Der Zoologe Bernhard Grzimek

Der Erfinder des Tierschutzes

Er war Zoologe, Zoodirektor, Tierforscher, Tierschützer, Tierarzt, Dokumentarfilmer, Buchautor, Fernsehmoderator, Herausgeber einer Enzyklopädie und eine wider­sprüch­liche Persönlichkeit – Bernhard Grzimek. In diesen Tagen wäre er 100 Jahre alt geworden.
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Gerade mal 99 481 Gnus und 57 199 Zebras zählten Bernhard Grzimek und sein Sohn Michael 1958 in der Serengeti. Heute leben über eine Million Gnus und 200 000 Zebras im Nationalpark, einem der größten und bekanntesten der Welt. Als erster Deutscher erhielt Grzimek für seinen Film »Serengeti darf nicht sterben«, mit dem er den Nationalpark in der Savanne weltweit bekannt machte, einen Oscar. Unermüdlich sammel­te er Geld und organisierte politische Unterstützung für das Projekt. »Ohne die Kampagne Grzi­meks«, resümierte der Deutschlandfunk, »wäre die Artenvielfalt der Serengeti Geschichte – so wie am Kilimandscharo, wo früher den Massai beim Hüten ihrer Herden Elefanten und Löwen begegneten. Heute gibt es dort weder Massai noch Löwen, nur Plantagen.«

Bernhard Grzimek, der am 24. April 100 Jahre alt geworden wäre, verdanken wir jedoch viel mehr als nur diesen wunderbaren Nationalpark in Tan­sania. Nach dem Krieg war er es, der dem Frankfurter Zoo wieder auf die Beine half, ihn zu einem der bekanntesten Zoos der Welt machte. Durch seine beliebte Fernsehsendung »Ein Platz für Tiere«, die zwischen 1956 und 1980 in rund 175 Folgen ausgestrahlt wurde und heute unvorstellbare Einschaltquoten bis 70 Prozent erreichte, weckte er bei einer ganzen Generation Interesse und Sym­pathie für Tierwelt und Natur – zu einer Zeit, als noch niemand über Umweltschutz sprach. Grzi­mek war der Erste, der Bilder von der Robbenjagd in der Arktis und von auf viel zu kleinem Raum eingepferchten Käfighennen zeigte. Am En­de jeder Sendung rief er die Zuschauer, die er immer mit »Meine lieben Freunde« ansprach, zu Spenden auf und sammelte so Millionen für den Tier- und Umweltschutz.
Man kann Bernhard Grzimek als »Vater des mo­dernen Tierschutzes« in Deutschland bezeichnen. Ein »Tierrechtler«, Veganer oder was immer sich heute in dieser pittoresken »Tierbefreier­szene« so tummelt, war Grzimek jedoch nie. Aus deren Sicht ist Grzimek wohl ein Verräter, denn der Herr Professor war kein Vegetarier, er befürwortete Tierversuche, und als langjähriger Direktor des Frankfurter Zoos war er logischerweise niemand, der Tieren und Menschen dieselben Rechte zuschrieb. Er sah es vielmehr als zivilisatorische, also explizit menschliche Verantwortung an, die Tierwelt zu schützen.
Sicher stammte Grzimek, als Anfang des 20. Jahr­hunderts Geborener, noch aus einer zoologischen Tradition, die ohne den Kolonialismus nicht zu denken war. Aber er vermochte es, sich immer mehr aus dieser Tradition zu lösen. Gerade am Beispiel des Serengeti-Nationalparks im früheren Deutsch-Ostafrika kann man sehen, wie Grzimek letztlich nicht nur einen großen Schutz­raum für Tiere schuf, sondern gleichzeitig wirtschaftliche Unabhängigkeit für die Bevölkerung einer Region, die Jahrhunderte lang von Ko­lonialmächten ausgebeutet und versklavt worden war. Grzimek wusste, dass der Schutz der Tier­welt und die soziale Absicherung und Bildung der Menschen sich gegenseitig bedingen.

Naturschutz und Kolonialismus stehen in einem höchst widersprüchlichen und wechselseitigen Verhältnis. Einerseits wäre Naturschutz in vielen afrikanischen Gebieten – zumindest im vergangenen Jahrhundert, als die meisten Reservate ent­standen – gar nicht notwendig gewesen, wenn europäische Kolonialisten und Großwildjäger dort nicht das vermeintlich »natürliche Gleichgewicht« zwischen Mensch und Tier durcheinander­gebracht hätten. Andererseits: Hätten sich die afrikanischen Gesellschaften ohne Kolonialismus nicht entwickelt? Selbstverständlich doch! Und sie entwickeln sich weiter, und nur die Existenz der zahlreichen Nationalparks sorgt heute dafür, dass wichtige Lebensräume für Tiere dauerhaft erhalten bleiben.
Bei der Einrichtung des Serengeti-Nationalparks spielte das Verhältnis von Menschenrecht und Tierrecht eine wichtige Rolle. Um Tiere zu schützen, mussten Menschen weichen. Viele Mas­sai wurden zwangsweise umgesiedelt, um Platz für den Naturpark zu schaffen. Grzimek befürwor­tete dies. Man kann das als sehr koloniale Geste ansehen, mit der Europäer sich anmaßten, über das Schicksal afrikanischer Ureinwohner zu entscheiden zum Schutz einer »Natur«, die sie auf­grund ihrer Exotik als schützenswert deklarierten (während sie zuhause ohne Bedenken Wolf und Bär ausrotteten). Doch dies kann man Grzi­mek nicht vorwerfen, er kümmerte sich auch um die heimische Tierwelt, und außerdem steckte in derselben Geste auch das genaue Gegenteil: Denn Grzimek lehnte damals bestehende Überlegungen, einige Massai-Stämme einfach im Nationalpark leben zu lassen, ab, weil er die Massai eben nicht als Tiere sah, deren »natürliche« Lebensweise unabänderlich sei und aus ethno-exotischem Interesse in derselben Weise zu schützen wäre wie Gazellen oder Büffel: »Man kann Menschen (…) nicht dazu zwingen, Wilde zu bleiben oder sich nicht zu vermehren. Deswegen hat man jetzt überall eingesehen: Ein Nationalpark muss menschenleer sein, es gehören weder Europäer noch Afrikaner hinein.«
Es ist ein Paradoxon, doch genau mit dieser im­perialen Betrachtungsweise begab sich Grzimek außerhalb des kolonialen und rassistischen Denkens. Ureinwohner wurden nicht mehr als zu versklavende Tiere betrachtet, die wie andere Lebewesen in dem »endlosen Land« (das ist die Über­setzung des Massai-Wortes »Seregenti«) fressen und gefressen werden, sondern mehr und mehr als Menschen und entwicklungsfähige und -wil­li­ge Gesellschaften ernst genommen. Notwendig war dafür jedoch, die von Tierrechtlern heute so gern in Frage gestellte Grenze zwischen Menschen und Tieren uneingeschränkt zu akzeptieren.
Als Ausgleich für die Umsiedlung der Menschen wurden in Tansania zahlreiche Schulen und Krankenhäuser errichtet, viele Vertriebene bekamen Arbeit im Naturpark oder im aufkommenden, von Grzimek ehrgeizig beworbenen Naturpark-Tourismus. So folgte dem kolonialistischen Naturschutz-Gedanken die Durchkapitalisierung von Land und Leuten – und damit ein effektiverer Naturschutz. Dennoch war der koloniale Blick in jener Zeit noch allgegenwärtig. Der Historiker Bernhard Gißibl von der Universität Mannheim etwa meint, »dass die Vorstellung von Afrika als paradiesischer Wildnis, deren Bewahrung sich die Europäer als Kulturaufgabe anmaßten, und die hierdurch motivierten politischen Interventionen ihre Wurzeln in der deutschen Kolonialherrschaft vor dem Ersten Weltkrieg hatten«. Grzi­mek, kritisiert Gißibl, »mobilisierte mit seinen Filmen und Fernsehsendungen eine ernorme Spen­denbereitschaft der deutschen Fernsehzuschauer, wodurch die kolonialen Naturschutzmaßnahmen in Ostafrika nach der Unabhängigkeit Tansanias nicht nur fortgeführt, sondern noch intensiviert werden konnten«. Zum Glück, kann man sagen. Tausende Nationalparks weltweit dienen heute dazu, Tieren ihren Lebensraum zu erhalten. Und viele von ihnen auch dazu, Menschen den Zugang zur Natur zu ermöglichen. So sind die zahl­reichen akademischen Debatten zu den kolonialen, aber auch missionsgeschichtlichen Wurzeln des Tier- und Umweltschutzes, und ebenso zum Konzept des »Nationalparks«, spätestens wenn es um die praktischen Konsequenzen geht, voller offener Widersprüche.

Ambivalent war im Übrigen auch in Grzimeks Leben vieles. Während der Nazi-Zeit war er »halbwegs sauber geblieben«, wie es die Welt formulierte. In einer gerade erschienenen Biografie belegt Clau­dia Sewig Grzimeks NSDAP-Mitgliedschaft, die er selbst leugnete. Er sei wohl ein Opportunist ge­wesen, allerdings ist nichts bekannt, was ihn als aktiven Nationalsozialisten erscheinen lässt. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs ist Grzimek fahnenflüchtig. Er versteckt sich nicht nur vor der Gestapo, die zuvor seine Wohnung nach versteckten Juden durchsucht hat, sondern auch vor seiner Frau, die ihn an der Ostfront wähnt, während er mit seiner Geliebten und ihrem gemeinsamen Kind nach Westfalen unterwegs ist.
Drei Kinder hat er auch mit seiner Frau Hildegard, mit der er später wieder zusammenlebt. Sein über alles geliebter Sohn Michael kommt 1959 bei den Dreharbeiten zu dem Serengeti-Film bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, sein Sohn Thomas nimmt sich 1980 das Leben. Grzimek lässt sich 1973 von seiner Frau scheiden und heiratet fünf Jahre später die Frau seines verstorbenen Sohnes Michael, also seine eigene Schwiegertochter.
In vielerlei Hinsicht war Grzimek (er soll auch Scherzartikel gesammelt haben), lapidar gesagt, ein komischer Kauz. So widersprüchlich vieles war, was er tat, so konsequent tat er fast alles aus Liebe zu den Tieren und hat, das jedenfalls ist nicht bestreitbar, den Tier- und Umweltschutzgedanken in Deutschland populär gemacht. Er starb am 13. März 1987 während einer Zirkusvorstellung in Frankfurt am Main. Es lief gerade eine Tigerdressur.