzsystem sowie umfangreiche Hilfe für Entwicklungsländer. »Put People First« ist eines der größten Protestbündnisse der britischen Geschichte und vertritt nach eigenen Angaben mehrere Millionen Mitglieder. In London werden am Samstag über 100 000 Demonstranten erwartet.
Zuletzt hatte es ein so viele Gruppen umfassen­des Bündnis in Großbritannien in der Kampagne »Make Poverty History« (MPH) im Jahr 2005 gegeben. Damals forderten Hunderttausende Demonstranten von der G 8 die Bekämpfung der glo­balen Armut. Nicht wenige hatten allerdings MPH damals kritisiert. Mit dem Appell an die G 8, die Probleme zu lösen, habe man diese undemokratische Institution gestärkt und sich zudem von der britischen Regierung instrumentalisieren lassen. Eine radikale Kritik der G 8 wurde dagegen marginalisiert.
Vor den Protesten gegen den G 20-Gipfel zeichnet sich eine ähnliche Spaltung ab. Während »Put People First« an die britische Regierung und die G 20 appelliert, haben Anarchisten und Klimaschützer zu Aktionen während des Gipfels auf­gerufen. Sie wollen die um die Rettung des Kapitalismus bemühte Politik grundsätzlich in Frage stellen. Bereits in der Nacht zum 1. April wollen Klimaschützer im Finanzdistrikt von London cam­pen. An diesem und dem folgenden Tag sind umfangreiche weitere Aktionen in der Innenstadt und nahe dem Konferenzzentrum geplant. Das Motto ist: »We are your crisis«.