Die politische Krise in Moldawien

Krawalle mit Europa-Flagge

Am Wahlsieg der Kommunisten in Moldawien konnte vergangene Woche auch die Neuauszählung der Stimmen nichts ändern. Nach den gewaltsamen Protesten in der Hauptstadt Chisinau ist aber mit einer Verschärfung des politischen Konflikts zu rechnen.

»In Zeiten der Wirtschaftskrise kann uns nichts Schlimmeres passieren als eine neue kommunistische Regierung«, meint Dr. Keita Abdramene aus Mali, der seit 15 Jahren mit seiner moldawischen Frau und zwei Kindern in Chisinau lebt, direkt nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse. »Sie wird nämlich ein halbes Jahr nichts anderes tun, als die Ministerposten neu zu besetzen«, lautet seine Prognose.
»Von zwei Übeln haben wir einfach das kleinere gewählt«, kommentiert dagegen eine junge Studentin den Wahlsieg der Kommunisten.
In der Hauptstadt Moldawien sind viele Menschen nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse wütend. Die liberale Opposition wirft der Regierung von Wladimir Woronin vor, sich mit manipulierten Medien und massiven Wahlfälschungen eine absolute Mehrheit verschafft zu haben. Bis zu 400 000 Namen von Verstorbenen, Minderjährigen und im Ausland lebenden Moldauern sollen die Kommunisten in die Wahllisten eingetragen haben. Nachdem die Vorwürfe des Wahlbetrugs Anfang April zu gewaltsamen Protesten geführt hatten, ordnete Woronin eine Neuauszählung der Stimmen an. Hinweise auf Unregelmäßigkeiten habe diese nicht ergeben, teilte der Sprecher der Wahlkommission, Iurie Ciocan, am Freitag mit.

Wie es zu den Massenprotesten nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse kam, kann Natalia Morar erklären, eine junge Journalistin von der NGO Think Moldova: »Sechs Leute, zehn Minuten Brainstorming, ein paar Stunden lang SMS verschicken, und schon hast du 15 000 Leute auf der Straße«, berichtet die 25jährige stolz auf ihrem Web­log. Was am Montag nach der Wahl als Flashmob begann, führte am folgenden Tag zu weiteren spontanen Demonstrationen. Über diverse Internetseiten und soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook wurden erneut Massen auf die Straßen geholt. Im Laufe des Tages wuchs die Zahl der großteils jugendlichen Demonstranten in Chisinau auf mehr als 10 000. Laut wurden Slogans wie »Nieder mit den Kommunisten« und »Vereinigung mit Rumänien« skandiert und die Abhaltung neuer Wahlen nach demokratischen Standards wurde gefordert. Die zunächst friedliche Stimmung wurde immer aggressiver. Als sich ein Teil der Demonstranten auf den Weg zum Parlament und zum Präsidentenpalast machte, eskalierte die Situation. Zuerst flogen Eier, dann Flaschen und schließlich Steine. Nach einer zweistündigen Straßenschlacht mit der Polizei übernahmen gewalttätige Gruppen das Kommando über die Innenstadt. Das Parlament und der Präsidentenpalast wurden gestürmt und geplündert, einige Büros gingen in Flammen auf. Auf dem Dach des Präsidentenpalasts wurden die rumänische und die EU-Flagge gehisst.
In den folgenden Tagen verflog das Gefühl einer Revolte aber rasch wegen der Einschüchterungsversuche der Regierung. Der staatliche Sicherheits­dienst überprüfte in Schulen und Universitäten die Anwesenheit der Studierenden. Hunderte Men­schen wurden verhaftet, ein 23jähriger starb, nach Angaben der Familie im Polizeigewahrsam, an schweren Verletzungen.
Nun scheint es, als ob wieder Ruhe eingekehrt ist in Moldawien. Vorerst zumindest. Die Ereignisse vom 7. April werfen allerdings viele Fragen auf. »Die Revolution hat die Regierung selbst angezettelt«, mutmaßt die ratlose Opposition und wirft der Regierung von Woronin vor, sie habe die Situation bewusst eskalieren lassen, um von dem Vorwurf des Wahlbetrugs abzu­lenken. Woronin hegt dagegen den Verdacht, dass jemand »von außen« die Lage habe eskalieren lassen. Die Agents provocateurs sollen aus Rumänien kommen, dem er vorwirft, sich geheimdienstlich in die Proteste der Opposition eingemischt bzw. diese initiiert zu haben. Filip Teodorescu, der rumänische Botschafter in der Republik Moldawien, wurde daraufhin umgehend des Landes verwiesen und die Visa­pflicht für rumänische Staatsbürger, die nach Moldawien einreisen wollen, eingeführt.
Seit der Unabhängigkeit Moldawiens im Jahre 1991 gab es immer wieder Bemühungen zur Vereinigung mit Rumänien. Noch heute bilden die Rumänen die größte Bevölkerungsgruppe in der Republik. Sowohl Russisch als auch Rumänisch werden im Alltag verwendet, ein Teil der Bevölkerung – vorwiegend die jüngere Generation – betrachtet Moldawien als zu Rumänien gehörig und fordert eine Reintegration. Vor allem für junge Menschen wird Rumänien immer attraktiver, je mehr es sich in die EU integriert. Die ältere, vorwiegend russischsprachige Generation hingegen trauert alten Zeiten nach und fühlt sich geschichtlich mit Russland verbunden.

Die russische Regierung ruft derzeit in erster Linie zu Ruhe und Besonnenheit auf, jedoch ist klar, dass Russland bei einer Reintegration der Republik Moldau nach Rumänien und einem damit verbundenen ernsthaften geopolitischen Umbruch an seiner westlichen Grenze nicht tatenlos zuschauen würde. Russland hat immer noch großen Einfluss auf die Republik Moldau, es ist der Energielieferant und das wichtigste Exportland Moldawiens.
Die jüngsten politischen Ereignisse wirken sich auch auf eine Lösung des immer noch ungeklärten Transnistrien-Konflikts aus. Infolge einer Autonomiebewegung Anfang der neunziger Jahre entstand mit Transnistrien ein international nicht anerkannter, de facto jedoch unabhängiger Kleinstaat innerhalb der Republik Moldau. Zahlreiche Verhandlungen unter Aufsicht der OSZE führten bislang jedoch zu keiner Lösung des Konflikts. Moldawien will Transnistrien höchstens eine beschränkte Autonomie gewähren, Transnistrien wiederum fordert die Anerkennung als eigener Staat.
»Wir betrachten die Geschehnisse in Chisinau so, als ob sie in einem anderen Land passiert wären«, sagt Alla Buchkova, Soziologin aus Tiraspol, der Hauptstadt Transnistriens, gelassen. Die jüngsten Ereignisse vergrößern in diesem Falle nur die Bestrebungen Transnistriens nach Eigenständigkeit und der Loslösung von Moldawien. Wieso soll die abtrünnige Region auch zu einem Land zurückkehren, in dem sich Teile der Bevölkerung um eine Vereinigung mit Rumänien bemühen, fragen sich viele Menschen hier.
Solange der Konflikt mit Transnistrien nicht geklärt ist, steht auch ein Beitritt Moldawiens zur Europäischen Union nicht zur Debatte. Das kleine Land im Osten Europas wird in nächster Zeit zunächst damit beschäftigt sein, einen Weg aus der Wirtschaftskrise zu finden. Doch die Zukunft könnte für weitere Konflikte sorgen. Unklar ist noch, wie sich die Opposition in Hinblick auf die Wahl des Präsidenten verhalten wird. Nach dem Wahlergebnis kommt die Kommunistische Partei auf 60 Repräsentanten im Parlament. Um den Präsidenten zu wählen, bedarf es jedoch 61 Stimmen. Das bedeutet, dass die Opposition die Möglichkeit hat, die Wahl des Präsidenten zu verhindern. Möglicherweise würde es dann zu Neuwahlen kommen.
Eine EU-Kommission wird sich nun mit der Aufarbeitung der Ausschreitungen in Chisinau befassen. Präsident Woronin hat jedenfalls bereits angekündigt, die anfallenden Kosten für die Wiederherstellung des Parlaments und des Präsidentenpalasts aus dem Budget für Bildung zu decken; an den Demonstrationen waren hauptsächlich Studenten beteiligt. Die für die Aufräum­arbeiten zuständige Baufirma gehört übrigens dem Sohn des Präsidenten, doch darüber wundert sich auch kaum jemand mehr.