Philipp Möller im Gespräch über seine atheistische Buskampagne

»Das ist doch Doppelmoral«

Philipp Möller ist Pressesprecher der so genannten »Buskampagne«, die atheistische Slogans auf Busse drucken lassen möchte, um ein Gegengewicht gegen religiöse Werbung zu schaffen. Die deutschen Verkehrsbetriebe stehen der Kampagne bisher eher ablehnend gegenüber.

Die deutsche Buskampagne ist inspiriert von der atheistischen Buskampagne in England. Die wiederum war eine Reaktion auf religiöse Werbung auf Bussen. Fühlen Sie sich durch die Werbung von Religionsgemeinschaften provoziert?

Provoziert würde ich nicht sagen. Ich sehe diese Werbung und nehme sie wahr. Ich ärgere mich aber beispielsweise schon darüber, wenn in religiöser Werbung behauptet wird, es gäbe ohne Gott keine Werte. Dementsprechend wollen wir ein Gegengewicht setzen. An der Allgegenwart der Religion kann man sich schon stören – und in manchen Gegenden in Deutschland ist Reli­gion schon sehr präsent. Ich habe eine Zeit lang in Ingolstadt gelebt, da bekommt man ständig irgendwelche Jesus-Flyer in die Hand gedrückt, irgendwann nervt das.

Was erhoffen Sie sich von der Kampagne?

In erster Linie wollen wir eine Diskussion dar­über entfachen, ob die Aussage »Werte brauchen Gott« eigentlich stimmt. Wir wollen klarstellen, dass man auch ohne den Glauben an eine übernatürliche Kraft ein erfülltes Leben führen kann und sich auch ethisch oder moralisch vertretbar seinen Mitmenschen gegenüber verhalten kann. Und in zweiter Linie wollen wir den Leuten, die schon so denken wie wir – die also konfessionslos sind, Atheisten, Agnostiker oder Skeptiker sind –, zeigen, dass sie nicht allein sind und dass auch sie eine öffentliche Stimme haben.

Bekommt aber nicht auch der Atheismus eine religiöse Note, wenn er sich ans Missionieren macht?

Wir haben diesen Missionierungsvorwurf jetzt schon häufiger gehört. Wir richten uns aber nicht an Christen, um diese zu missionieren. Wir wollen den Nicht-Religiösen eine Stimme geben, aber niemanden von seinem Glauben abbringen.
Natürlich kann man immer auch Säkularen vorwerfen, ihr Wissen sei letztlich auch nur Glaube. Im Unterschied zu religiösen Aussagen sind wissenschaftliche Aussagen aber falsifizierbar, kritisierbar und veränderbar. Bei Gottes Wort ist das nicht der Fall.

Die Aufklärung hat Religion zur Privatsache gemacht. Warum ist das heute in Gefahr?

Was heißt in Gefahr? Religion ist in Deutschland keine Privatsache. Wir haben staatlich finanzierten Religionsunterricht, staatlich finanzierte Theologie-Fakultäten, eine Kanzlerin, die aus einer christlichen Partei stammt, und die Kirchen bekommen weit mehr Geld vom Staat als bloß die Kirchensteuern. Religion ist in Deutschland keine Privatsache.

Auf internationaler Ebene – etwa im Rahmen der Uno – gibt es Bestrebungen, die Kritik an Religionen zu unterbinden. Ist Religion nicht weltweit auf dem Vormarsch?

Ich würde sagen: religiöser Fundamentalismus. Darum geht es. Unser Ziel ist es nicht, gegen Religion an sich zu agieren. Wir möchten aber klarstellen, dass Religionsfreiheit eben auch die Freiheit ist, religionsfrei zu sein. Dieser Ansicht möchten wir mehr Gewicht verleihen.

Die Verkehrsgesellschaften wollen zum größeren Teil Ihre Kampagne nicht unterstützen – angeblich mit dem Argument, dass sie generell keine Werbung für Weltanschauungen schalten wollen, um sich aus Konflikten rund um das Thema Religion herauszuhalten. Ist das glaubwürdig?

Der BVG nehmen wir das beispielsweise nicht ab, weil in der Berliner U-Bahn überall religiöse Werbung zu sehen ist – »Jesus rettet dich«, »Lies die Bibel«, »Komm in unseren Bibelkreis« etc. Wir verstehen das Argument, man wolle ab jetzt keine weltanschauliche Werbung mehr, schon als einen Vorwand, um uns abzuspeisen.
Gleichzeitig ist es aber auch ein Etappensieg für uns, wenn die Verkehrsbetriebe jetzt sagen, dass sie religiöse Werbung abschaffen. Aber ich persönlich befürchte, dass diese Entscheidung auch bald wieder in Vergessenheit geraten könnte und dann doch wieder für Religionsgemeinschaften geworben werden darf. Es ist schon recht inkonsequent, jahrelang religiöse Werbung zuzulassen, und wenn dann einmal eine kritische oder pro-atheistische Kampagne kommt, zu sagen, man stelle ab jetzt weltanschauliche Werbung ein. Das ist doch Doppelmoral.

Die BVG argumentiert, dass man in Zukunft keine weltanschaulichen Inhalte mehr auf Verkehrsmitteln wolle, weil man sonst auch etwa Werbung von Scientology schalten müsse...

Das ist ein gutes Argument. Trotzdem finde ich es schon recht heftig, dass eine Weltanschauung, die auf übernatürliche Wesen verzichtet, mit Scientology in einen Topf geworfen wird. Scientology wird immerhin vorgeworfen, verfassungsfeindlich zu sein. Wir dagegen sind bloß rational.

Die Kölner Verkehrsbetriebe wollen zumindest derzeit die Motive der Kampagne nicht auf Busse drucken und begründen dies mit dem Einsturz des Stadtarchivs. Wo besteht denn da der Zusammenhang?

Das liegt einfach daran, dass die Kölner Verkehrsbetriebe jetzt genug negative Publicity haben und nicht noch weitere – in Anführungszeichen – »negative Publicity« haben wollen. Der Sprecher hat mir die Absage auch damit begründet, dass das eine Todesopfer des Einsturzes christlichen, das andere moslemischen Glaubens war. Da möchte man zumindest im Moment nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Auch viele Gläubige finden Ihre Kampagne gut, weil dadurch über Gott geredet wird.

Dass die Kampagne nach hinten losgeht, weil die Diskussion dazu beiträgt, dass sich Menschen ihrer religiösen Wurzeln besinnen, kann ein Neben­effekt sein. Eigentlich richtet sich die Kampagne aber an Menschen, die nicht religiös sind und sehen, dass sie eine Stimme in der Öffentlichkeit haben.

»Es gibt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Gott« heißt euer Slogan. Nick Spencer vom theologischen Think Tank Theos meinte dazu: »Wenn mir ein ­Pilot sagen würde, ›Der Flug nach Paris stürzt wahrscheinlich nicht ab‹, würde ich wohl den Zug nehmen.« Warum jene Einschränkung?

Wir machen diese Einschränkung, um uns nicht auf das argumentativ dünne Eis zu begeben, eine Aussage zu treffen, die man so gar nicht treffen kann. Wir würden uns nicht hinstellen und sagen: Es gibt keinen Gott. Denn Gott stellt einfach kein streitbares Konzept dar, weil man es nicht widerlegen kann. Deshalb finde ich den Spruch unserer Kampagne, »Es gibt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Gott«, gut – mit dieser Einschränkung ist er sozusagen auch wissenschaftlich und juristisch abgesegnet.
Ich nenne mich auch nicht Atheist, weil Atheisten unterstellt wird, dass sie etwas glauben, nämlich dass es keinen Gott gibt. Ich denke, dass die Frage, ob es Gott gibt oder nicht, überhaupt keinen Sinn ergibt. Wir haben aber auch andere Sprüche – »Gottlos glücklich« zum Beispiel, der eben sagt, dass man auch ohne Gott glücklich werden kann, und vor allem den Spruch »Gott ist eine Behauptung«.

Wenn die Werbung nicht auf Bussen erscheinen darf – wo könnte man die Slogans denn sonst platzieren? Mit einem atheistischen Slogan auf dem T-Shirt würde ich nicht durch Berlin-Neukölln laufen wollen.

Das kann ich gut verstehen. Die Idee mit den T-Shirts ist unsere zweite Schiene. Wir lassen zur Zeit rechtlich prüfen, ob unsere Kampagne nicht doch bei den Verkehrsbetrieben genehmigt werden muss, weil dort eben auch religiöse Kampa­gnen laufen, und wir müssen sehen, ob wir nicht doch einen Verkehrsbetrieb in Deutschland finden, der unsere Kampagne zulässt. Wir denken auch über Plakate nach. Wir werden Möglichkeiten finden, unsere Slogans öffentlich sichtbar zu machen, und wir freuen uns, wenn weiterhin für die Kampagne gespendet wird.

Ihr habt die britische Buskampagne nicht im Wortlaut übernommen, weil euch der hedonistische Ansatz nicht reicht. In eurer Kampagne heißt es zum Beispiel: »Aufklärung heißt, Verantwortung zu übernehmen«. Im Gegensatz zu den hedonistischen Slogans der Briten klingt das ziemlich protestantisch.

Ist das so, ja? Wir verstehen uns als säkulare und aufklärerische Werbekampagne, und deswegen haben wir diesen Spruch gewählt. Ich finde das eigentlich überhaupt nicht protestantisch.

Während zum Beispiel 80 Prozent der Mexikaner sicher sind, dass es Gott gibt, sind das in Deutschland nur 22 Prozent. Dafür steht Deutschland in Sachen Glauben an der Spitze, wenn es um diffuse höhere Mächte geht. 33 Prozent der Deutschen glauben an eine »höhere Macht« jenseits personifizierter ­Gottheiten. Ist diese Form von Glauben nicht mindestens genauso gefährlich wie der ­Glaube an einen Gott?

Uns geht es eigentlich darum, für ein Weltbild zu werben, das auf übernatürliche Kräfte verzichten kann, und ich weiß, dass es Länder gibt, in denen das noch nötiger wäre, aber wir möchten vor Ort handeln. Wenn uns in Deutschland in ­Internetforen »Gotteslästerung« vorgeworfen wird, was ich im 21. Jahrhundert wirklich abenteuerlich finde, zeigt das, dass die Kampagne auch hier nicht irrelevant ist. Auch vor dem Hintergrund von Zuständen wie etwa in Neukölln, wo man sich mit einem atheistischen T-Shirt unwohl fühlen könnte, und der vielen Einflüsse, die die Kirchen in unserer Gesellschaft haben, finden wir die Kampagne relevant. Die Ablehnung der Kampagne durch die Verkehrsbetriebe zeigt auch, wie wichtig unsere Kampagne in Deutschland ist.