Dopingtests und Datenschutz

Pioniere der totalen Überwachung

Sollen Sportler immer und überall für Dopingtests zur Verfügung stehen? Datenschützer erklären den Sportverbänden, dass Menschenrechte auch für Sportler gelten.

Eine Kampagne, mit der zurzeit die österreichische Boulevardzeitung Kurier gegen den schlechten Ruf des Landes im Spitzensport ankämpft, heißt »Der gläserne Sportler«. Die Anlehnung an die Metapher vom »gläsernen Menschen«, vor dem Bürgerrechtler und Datenschützer warnen, ist nicht ganz grundlos. Im Rahmen der Aktion »gläserner Sportler« legen nämlich die daran beteiligten Spitzenathleten alles offen, was eine sich selbst als kritisch verstehende Sportöffentlichkeit glaubt, wissen zu müssen: Nicht nur tägliche Berichte aus Training und Wettkampf, sondern auch »Analysen ihrer Bluttests und unangekündigten Dopingkontrollen samt sportärztlicher Begleitung«, wie der Kurier stolz mitteilt. Bislang beteiligen sich erst zwei österreichische Spitzensportler an der Aktion: die Bergläuferin Andrea Mayr und der Triathlet Georg Swoboda. Für letztgenannten, der schon mal eine Doping­sperre absolvieren musste, sei es die »zweite Chance«.
Dass es bei nur zwei Sportlern bleibt, die ihr Privatleben und ihre intimen Körperdaten offen­legen werden, ist nicht zu erwarten, schließlich wird die Aktion auch vom österreichischen Ministerium für Landesverteidigung und Sport sowie vom Gesundheitsministerium unterstützt. »Wir haben uns in den letzten Jahren den Ruf erworben, unter den fünf, sechs Ländern in Europa zu sein, in denen Doping sozusagen salonfähig gemacht wurde«, sagt Sport- und Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ). »Umso wichtiger sind Aktionen wie die von kurier.at, mit welcher der saubere und dopingfreie Sport unterstützt und gefördert wird.«
Es gibt im internationalen Sport eine ganze Reihe von Sportlern, die, um nicht als Doping­sünder zu gelten und ihren Ruf ruiniert zu ­bekommen, dramatische Eingriffe in ihre Privatsphäre befürworten. Die mittlerweile zurückgetretene Schwimmerin Antje Buschschulte etwa, mehrfache Medaillengewinnerin bei Olympischen Spielen, sagte vor anderthalb Jahren: »Am allerbesten fände ich regelmäßige Razzien. Ich wäre auch vollkommen damit einverstanden, dass die Beamten meine Sachen durchwühlen.« Die schwedische Weltklasse-Siebenkämpferin Carolina Klüft und der Hochsprung-Olympiasieger Stefan Holm fordern gar die Implantierung von Computerchips unter der Haut, damit ihr Aufenthaltsort immer bekannt ist. »Es klingt zwar brutal«, sagt Holm, »aber es scheint mir eine gute Lösung zu sein, um falsche Verdächtigungen zu vermeiden. Ohne Chip gibt es keine hundertprozentige Sicherheit.« Und die Mountainbike-Olympiasiegerin von 2008, Sabine Spitz, plädiert dafür, dass Doping-Fahnder die Aufenthaltsorte von Sportlern auch durch Handy-Ortung bestimmen dürfen. »Wer nichts zu vertuschen hat, lässt sich uneingeschränkt kontrollieren.«
Zwei andere Mountainbiker, die Brüder Lado und Manuel Fumic, waren im vergangenen Jahr die ersten deutschen Athleten, die sich energisch gegen die verschärfte Kontrollpraxis wandten. Neben grundsätzlichen Bedenken führten die beiden Inhaber einer Marketingfirma ihre konkrete Lebenssituation an. »Durch die rigiden Vorgaben hätten wir nicht mehr flexibel und diskret arbeiten können – ein geregelter Geschäftsbetrieb wäre nicht mehr möglich gewesen«, so Lado Fumic. Die Brüder aus Kirchheim/Teck, die mittlerweile mit einer slowenischen Lizenz starten, bekamen von Beginn an viel Zuspruch von anderen Sportlern – allerdings nur hinter vorgehaltener Hand. Was kaum verwundert: Die meisten Spitzenathleten, die sich zur öffentlichen Selbstentblößung bereit erklären, sind in Sportarten aktiv, die als nicht allzu kommerzialisiert gelten, und – im Gegensatz zu Lado und Manuel Fumic – von den Einnahmen aus dem Sport abhängig. Sie haben Angst, durch Doping­gerüchte ihre Glaubwürdigkeit und mithin ihre Förderungswürdigkeit zu verlieren.
Vertreter von Sportarten, die ökonomisch stark sind, wehren sich hingegen derzeit in sehr deutlicher Form gegen die unter Menschenrechtsgesichtspunkten heikle Kontrollpraxis.
Gerade hat sich der Weltfußballverband Fifa erfolgreich gegen die Welt-Antidoping-Agentur Wada durchgesetzt, die jeden Sportler zu jedem Zeitpunkt an jedem Ort der Erde zum Urin- oder Bluttest bitten möchte. Die Fifa und der europäische Verband Uefa weisen »den Standpunkt der Wada hinsichtlich der Meldepflicht und insbesondere der individuellen Meldepflicht unserer Spieler offiziell zurück«. Fifa und Uefa fordern für die von ihnen vertretenen Fußballer lediglich »eine kollektive Meldepflicht, die sich auf die Mannschaft und das Stadiongelände bezieht«. Dopingkontrollen während des Urlaubs, wie sie die Wada und ihre nationalen Agenturen, in Deutschland die Nada, in anderen Sportarten ganz selbstverständlich praktizieren, lehnen Fifa und Uefa mit Hinweis auf die Wahrung der Privatsphäre als »inakzeptabel« ab: »Die mangelnde Wahrung der Privatsphäre, die ein grundlegendes Element der persönlichen Freiheit darstellt«, ist nach Lesart der Fußballverbände »sowohl politisch als auch rechtlich fragwürdig«.
Sabine Spitz, die Mountainbikerin, regt sich genau darüber auf. »Es ist kaum glaubhaft zu vermitteln, warum sich Einzelsportler wie ich auf die aufwändigen Wada-Regeln einlassen sollen, während die Fußballverbände für ihre vielfach umsorgten Profis eine kontrollfreie Zeit reklamieren.« Und der Vorsitzende der Nationalen Antidoping-Agentur, Armin Baumert, sagt: »Wenn dort Türchen geöffnet werden sollen durch Begriffe wie Privatsphäre, Urlaub oder Regeneration, dann müssen wir sagen, dann ist dieser Anti-Dopingkampf nicht mehr glaubwürdig.« Gegen die auch ökonomische Macht der Fußballverbände kann immerhin auch die staatlich alimentierte Wada nicht an. »Die Fifa hat eben eine starke Lobby, sie ist eine wirtschaftliche Macht«, konstatiert etwa die Berliner Zeitung und beklagt eine enorme Schwächung der Wada im Kampf gegen Doping.
Der Hintergrund der überfälligen Schwächung der Wada bei ihrem Projekt, Spitzensportler zu Pionieren einer gesellschaftlichen Totalüberwachung zu machen, hat freilich nicht unbedingt mit der ökonomischen Macht der Fifa zu tun, sondern mit einem in der EU stärker werdenden Unbehagen über die ungezügelte Datensammelwut der Sportagenturen und -verbände. Während die »verfassungswidrigen elektronischen Fußfesseln«, so der Sportrechtler Michael Lehner, auf nationaler Ebene erst in einem langwierigen juristischen Prozess gestoppt werden könnten, steht der neue Wada-Code in Europa schon vor dem Aus. Nach Auffassung von Datenschutzexperten aus den EU-Mitgliedsländern verstoßen die so genannten Whereabout-Regeln, wonach Sportler drei Monate vorab mitteilen müssen, wo sie sich aufhalten werden, gegen geltendes europäisches Recht. Der für den Sport zuständige slowakische EU-Kommissar Jan Figel hatte die Wada bereits im Februar gebeten, die Regel bis zu einer Klärung auszusetzen. Schon bald könnte höchstrichterlich festgestellt werden, dass elementare Menschenrechte wie Privat­sphäre, informationelle Selbst­bestimmung oder Freizügigkeit von den Sportverbänden unzulässigerweise für obsolet erklärt wurden.

Rolf-Günther Schulze und Martin Krauß ­gaben zuletzt das Buch »Wer macht den Sport kaputt? Doping, Kontrolle und Menschenwürde« mit Beiträgen von Hermann L. Gremliza, Diedrich Diederichsen, Thomas Ebermann u.a. heraus (Verbrecher Verlag, ­Berlin 2008)