Linke »Freiräume«

Linke Paralleluniversen

Weil »Freiräume« meist erst dann als solche wahrgenommen werden, wenn sie bedroht sind, bleiben die politischen Inhalte häufig auf der Strecke.

Mit den »Freiräumen« ist es wie mit dem langjährigen WG-Mitbewohner. Man lebt irgendwie zusammen und streitet sich um den Abwasch und die Stapel von Altpapier und Pfandflaschen. Irgendwann ist er ausgezogen, und plötzlich fehlen einem die politischen Diskussionen am Frühstückstisch, die gemeinsamen Demonstrationen und langen Fernsehabende.
Was die »Freiräume« angeht, so wird man sich erst richtig ihrer Bedeutung bewusst, wenn sie bedroht sind oder fehlen. Im kollektiven Gedächtnis der radikalen Linken existieren diese Räume vor allem als Orte politischer Niederlagen. Bekannte Beispiele dafür sind die Mainzer Straße und die Yorck 59 in Berlin, der Bauwagenplatz Bambule in Hamburg und das Autonome Zentrum Steffi in Karlsruhe.

Auch die Räumung des besetzten Areals auf dem Gelände des früheren Unternehmens Topf & Söhne in Erfurt vor zwei Wochen hat dies erneut gezeigt. Seit April 2001 gab es dort nicht nur besetzten Wohnraum, sondern es fand auch eine lange Auseinandersetzung um das Erbe der Firma statt, die das Vernichtungslager Auschwitz mit Krematoriumsöfen und Entlüftungsanlagen für die Gaskammern beliefert hatte. Zwar war es den Besetzern des Geländes wichtig, auf die historische Bedeutung des Ortes hinzuweisen, doch wurde diese wichtige Erinnerungsarbeit außerhalb von Erfurt erst zum Thema, als in anderen Städten anlässlich der unmittelbar bevorstehenden Räumung Veranstaltungen stattfanden.
Sind inhaltliche Ansprüche und politische Konzepte in der Öffentlichkeit mit dem Kampf um den Erhalt solcher Orte verknüpft, droht mit dem Verlust der Orte auch der Verlust der entsprechenden Inhalte. Die Gefahr, politische Ansprüche und Konzepte aus den Augen zu verlieren, ist aber auch bei existierenden Projekten gegeben, die nicht unmittelbar bedroht sind und sich selbst durchaus als »Freiräume« begreifen. Da wären etwa autonome Zentren und Hausprojekte zu nen­nen wie die Alte Meierei (Kiel), die Rote Flora (Hamburg), das Juzi (Göttingen), die Gieszer 16 und das Conne Island (Leipzig), die Rigaer 94 und die Köpi (Berlin).
In ihrem Selbstverständnis stellen solche Zentren Orte politischer Gegenöffentlichkeit dar, man bietet Raum für nichtkommerzielle Kultur und politische Veranstaltungen und erhebt den Anspruch, sich zumindest partiell der kapitalistischen Verwertungslogik entziehen zu wollen. Zudem will man dort wenigstens ansatzweise die eigenen Ansprüche von einem anderen sozialen Miteinander verwirklichen – ohne Hierarchien, Sexismus, Homophobie, Rassismus und Antisemitismus.

Doch im alltäglichen Betrieb werden vor allem die Angebote jener Zentren und Häuser konsumiert. Es bleibt einem kleinen Kreis von Leuten vorbehalten, den »Freiraum« für den Rest der Szene zu organisieren. Am ehesten entzünden sich politische Kontroversen folgerichtig daran, ob die Eintritts- und Getränkepreise angemessen sind oder nicht. Wie kompliziert es ist, abzuwägen zwischen den finanziellen Sachzwängen der Betreiber, dem Ziel, auch politische Arbeit bezahlen zu wollen, und dem Anspruch, nichtkommerzielle Angebote schaffen zu wollen, dringt dagegen häufig nicht ins Bewusstsein der Besucher. Weitergehende politisch-inhaltliche Debatten finden selten statt oder eskalieren lediglich von Zeit zu Zeit, wenn ein Vorfall die Hausordnung infrage stellt.
In der Außenwirkung stellen diese »Freiräume« Reservate einer radikalen Linken dar, die, je nach Engagement der Betreiber, mehr oder weniger als Paralleluniversen existieren. Die Sicherheits- und Sauberkeitskampagnen der Kommunen und der Polizei oder die Stimmungsmache von Politik und Medien, die sich nicht gegen Arbeitslosigkeit, Armut und Obdachlosigkeit, sondern gegen Arbeitslose, Arme und Obdachlose richtet, betreffen die Betreiber und Besucher politischer Zentren oftmals nur mittelbar.
Entsprechend kritisiert man zwar in Texten und Vorträgen die Privatisierung öffentlicher Räume, das Entstehen reiner Konsum- und Investitionszonen und die Vertreibung von Junkies, Bettlern und anderen Personen, die das Bild stören. Aber wie »Freiräume« dazu beitragen könnten, diese gesellschaftlichen Widersprüche aufzuheben, bleibt in der Regel eine offene Frage. Allenfalls existieren Konzepte für temporäre Kampagnen.

Ist ein »Freiraum« bedroht, stellt sich unmittelbar die Frage, mit welchen Mitteln und Aktionsformen er zu verteidigen ist – das war 1987 in der Hamburger Hafenstraße so und auch vor wenigen Tagen in Erfurt. Gern und bewusst wird dabei das staatliche Gewaltmonopol infrage gestellt, um den politischen Preis für eine Räumung in die Höhe zu treiben. Doch auch solche politischen Auseinandersetzungen sind vor allem selbstreferenziell und bloße Reflexe auf die Bedrohung von außen, die interne Widersprüche in den Hintergrund rücken lassen. Militante Interventionen sind dann oftmals deutlich von Männern dominierte Inszenierungen, die im Widerspruch zu einer Politik stehen, die sich als emanzipatorisch begreift.
Eine an den Maßnahmen und Zielen des politischen Gegenübers orientierte inhaltliche Bestimmung von »Freiräumen« verwischt außerdem die Ambivalenz dieser Orte. Im Rahmen des »Standortwettbewerbs« der Kommunen dienten sie gerade wegen ihres subkulturellen Charakters oft dazu, die kapitalistische Verwertung in der Umgebung voranzutreiben. Mit dem Ausblick auf ein vermeintlich subversives Parallel­universum schmeckt der Latte Macchiato gleich doppelt so gut.

Die besetzte Rote Flora im Hamburger Schanzenviertel steht beispielhaft für diese Entwicklung. Gerade weil sich das autonome Zentrum in der Vergangenheit den Integrationsmaßnahmen der Stadt konsequent verweigerte, trug es maßgeblich zum Reiz des subkulturellen Ambientes im Viertel bei, der die langfristige Aufwertung mit möglich gemacht hat. In der Wahrnehmung der Betreiber war diese Verweigerung ein Merkmal des »Freiraums« Flora. Der Prozess der Gentrification, den man politisch bekämpfte, wurde aber, objektiv betrachtet, so erst recht beschleunigt. Selbst das Wissen um diesen nur schwer lösbaren Widerspruch hat die Entwicklung nicht aufhalten können.
Mittlerweile ist die Aufwertung des Stadtteils nahezu abgeschlossen. Galt die Rote Flora in der Öffentlichkeit in den vergangenen 20 Jahren trotz aller Anfeindungen als Wahrzeichen des Schanzenviertels, sieht sie sich nun dem Vorwurf von Politikern der CDU und der SPD ausgesetzt, ein »Fremdkörper« im aufgewerteten Quartier zu sein. Immerhin wird das wohl dazu führen, dass in naher Zukunft zumindest in Hamburg das Thema »Freiräume« auf der Tagesordnung bleibt.