Krise in der deutschen Mikrochip-Industrie

Lichter aus im Powerhouse

»Silicon Saxony« war der Stolz sächsischer Po­­litiker. Doch die Mikrochip-Industrie des Landes wird von der Wirtschaftskrise schwer getroffen, wie das Beispiel Qimonda zeigt.

Wenn die Nachfrage nach Digitalkameras, Mobiltelefonen, Computern und Autos rapide nachlässt, dann geraten auch die Hersteller von Mikro­prozessoren in Schwierigkeiten. Denn keine der genannten Gerätschaften kommt ohne Mikrochips aus. Zurzeit wären erhebliche Summen nötig, um die Branche einigermaßen glimpflich durch die Krise zu bringen. Das taiwanesische Wirtschafts­ministerium arbeitet daran, die wichtigsten Her­stel­ler des Landes mit einer Großfusion zu retten. Das Ende der Dresdner Niederlassung des Prozessorherstellers AMD wurde gerade noch von den Vereinigten Arabischen Emiraten abgewendet, die nun 55 Prozent der Anteile an der mittlerweile in »Globalfoundries« um­benannten Fabrik halten.

Dem zweiten großen Mikroelektronikhersteller in Dresden, der Firma Qimonda, könnte es hingegen so ergehen wie Hertie, Rosenthal oder Mär­klin. 200 Mitarbeiter von Qimonda stürmten deshalb im März das Dresdner Arbeitsamt, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen, Hunderte gingen für den Erhalt der Fabrik auf die Straße und zogen vor den sächsischen Landtag. »Jeder Arbeitsplatz hat ein Gesicht«, war auf Transparenten der Mitarbeiter während einer Protest­kund­­gebung zu lesen. Ganz stimmt das nicht: Während der Arbeit im so genannten Reinraum, in dem die Mikrochips in einer möglichst staubfreien Umgebung hergestellt werden, bleibt nur ein Schlitz für die Augen, Haar, Gesicht und der übrige Körper verschwinden unter der Arbeitskleidung. Die Produktion der Speicherchips im Werk befindet sich derzeit im »Standby-Modus«, wie es heißt. Für die etwa 3 000 Beschäftigten existiert noch kein endgültiger Sozialplan, etwa 2 200 sollen in einer Transfergesellschaft unterkommen.
Qimonda hatte im Januar beim Amtsgericht München die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt. Qimonda ist eine Tochterfirma der Infineon Technologies AG, die wiederum eine so genannte Ausgründung, also ein Ableger des Siemens-Konzerns ist. Der vom Amtsgericht Mün­chen bestimmte, vorläufige Insolvenzverwalter Michael Jaffé gilt als Fachmann für Pleiten und führt derzeit Gespräche mit möglichen Käufern. Mit dem chinesischen Staatsbetrieb Inspur hat sich nach monatelanger Suche ein liquides Unternehmen gefunden, das vielleicht investiert. Für diesen Fall fordert der sächsische Wirtschafts­minister Thomas Jurk (SPD), Sachsen solle sich eine Sperrminorität von 25,1 Prozent der Firmenanteile sichern. Doch derzeit könne der Staat nicht handeln.
Seit Mitte der neunziger Jahre entstand in der Region Dresden und Freiberg das größte Ballungsgebiet, ein so genannter Cluster, für Mikroelektronik in Europa. Die Treuhandanstalt hatte zu Beginn der neunziger Jahre zwar noch vor, die Produktion an allen ehemaligen Standorten der DDR-Mikroelektronik fortzusetzen, also in Erfurt, Neuhaus, Frankfurt-Oder und Dresden. Doch das Bundeswirtschaftsministerium und die sächsische Staatskanzlei setzten sich maßgeblich für die so genannte Clusterbildung in Dresden ein. »Man braucht da eine kritische Größe, um zu überleben. Man muss klotzen, nicht kleckern«, sagte Werner Gries, in den Neunzigern Abteilungsleiter im Bundeswirtschaftsministerium.

Mit 44 000 Beschäftigten in 1 200 Un­ter­neh­men seien bislang etwa 70 Prozent des Personals der deutschen Halbleiterindustrie in der Region Dresden beschäftigt gewesen, schreibt der Branchenverband »Silicon Saxony« in einer Selbst­darstellung. Unter der Überschrift »Powerhouse Eastern Germany« findet sich auf der Website von »Germany Trade & Invest«, der neuen Werbezen­trale der deutschen Außenwirtschaft, ein Text des Verkehrsministers Wolfgang Tiefensee (SPD) über die Vorzüge des »Standorts Ostdeutschland«, in dem er auch »Silicon Saxony« und die »gebildeten und anpassungsfähigen Arbeitskräfte« lobt.
In Dresden erwiesen sich die Arbeitskräfte bis in den März hinein allerdings als so anpassungsfähig, dass es dem Insolvenzverwalter Jaffé zukam, den Betriebsrat von Qimonda zu größeren Protesten aufzufordern. »Sie müssten sich jetzt endlich mal bewegen«, sagte er der Berliner Zeitung zufolge zu den Vertretern der Beschäftigten. Das verwundert nicht. Auch bei Qimonda, der »Ausgründung der Ausgründung« von Siemens, sitzen im Betriebsrat Vertreter der »Arbeitsgemeinschaft unabhängiger Betriebsangehöriger« (AUB), also einer so genannten gelben Gewerkschaft, die eher die Interessen der Unternehmer vertritt. Nur eine Minderheit der Betriebsräte ist in der IG Metall. In Dresden hatte die AUB nach dem Skandal um den Bundesvorsitzenden Wilhelm Schelsky ihre Liste allerdings in »Wir für euch« umbenannt.
In den Neunzigern hatte man die Mikroelek­tro­nik-Industrie mit großzügigen Subventionen nach Dresden geholt. Ob Subventionen nun Qimon­da zukommen sollen, darüber wird in der Landespo­litik heftig diskutiert. Besser sei es, den Mit­telstand zu fördern, als mit der Finanzierung von »Subventionsnomaden« in ein »Subventionshams­ter­rad« zu geraten, äußerte sich der FDP-Landesvorsitzende Holger Zastrow im März in einer Land­tagsdebatte. »Wir sind kein Subventionsgrab«, war dagegen vor dem Landtag während der Demons­tration der Qimonda-Mitarbeiter auf einem Schild zu lesen. »Seit’ an Seit’« seien einige Landtagsabgeordnete mit den Demonstranten zum Landtag geschritten, sagte Wirtschaftsminister Jurk in seiner Rede. Er glaube an den technologischen »Vor­sprung, der aus der Dresdner Ingenieurskunst hervorgegangen ist«. Das Ende der Produktion dro­he, eine Abwanderung von Hochqualifizierten auszulösen.
In der sächsischen Regierungskoalition von CDU und SPD gibt es in der Frage eines Staatseinstiegs bei Qimonda große Auseinandersetzungen. Der sächsische CDU-Fraktionsvorsitzende Steffen Flath bezeichnete Jurk in einem Interview mit der Freien Presse als »ordnungspolitischen Geisterfahrer«. Jurk habe Qimonda kurz vor dem Antrag der Firma auf ein Insolvenzverfahren noch 150 Millionen Euro zur Verfügung stellen wollen. Das habe Flath verhindert. Den Einstieg Sachsens bei Qimon­da lehnt der Mann von der CDU vollständig ab.

Stattdessen versucht die CDU, Hilfe von der EU zu bekommen. Derzeit helfe nur noch eine »neue europäische Industriepolitik«, äußerte sich Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) in der Landtagsdebatte. Die europäische Halbleiterindustrie müsse in der Konkurrenz mit Amerika und Asien bestehen können. Doch Mittel der EU dürften nicht für eine Unternehmensrettung eingesetzt werden, hatte der EU-Industriekommissar Günther Verheugen bereits im Februar gesagt: »Niemand kann ein Unternehmen retten, das sein Eigentümer nicht retten will.«
Die Linkspartei sehnt sich angesichts der prekären Lage nach der starken Hand der Regierung, selbst wenn sie selbst nicht an dieser beteiligt ist. Es wäre »ein Segen für Sachsen«, sagte André Hahn, der Spitzenkandidat der Linkspartei für die Landtagswahlen im August, wenn Tillich und Jurk für Qimonda »endlich einmal für ein paar Stunden auf allen Ebenen durchregieren würden«.