Obama und die Stammzellenforschung

Cells we can believe in

Die Stammzellenforschung muss staatlich gefördert werden, beschloss US-Präsident Obama. Aus der Forschung soll eine profitable Industrie entstehen, doch die Risiken sind hoch.

Zu den ersten Amtshandlungen eines neuen US-Präsidenten gehört es, eine Entscheidung zu treffen, die symbolisch für seine politischen Ansichten ist, aber auch deutlich macht, welche Wirtschaftszweige ihm besonders am Herzen liegen. George W. Bush kassierte nach seiner Amtsübernahme bestimmte Verfügungen der Regierung Bill Clintons, die Wälder, Küstenstreifen und andere amerikanische Landschaften unter Naturschutz gestellt hatten. Bush wollte damit unter anderem erreichen, dass traditionelle Branchen wie die Holz-, Öl- und Autoindustrie von seiner Meinung nach unnötigen Beschränkungen »befreit« werden, die ihnen aus übertriebener Sorge um die Umwelt auferlegt wurden.
Kurz nach der Amtseinführung von Barack ­Oba­ma wurde der kalifornischen Gentechfirma Ge­ron die Erlaubnis zum ersten offiziellen klinischen Test mit embryonalen Stammzellen an mensch­lichen Patienten erteilt. Ein paar Wochen später lud Obama die führenden Stammzellenforscher der USA nach Washington ein und verkündete medienwirksam, dass die Unterstützung der Forschung auch an embryonalen Stamm­zellen eines der wissenschaftspolitischen Hauptanliegen seiner Regierung sei.
Es gelte, so stellte Obama fest, den amerikanischen Forschungsinstitutionen, seien es staatliche Laboratorien oder private Unternehmen, zu ermöglichen, die Führungsposition auf dem zu­kunfts­trächtigen Markt der Stammzellenforschung zurückzuerlangen. Für Obama wie für viele amerikanische Wissenschaftler steht außer Frage, dass die restriktive Politik der Regierung Bushs ihren Anteil daran hat, dass die USA gegenüber anderen Ländern ins Hintertreffen geraten sind.
Bush hatte im Jahr 2006 das erste Mal während seiner Amtszeit von seinem Vetorecht Gebrauch gemacht und die vom Senat und vom Repräsentantenhaus beschlossene Aufhebung der Beschränkung der Forschung mit embryonalen Stamm­zellen widerrufen. Bushs Einwände, die ne­ben klinischen Versuchen an Menschen vor allem der Zucht neuer Stammzelllinien aus mensch­lichen Embryonen galten, die in Reproduktionskliniken »angefallen« und nicht Müttern implantiert worden waren, betrafen aber nur die Finanzierung von Forschungsvorhaben an staatlichen Instituten. Private Unternehmen konnten in ihren Forschungen sehr viel weiter gehen und taten es in vielen Fällen auch, wie das Beispiel von Geron zeigt. Denn ohne eigene Forschung hätte Geron die aus embryonalen Stammzellen gewon­nenen Ersatzzellen, die nun an freiwilligen Patien­ten mit schweren Rückenmarksleiden in ihrer Heilwirkung getestet werden sollen, natürlich nicht herstellen können.

Obamas Offensive zur Forschungsförderung bezieht sich daher vor allem auf staatliche Laboratorien und auf die großen Kliniken der USA. Für diese Institutionen sollen die von Bush auferlegten Beschränkungen aufgehoben werden.
Es sind nämlich in erster Linie Studien aus staat­lichen Laboratorien außerhalb der USA, die in den vergangenen Jahren die embryonale Stammzellenforschung in die Medien gebracht haben. Augenscheinlich wurde das an einer Ratte, die vo­rige Woche auch hierzulande in den Nachrichtensendungen zu sehen war. Die Ratte saß dabei auf einer Art Podest in einem von einer runden Wand umstellten Raum. Die Kamera nahm das Tier von oben auf, es schnupperte nach Rattenart in den Raum. Dazu wurde mitgeteilt, dass die Ratte vorher blind gewesen sei und jetzt, nach der Behandlung mit embryonalen Stammzellen – nun, was sie konnte, war nicht ganz klar. Dass sie sehen kann, wollte der Kommentar nicht behaupten. Nur das Verhalten der Ratte hatte sich nach der Transplantation von bestimmten Zellen in die Augen verändert, und daraus schlossen die Wissenschaftler, dass sich im Auge der Ratte etwas getan habe. Ob sie sich besser orientieren und was sie jetzt sehen könne, könne man allerdings nicht sagen, lautete der trotzdem positiv ge­stimmte Kommentar.

Die Ratte sollte Ergebnisse der Forschungsgruppe von Benjamin Reubinoff von der Hebrew University in Jerusalem demonstrieren. Reubinoff war es gelungen, aus menschlichen embryonalen Stammzellen »retinale Pigmentepithelzellen« her­zustellen und sie in Rattenaugen zu implantieren. Die Epithelzellen sollen, so die Hoffnung Reubinoffs, helfen, eine bestimmte Form der Altersblindheit bei Menschen, die durch die Degeneration der Netzhaut verursacht wird, wenn nicht zu heilen, so doch zu verlangsamen. Wieso das aber gerade jetzt eine Meldung wert war, erfuhr man genauso wenig wie das einzig verwertbare Ergebnis von Reubinoffs Studie.
Um so etwas zu erfahren, empfiehlt es sich immer noch, in der FAZ nachzuschauen bzw. im Blog Joachim Müller-Jungs, des leitenden Redakteurs für Naturwissenschaften. Müller-Jung gibt unter der Überschrift »Treffpunkt Aachen: Stamm­zellen auf dem Sprung« einen Stimmungsbericht vom »5th International Meeting« des Stammzellen-Netzwerks Nordrhein-Westfalen, das mittlerweile das wichtigste Treffen der europäischen Stamm­zellenforscher geworden ist. Dort hatte Reu­binoff seine Studie vorgestellt. Bemerkenswert deutlich muss der Forscher in Aachen zugegeben haben, dass er keinerlei Angaben darüber machen könne, ob die Ratten nach der Transplantation der Zellen besser sehen könnten als vorher. Aber darum ging es auch gar nicht. Die Sensation, die Reubinoff die Aufmerksamkeit der Gemeinde der embryonalen Stammzellenforscher sicherte, war schlicht die Tatsache, dass die implantierten Zellen in den Rattenaugen keine Wucherungen, so genannte Teratome, ausgebildet hatten.
Die Ausbildung von Teratomen, das unkoordinierte Wachstum aller möglichen Zelltypen mit allen Eigenschaften und Auswirkungen eines ma­lignen Tumors, hatte bis jetzt Abertausende von Versuchstieren das Leben gekostet und Skeptikern wie dem Wiener Molekularpathologen und Krebs­forscher Lukas Kenner die Argumente gegen den therapeutischen Einsatz der embryonalen Stamm­zellenforschung geliefert. Embryonale Stammzellen (ES) sind im frühen Stadium der Entwicklung fähig, alle möglichen Zellen und Organe zu bilden. Sie sind omnipotent und können das auch, wenn man sie ihrer angestammten Umgebung, dem intakten Embryo, entreißt. Nur tun sie es dann unkoordiniert. Deshalb gaben manche Kritiker das Tumorrisiko bei ES-Therapien mit nahezu 100 Prozent an.
So ist es verständlich, dass Reubinoff das Ausbleiben von Wucherungen bei seinen Ratten in Euphorie versetzt. Die Vorbereitungen für erste klinische Studien mit seinen »retinalen Pigment­epithelzellen« an menschlichen Patienten laufen bereits. Die organisiert Reubinoff aber nicht mehr über die Hebrew University, sondern über ein Start-Up Unternehmen, das er mit Kollegen zu eigens diesem Zweck gegründet hat.

Bei dem bereits zu beobachtenden Neugründungs­boom von Firmen, die sich auf die embryo­nale Stammzellentherapie stürzen, sollen die USA nicht fehlen. Staatliche Unterstützung ist dabei aus mehreren Gründen notwendig. Private Unterneh­men schaffen es in der Regel nicht, große Kliniken, an denen die Therapiestudien durchgeführt werden, ohne finanzielle Garantien des Staates zur Kooperation zu bewegen. Was im Fall der ES-Therapie kein Wunder ist. Bisher haben sie noch keinen Menschen von seiner Krankheit geheilt, aber schon Tausende von Tieren das Leben gekostet. Wobei letztgenannte Tatsache merkwürdigerweise gerade von jenen als Argument für die klinischen Versuche an Menschen benutzt wird, die jahrelang Versuchstiere durch Stammzellen mit Tumoren getötet haben. Tiere wie Mäuse und Ratten seien eben keine Menschen und Studien an Tieren deshalb nur bedingt aussagekräftig. Was zwar auch irgendwie stimmt, jedoch nur schwer die Euphorie über Reubinoffs tumorlose Ratten erklären kann.
Die ES-Therapien werden gerade auch durch Obamas Forschungspolitik vermehrt in ihre klinische Phase eintreten. Seine Forschungspolitik sieht nämlich auch finanzielle Unterstützung und Garantien für private Firmen vor, die keine Gewinne oder überhaupt nur ausgeglichene Budgets vorweisen müssen. Das ist der Hauptunterschied zu Bushs Forschungspolitik. Die Firma Geron etwa hatte zu Zeiten Bushs bereits damit gedroht, die ungeheuer teure Forschung mit embryonalen Stammzellen ganz einzustellen. Das muss Geron jetzt dank Obama nicht tun. Es entsteht dadurch eine Aufbruchstimmung in der Szene, die an die Jahre der Euphorie um die Gentherapie zum Ende des vorigen Jahrtausends erinnert. Wer im Stammzellengewerbe mitmischt, glaubt, bei einem bedeutenden Unternehmen dabei zu sein, was man schon an »der Zahl der jungen, attraktiven und extrem motivierten Forscher im Aachener Eurokongress« (Müller-Jung) ablesen konnte.
Da kann eigentlich nichts mehr schiefgehen, könnte man meinen, wenn neben Obama auch noch andere junge Motivationskünstler mitmischen. Und doch, so kann man Müller-Jungs Bericht entnehmen, schwebt über allem die Angst. Die Angst vor dem Gelsinger-Effekt. James Gelsin­ger gehörte zu den ersten Patienten, an denen man 1999 die Gentherapie ausprobierte. Nachdem man ihm mehrere Milliarden Viren gespritzt hatte, starb er innerhalb von vier Tagen an Multiorganversagen. Und Gelsinger ist mitt­lerweile nicht mehr der einzige Proband gentherapeutischer Versuche, der sie nicht überlebte.