»Paranoid« von Black Sabbath wird neu veröffentlicht

Irre im Schweinskostüm

Black Sabbaths epochales Album »Paranoid« wird neu veröffentlicht.
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Das sind wohl die ultimativen Reime zum Thema jugendliches Zerwürfnis mit der Welt, so wie sie ist, und sie stammen von Black Sabbath: »I need someone to show me the things in life that I can’t find. I can’t see the things that make true happiness, I must be blind. Make a joke and I will sigh and you will laugh and I will cry. Happiness I cannot feel and love to me is so unreal. And so as you hear these words telling you now of my state. I tell you to enjoy life I wish I could but it’s too late.«
Dieser Ankündigung haben Black Sabbath Taten folgen lassen, sehr laute Taten: Die Band aus dem englischen Birmingham nämlich war es, die mit dem zitierten Song »Paranoid« und dem gleichnamigen Album nichts Geringeres als den Heavy Metal begründete. Denn nach diesem Stück war es endgültig zu spät für den typischen, Blues-orientierten Rock der Spät-Sechziger, zu dem junge Pärchen zwar exaltiert, aber doch fröhlich und gesund durch den Beat-Club hopsten.
Black Sabbath dagegen waren genauso finster, verstockt und ungesund wie der Name schon sagte, eine Band, die exzessiv ihrer notorischen Neigung zu heftigen Krachgewittern und manischen Riffs frönte und damit Klänge produzierte, die auch wohlmeinende Eltern, Pädagogen und Pfarrer unfehlbar in die Flucht schlugen. Von dieser Qualität der Stücke kann man sich jetzt erneut überzeugen: Universal hat »Paranoid« soeben als Dreifach-CD-Pack wieder veröffentlicht, zusammen mit einigen Alternativ-Versionen, Instrumental-Basis-Tracks aus dem Studio und einer quadrofonischen Album-Neuaufnahme aus dem Jahr 1974. Ergebnis: »Paranoid« funktioniert auch als De-Luxe-Version wie eh und je.
Eigentlich hatte diese Kampfansage in Albumform, die vom legendären Label Vertigo im September 1970 herausgebracht wurde, unter dem Titel »Walpurgis« erscheinen sollen. Irgendwie ja auch ein sinniger Bezug zum Hexen-Sabbat, den der Bandname nahe legte, aber eben auch zu geradlinig für den exaltierten Sänger Ozzy Osbourne und seine Mitfinsterlinge Tony Iommi (Gitarre), Bill Ward (Drums) und Geezer Butler (Bass). Noch während der Studioaufnahmen änderte man den Albumtitel von »Walpurgis« in »War Pigs«, nach dem gleichlautenden Eröffnungstrack, den niemand je vergisst, der ihn einmal gehört hat: Zäh wie Lava wabert die Gitarre, der Bass pluckert langsam und bedrohlich, und darüber heulen die Sirenen, ein seit den Tagen des Friedensbewegungs-Rock ziemlich abgegriffener Effekt, damals jedoch schockierend und unerhört für die ersten Sekunden eines LP-Aufmacher-Stücks.
Doch Polit-Rock, wie er 1970 durchaus in Mode war, wollten die Vier aus Birmingham ganz und gar nicht machen, sie wollten diesen Eindruck sogar ganz bewusst vermeiden. Deshalb beschloss man, das Album nicht nach dem Stück »War Pigs« zu benennen. Man befürchtete, dass das Album ansonsten als Kommentar zum Vietnam-Krieg verstanden worden wäre. Also brauch­te die Platte einen anderen Namen, einen anderen Anreißer. Die Verlegenheitslösung war eben »Paranoid«, ein Stück, das erst in den letzten Tagen der Sessions überhaupt eingespielt wurde und dem man deutlich anhört, dass es besonders hart, schnell und primitiv werden sollte, wurde zum Titelsong erkoren.
Das gelang mit diesem Schnellschuss so gut, dass aus dem Stück der einzige Single-Hit der Bandgeschichte werden sollte. »Paranoid« kletterte auch hierzulande in den Charts ganz nach oben, und da es damals üblich war, dass von erfolgreichen englischsprachigen Singles deutsche Cover-Versionen lanciert wurden, erhielt der Song durch sein teutonisches Remake noch eine weitere wahrhaft paranoide Dimension. Ausgerechnet das Schlager-Duo Cindy und Bert nahm sich des Black-Sabbath-Hits an. Ihre »Paranoid«-Version trägt dazu auch noch den schwachsinnigen Titel »Der Hund von Baskerville« und gehört damit zum Pflichtprogramm jeder Bad-Taste-Party. Dass Cindy und Bert der Grund dafür waren, dass Black Sabbath seither nie wieder eine Single auskoppelten und eine reine Album-Band blieben, ist zwar nicht belegt, wäre aber durchaus verständlich.
Über die politische Haltung der Band mach­ten sich die Fans bisweilen ein falsches Bild. So hält sich hartnäckig das Gerücht, dass es die böse Musikindustrie gewesen sei, die ein pazifistisches Anliegen der Band durch den Titelwechsel von »War Pigs« zu »Paranoid« getilgt habe. Aber so USA-kritisch, wie viele glauben, waren die Metaller wohl gar nicht. Es ist eher unwahrschein­lich, dass Black Sabbath die Vereinigten Staaten meinten, als sie von »war pigs« sangen und das Sittengemälde der Kriegsschweine entwarfen, eher spielten sie wohl auf martialische Gesellschaften wie die Nordkoreas oder des maoistischen China an. Auf dem Eröffnungsstück »Hole In The Sky« des Albums »Sabotage« (1975) warnen sie vor dem Ende der westlichen Welt, die unterliegen und vom Osten geschluckt werden könnte. Dieses Szenario erscheint eindeutig als Horrorvision, und Black Sabbath lassen keinen Zweifel daran, dass sie diesem Untergang nicht gerne zusehen wollen. Pazifistisch waren Black Sabbath also sicher nicht gestimmt. Genauso kritisch waren sie wohl gegenüber linken Zeitgenossen, die noch das Ungeheuerliche bagatellisierten und rationalisierten, als sie mit Stalin und Pol Pot Propaganda machten.
Die Erfahrung, dass nicht alle Fans auf politische Ungeheuerlichkeiten mit Abscheu reagieren, sondern sich noch daran aufgeilen, musste die Band allerdings auch mit ihrem eigenen Album-Dekor machen. Auf »Sabotage« und dem Live-Album »We sold our Souls« hatte man den Buchstaben S im Stil der mit der SS assoziierten Sigrune typisiert. Diese aber ließen Sabbath schnell wieder aus dem Dekor ihrer Album-Covers verschwinden. Denn auf allen Band-Veröffentlichungen, die überhaupt von Relevanz sind (bis zur schon vom Titel her überaus eindeutigen LP von 1982, »The Mob Rules«, die zur Abschreckung gesichtslose, blutbesudelte Zombies bei der Straßenrevolution zeigt), wird das Totalitäre und die Lust am Okkulten als bedrohlich thematisiert, als dunkle und gefährliche Seite des individuellen und kollektiven Seelenlebens.
Davon künden auf »Paranoid« das fast schon hypnotisch ruhige Stück »Caravan«, der relativ unbekannt gebliebene B-Seiten-Klopper »Fairies Wear Boots« und das ziemlich abstruse Instrumental »Rat Salad«. Diese Titel, die auf Konzerten fast nie zu hören waren und die sich genauso wenig auf den ungezählten Best-Of-Kompilationen der Band finden, haben die 39 Jahre seit der Erstveröffentlichung völlig unbeschadet überstanden. Denn sie zeigen schon früh die musikalische Varianz, zu der die Band trotz ihres Krach- und Provokations-Appeals durchaus fähig war und die doch das Sabbath-Image nie bestimmte und bestimmen konnte. Zwar mussten damals noch nicht so zielgerichtet auf die Hörgewohnheiten der Zielgruppe hin konfektionierte Alben abgeliefert werden wie heute, doch der Druck, dem Publikum zu geben, was es vermeint­lich wollte, war auch schon zu spüren. Das Ungewöhnliche und Unerwartete hatte dennoch seinen Platz auf den Sabbath-Alben, wenn auch meist nur als Verschnaufpause zwischen zwei Fuhren Hard-Rock-Lava: Insbesondere das exquisite Gitarrenspiel Iommis zeigte sich dort immer ganz besonders, wo es jazzig oder akustisch wurde, wie eben bei »Caravan«, wo allein die Meisterschaft des Gitarristen den Song trägt, der klugerweise mit Bongos statt Drums operiert und Osbournes ansonsten so dominant nörgelndem Organ mit dem typischen Hall eines Leslie-Lautsprechers die Schärfe nimmt. Vielleicht die beeindruckendste Wiederentdeckung, die »Paranoid« bietet.
Auch auf anderen Alben sind es diese Ausreißer, die pubertierende Sabbath-Fans beim luftgitarren-orientierten Hören einst eher nervten – der Plattenspieler hatte halt keine Fernbedienung mit Skip-Funktion –, die aber heute ganz besonders aufhorchen lassen. Wie zum Beispiel das Akustik-Gitarren-Instrumental »Don’t Start Too Late«, das auf »Sabotage« zwischen den beiden Krachern »Hole In the Sky« und »Symptom Of The Universe« eingeklemmt ist. Und auch diese Perlen will Universal in nächster Zeit wieder veröffentlichen. Vergleichbare »De-Luxe«-Editionen sind auch für »Masters Of Reality«, »Sabbath Bloody Sabbath« und »Sabotage« in Aussicht gestellt. Sie werden die unerfüllte Liebe Iommis zum Prog-Rock enthüllen, die ihm die Fans Mitte der Siebziger deutlich verübelten, wes­halb sie die musikalisch hochwertigen Alben jener Periode mit zunehmendem Liebesentzug straften. Leidtragender dieser Haltung, die auch heute noch die meisten Metaller zu Black Sabbath haben, die sich einfach nicht mit Chören, Bläsersätzen oder gar Keyboards auf den Sabbath-LPs der Mitt-Siebziger abfinden wollen, war immer der Keyboarder: zunächst Gerald Woodruffe und später Don Airey, beide Meister ihres Fachs. Sie lieferten zwar wichtige Beiträge zu den Songs, mussten aber auf der Bühne im Halbdunkel bleiben. Dabei ist es gerade die völlige Abwendung von den bis dato herkömmlichen Blues-Schemata, die auch den Hard-Rock-Knallern aus Iommis Feder ihren ganz besonderen Charakter gab: Ein Song wie »War Pigs« ist deshalb ohne einen wie »Caravan« nicht denkbar.
Die überaus eigentümliche Auffassung von Rockmusik, die vor allem Butler und Iommi vertraten, ist übrigens der Lage des Proberaums zu verdanken. Zu einer Zeit, als Iommi an Jethro Tull interessiert war und die Band sich unter dem hippiesken Namen »Earth« an Blues-Rock versuchte, wurde das Horrorfilm-Kino gegen­über vom Proberaum zum entscheidenden ­Inspirationsquell. Die Soundtracks zu den dort laufenden Horrorfilmen beeinflussten den Sound der Band stark, insbesondere das so genannte Teufelsintervall, das Tritonus, das von Johann Sebastian Bach stammte und im Soundtrack der Filme mit Boris Karloff Verwendung fand. Die Musiker waren fasziniert, wie gern sich das Publikum durch musikalische Mittel zum Gruseln animieren ließ, und versuchten, das im Kino Gehörte in Rock zu verwandeln. Kon­sequenterweise nannte man sich schließlich nach einem Boris-Karloff-Streifen aus dem Jahr 1963 »Black Sabbath«. Der deutsche Titel dieses Films des italienischen Horror-Spezialisten Mario Bava lautet »Die drei Gesichter der Furcht«.
Allerdings war es nicht immer die von Bach-Kompositionen inspirierte Musik, die die Bandmitglieder so schätzten. Ozzy Osbourne liebte die Gruselstreifen weniger wegen der effektvollen Verwurstung von E-Musik. Dem Mann mit dem eigenartigen Geschmack hatten es vor allem die umherschwirrenden Fledermaus-Attrappen, zu denen er auch später immer ein besonderes Verhältnis hegte, angetan. Die Kluft zwischen Osbourne und seinen Mitstreitern wurde immer größer und führte Ende der Siebziger zum Zerwürfnis. Auf »Paranoid« hingegen funktioniert sie noch, die Mischung aus Ozzy-Allüren und dem kunstvollen Grusel-Rock seiner drei Mitstreiter. Dass das Album »Paranoid« bald vier Jahrzehnte alt ist, merkt man ihm jedenfalls nicht an. Nach wie vor gilt: Gegen grelles Tageslicht und allzu gutes Wetter hilft kaum eine andere Platte besser als diese.

Black Sabbath: Paranoid. 3 CD-De-Luxe-Edition, Universal Music.